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Die funfte Macht

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Weit glücklicher dran als Frankreich, dessen Wahlkampf Schatten auf Weihnachten und Neujahr warf, hat Oesterreich ruhige Feiertage gehabt. Nun meldet sich der Alltag wieder. Nicht Milch und Honig, sondern Milchpreis und Petroleum stehen auf der Tagesordnung der ersten Ministerratssitzungen im neuen Jahr, im Wahljahr, das auch sonst große Anforderungen an unsere politische Reife stellen wird.

Nun hat sich schon in den letzten Tagen aus einem Vorfall im österreichischen Rundfunk fast eine kleine Volksbewegung ergeben, die dem Ausland vorerst unverständlich sein mußte. Wir rrrtj^en die Beendigung der wöchentlichen Zeitglosse mit der populären Praterfigur .(auch „Die Furche“ hat zweimal dazu Stellung genommen) und die breite Protestaktion gegen diese Verfügung. Mag sein, daß dabei da und dort in der Wiener Presse allzu heftig ins Feuer geblasen worden ist. Tatsache ist, daß die erste Reaktion unter den Hörern echt und spontan war; daß sich selbst der Kanzler zu einer Kundgebung für das freie Wort in der Demokratie veranlaßt sah; daß man also mit der Erklärung, die Wiener hätten sich wieder einmal Luft gemacht, weil man „um ein Spektakel sie betrogen“, nicht auskommt.

Da nun die ersten Wellen der Erregung verebbt sind, ist es jetzt auch möglich, leidenschaftslos darüber zu reden. Ausscheiden müssen dabei rein persönliche Kombinationen, die sich da und dort in die sachliche Debatte eingeschmuggelt haben. Sie können nicht Klärung bringen, sondern nur neue Verwirrung stiften. Nicht „Köpfe müssen rollen“. Uebrigens kennt die antike Sage Gebilde, an denen solche abgeschlagene Köpfe wieder nachwachsen ... *

In unserem Rundfunk sind Fehler gemacht worden — vielleicht die ersten Fehler im befreiten Oesterreich. Bis zur Befreiung haben sich die Verantwortlichen des Rundfunks an der schwierigen und unpopulären Aufgabe, inmitten des starken Druckes der östlichen Besatzungsmacht Atem und Leben in eine bessere Zeit hinüberzuretten, ehrenvoll bewährt. Das dürfen wir ihnen nicht vergessen. Der Rot-Weiß-Rot-Sender, weniger unter dem Drucke als vielmehr im Schutze der amerikanischen Besatzungsmacht, hatte es darin viel leichter — das soll wiederum seine saubere Leistung nicht verkleinern. Im übrigen hat es auch gegen ihn seinerzeit genug Kritik gegeben, wir haben es nur heute vergessen: Lieber Tote spricht man nur Gutes. Die Kalamität begann mit der Ein-schmelzung der Rot-Weiß-Rot-Erbmasse in den über Nacht autark gewordenen Block des „Oesterreichischen Rundfunks“, dessen Kern die einstige RA VAG darstellte. Hier wurde der erste entscheidende Fehler gemacht. Statt die einstige fruchtbare Konkurrenz zu einer Konzentration der Kräfte zu nützen, fühlte man sich stark genug, auf den unverhofften Zuwachs ruhig verzichten zu können. Man hat die besten Sendungen aus Rot-Weiß-Rot im Oesterreichischen Rundfunk niemals als legitime Kinder angesehen. Ja, zu Jahresende stellte sich so?ar heraus, $aÜ man sie entgegen den ausdrücklichen Zusagen im Sommer nicht einmal adoptieren wollte. Man entließ sie nicht gerade familiär aus dem Familienverband. Die vorgegebene Begründung, der knappe Haushalt zwinge zu diesen Einsparungen, konnte schon deswegen nicht überzeugen, weil die Entlassungen einseitig und ohne Rücksicht auf die fachliche Bewährung nur die. Leute von Rot-Weiß-Rot betrafen.

Von der Oeffentlichkeit weniger bemerkt, hatte sich inzwischen ein neuer Fehler in die Konstruktionspläne des Neuaufbaues eingeschlichen; eine Fehlerquelle, die weniger den leitenden Persönlichkeiten unseres Rundfunks als vielmehr dem mangelnden Alter unserer Staatsform zuzuschreiben ist: das politische Tauziehen um Aemter und Posten (der schleichende Tod schöpferischer Arbeit und fachlicher Qualifikation) und die Ueberempfindlichkeit der Parteien gegenüber echter Kritik. Es stellte inmitten des ganzen Vorfalles zur Jahreswende eine Groteske ganz eigener Art dar, daß man in der Parteipresse hüben und drüben in die Krokodilstränen den Vorwurf mischte, die Sendung habe die eine, eigene Partei zu heftig geohrfeigt, die Backe der anderen aber geschont! Das war überdeutlich. Wenn wir also auch der denkwürdigen Verabschiedung der umstrittenen Sendung die ehrliche Meinung des Sprechers zubilligen, der eine Einflