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Die „Demokratisierung“ des ORF

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Die Art, wie das Rundfunkgesetz im Jahre 1967 zustande kam, ist die Ursache, weshalb die SPÖ eine so mißtrauische Haltung gegenüber dem ORF einnimmt, obwohl sie in diesen vier Jahren der Rundfunkreform wenig Grund besitzt, auf den ORF böse zu sein. Das RundfunkVolksbegehren wurde in erster Linie von den unabhängigen Zeitungen propagiert, und diese Zeitungen nahmen auch einen wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung des Gesetzes und vor allem auf die Besetzung der Position des Generalintendanten.

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Die Art, wie das Rundfunkgesetz im Jahre 1967 zustande kam, ist die Ursache, weshalb die SPÖ eine so mißtrauische Haltung gegenüber dem ORF einnimmt, obwohl sie in diesen vier Jahren der Rundfunkreform wenig Grund besitzt, auf den ORF böse zu sein. Das RundfunkVolksbegehren wurde in erster Linie von den unabhängigen Zeitungen propagiert, und diese Zeitungen nahmen auch einen wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung des Gesetzes und vor allem auf die Besetzung der Position des Generalintendanten.

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Die ÖVP hatte insofern Glück, als sie bei den Nationalratswahlen gerade in jenen Augenblicken die absolute Mehrheit errang, in dem die Frage der Rundfunkreform nicht mehr zu umgehen war. Sie konnte dank dieser Mehrheit im Parlament das Rundfunkgesetz beschließen und das Parlament gleichzeitig jeglichen Einflusses auf den ORF berauben. Die SPÖ, die auch damals an die 43 Prozent der Stimmen erhalten hatte, was immerhin das Zweieinhalbfache der 832.000 Unterschriften ausmachte, die für das Volksbegehren abgegeben worden waren, fühlte sich übergangen. Es traf sie besonders hart, weil es sich beim ORF um einen Monopolbetrieb der Meinungsbildung handelt, der zumindest im nächsten Jahrzehnt das Schicksal der österreichischen Innenpolitik entscheidend beeinflussen wird. Bei der Kritik der SPÖ am ORF schwingen deshalb in erster Linie Gefühlsmomente, wie Enttäuschung, ja Ohnmacht mit, was das Problem einer Fortführung der Reform des ORF erschwert. Diese Fortführung ist zweifellos notwendig, hat aber im Grunde nichts mit der persönlichen Zusammensetzung der Führung des ORF zu tun. Auch Dr. Kreisky kann nicht abstreiten, daß seit 1967, dem Jahr, in dem das Rundfunkgesetz beschlossen wurde, der ORF ein wohlorganiisiertes Unternehmen darstellt, das nach modernen Gesichtspunkten geleitet wird.

Besteht auch bei der SPÖ kaum ein Zweifel, daß die Organisation des ORF um ein Vielfaches besser ist als zur Zeit des Proporzes, so hält ihr Mißtrauen gegenüber der Nachrichtenvermittlung und der Nachrichten-kommentierung weiterhin an. Die SPÖ hat offensichtlich das Gefühl, daß die Auswahl der Nachrichten und deren Kommentierung eine rechte Schlagseite besitzt. Stimmt das wirklich?

Um die Frage zu beantworten, scheint der Vergleich des Wahlkampfes zwischen der Bundesrepublik und Österreich, soweit das Fernsehen aktiv an ihm teilnahm, von einigem Interesse zu sein. Wer das Erste Programm des Deutschen Fernsehens im Vorjahr während des Wahlkampfes für die Vertretung im Deutschen Bundestag verfolgte, der hatte das Gefühl, daß dem Einfluß nach nicht die CDU-CSU die stärkste Regierungspartei wäre, sondern die SPD. Darüber hinaus wurde in Kommentaren des Fernsehens immer wieder die große Koalition CDU-SPD kritisiert und die kleine Koalition zwischen SPD und FDP als bester Ausweg hingestellt. Zwar ging die CDUCSU aus den Wahlen auch weiterhin als die stärkste Partei hervor, doch die SPD holte an Stimmen auf, und der SPD-Obmann Willy Brandt verkündete noch in der Wahlnacht die Bildung einer kleinen Koalition, obwohl die FDP fast die Hälfte ihrer Mandate eingebüßt hatte.

Auch die von Brandt verfolgte neue Ostpolitik wurde vom Ersten Deutschen Fernsehen im Wahlkampf immer wieder aufgeworfen, nicht etwa nur in Form von Diskussionen zwischen den wahlwerbenden Parteien, sondern in den Kommentaren der Fernsehredakteure. Es besteht gar kein Zweifel, daß das Erste Deutsche Fernsehen — das Zweite verhielt sich wesentlich objektiver — seine Seher stark im Sinne der kleinen Koalition SPD-FDP und einer neuen Ostpolitik beeinflußte. Die Mehrheit der Wähler — SPD und FDP erhielten zusammen nicht einmal 50 Prozent der Stimmen — war gegen diese Art der Meinungsmanipulation machtlos. Wie verhielt sich nun der ORF? Obwohl hier eine Alleinregierung bestand, wurde von seiten des Fernsehens keine regierungstreue Politik betrieben. Regierung und Opposition wurden ziemlich gleich behandelt, mit dem Ergebniis, daß die große Oppositionspartei die Wahl gewinnen konnte. Hätte das österreichische Fernsehen eine ähnliche Politik verfolgt wie das Erste Deutsche Fernsehen nur mit umgekehrter Zielsetzung, dann wären auch in Österreich die Nationalratswahlen unter Umständen anders ausgegangen.

Hier nun sind wir beim entscheidenden Punkt angelangt. Napoleon I. nannte die Presse die 7. Großmacht, und Goebbels bezeichnete in Anlehnung an den französischen Kaiser den Rundfunk als die 8. Großmacht. Zu einer noch bedeutenderen Großmacht hat sich aber das Fernsehen entwickelt, insbesondere, wenn es einen Monopolbetrieb wie in den meisten europäischen Staaten darstellt.

Das Problem besteht deshalb darin, wie ein Machtmißbrauch durch monopolisierte Massenmedien verhindert werden kann. Für Regierung, Parlament und Parteien gibt es in einer funktionierenden Demokratie genügend Kontrollmöglichkeiten, und spätestens erfolgt am Wahltag die Abrechnung von seiten der Wähler. Nun kann zwar der Aufsichtsrat des ORF den Generalintendanten abberufen, doch ist damit im Grunde nichts gewonnen, da es sich lediglich um den Austausch von Personen und uim Fragen des Führungsstils handelt. Gerade das deutsche Beispiel aber zeigt, welch Eigenentwicklung im Massenmedium Fernsehen selbst steckt, ja, der von oben straffer geführte ORF reagierte beispielsweise viel objektiver als das wesentlich stärker von den einzelnen politischen Mitarbeitern beeinflußte Erste Deutsche Fernsehen.

Die im ORF beschäftigten Personen sind laut Gesetz frei in der Ausübung ihrer Funktion. Das bedeutet aber doch nichts anderes, als daß eine Anzahl von Personen nach eigenem Ermessen bestimmt, was Millionen Menschen täglich an Nachrichten und Kommentaren vorgesetzt erhalten. Während es zahlreiche Zeitungen gibt, die eine breite Streuung von Meinungen ermöglichen, ist diese Art von Streuung in einem Meinunesmonorjolbetrieb schon allein technisch nicht gegeben. Dazu kommt, daß beispielsweise in Österreich auf Fernsehen und Rundfunk nicht einmal das Pressegesetz anwendbar ist, das die Zeitungen zwingt, Gegendarstellungen und Berichtigungen anzunehmen, wenn sich jemand zu Unrecht angegriffen fühlt. Eine weitere Gefahr besteht darin, daß die Massenmedien im Gegensatz zur Zeitung, mit der sich der Leser persönlich auseinanderzusetzen pflegt, das Publikum berieseln, kritiklos machen und dadurch ungewollt zur Denkfaulheit erziehen. Dr. Kreisky spricht immer wieder von der Demokratisierung des ORF und versteht darunter ein größeres Mitbestimmungsrecht der ORF-Teilnehmer und der ORF-Beschäftigten. Wie diese Mitbestimmung allerdings aussehen soll, hat er noch nicht verraten. Sie ist, zumindest was die ORF-Teilnehmer betrifft, auch nur schwer vorstellbar. Man kann durch Meinungsumfragen Programmwünsche ermitteln, deren restlose Befolgung übrigens eine Verringerung des Niveaus mit sich bringen würde. Man kann aber nicht Nachrichten-gebung und Kommentierung durch die Teilnehmer beeinflussen. Was aber die Mitbestimmung der Beschäftigten betrifft, so ist diese durch das Gesetz geregelt. Jedes Mehr würde die Subjektivität noch verstärken. Gerade in den Massenmedien besteht die Notwendigkeit eines Moderators bei zu starkem persönlichen Engagement. Auch kann eine sogenannte Demokratisierung dazu führen, daß sich die Parteden zum Sprecher der ORF-Teilnehmer und die Gewerkschaften zum Sprecher der ORF-Beschäftigten erklären. Das aber würde in Bälde wieder zum Proporz führen und zur Einmischung von Instanzen, die mit Programmgestaltung und Führungsfragen des Betriebes besser nichts zu tun haben.

Es darf nicht vergessen werden, daß das Problem des Fernsehens in Kontinentaleuropa und insbesondere in Österreich verhältnismäßig jung ist. Viele Politiker, wie beispielsweise der verstorbene Bundeskanzler Raab, haben das Fernsehen in seinem Anfangsstadium weit unterschätzt. Innerhalb weniger Jahre hat es sich aber explosiv entwickelt und bildet heute ein ebenso schwierig zu lösendes Problem wie die Bildungsexplosion.

Man kann zweifellos noch stärkere Kontrollinstanzen einbauen. Man müßte vor allem im ORF weniger empfindlich auf Kritik von seiten der Presse und der Bevölkerung reagieren und sich dabei die BBC noch mehr zum Vorbild nehmen, wo der Kunde viel stärker und ohne jegliche Zensur in Erscheinung tritt. Allerdings würden dann auch die Politiker härter angegangen werden, als dies heute geschieht, was wegen des verhältnismäßig geringen Durchschnittsniveaus der österreichischen Politiker eine neue Welle der Empörung gegen den ORF auslösen müßte. Hierher gehört auch die Fragestellung an den Politiker durch die Massenmedien. Während sie bei uns oftmals die Härte nur vortäuscht, ist diese Härte bei der BBC tatsächlich gegeben. Ein Beispiel möge für viele sprechen. Mit Exkanzler Klaus entwickelte sich vor den Wahlen etwa folgendes Gespräch: Frage: Denken Sie an eine Hofübergabe?

Antwort: Das kann ich jetzt noch nicht sagen, das wird sich erst nach den Wahlen entscheiden. Frage: Also nach den Wahlen wird es zur Hofübergabe kommen? Antwort: Diese Formulierung wäre verfrüht. Zunächst hat der Wähler das Wort.

Feststellung des Interviewers: Demnach kann man sagen, daß die Hofübergabe erst nach den Wahlen stattfinden wird.

Ein solches Interview ist im Grunde sinnlos. Ein Interviewer der BBC dagegen fragte während des britischen Wahlkampfes den konservativen Abgeordneten Powell, der die Rassenfrage in den Wahlkampf brachte und damit, \vie das Ergebnis vor allem in seinem Wahlkreis zeigt, sogar großen Erfolg erzielte: „Was,. Herr Abgeordneter, würden Sie fühlen, wenn Sie britischer Staatsbürger, jedoch Farbiger wären und sich in England auf Arbeitssuche begeben müßten, aber ein Abgeordneter Ihre Rasse zum Anlaß politischer Aufhetzung nähme?“ Eine solche Frage ist hart, besitzt aber auch Stil und zielt auf das Wesentliche eines Problems. Doch all dies ist eine Frage der Zeit und der besseren journalistischen Schulung. Das Hauptproblem, wie ein Machtmißbrauch verhütet werden kann, ist damit nicht gelöst. Selbst der Vorschlag, die Monopolstellung des ORF abzuschaffen und ein Konkurrenzunternehmen aufzuziehen, bietet nicht die Lösung an, weil er die Frage aufwirft, wer dieses Unternehmen finanziert und beherrscht.

Wie die Sachlage derzeit ist, bietet noch immer die Fairneß der führenden Persönlichkeiten und Programmgestalter des ORF die beste Gewähr vor dem Mißbrauch der Macht. Zweifellos ist es aber richtig, daß sich die Öffentlichkeit damit beschäftigt. Welche Lösung letztlich gefunden werden wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Vor allem bleibt es unbestritten, daß das Problem der Massenmedien ein Erziehungsproblem ist. Schon der Volksschüler muß zur Distanz und Kritik gegenüber Massenmedien erzogen werden. Hier liegt der Kernpunkt jeder Demokratisierung. Nur auf diese Weise werden aber auch die Meinungsmacher in den Massenmedien gezwungen,schon aus Selbsterhaltungstrieb das Höchstmaß an Objektivität walten zu lassen. Eine echte Demokratie beruht eben nicht auf Mitläufern, sondern darauf, daß der Staatsbürger das, was er hört und sieht, kritisch betrachtet und abwägt. Das aber ist in erster Linie eine Frage der Erziehung. Es klingt deshalb eigenartig, wenn Massenparteien die Massenmedien wegen ihrer Massenbeeinflussung an den Pranger stellen.

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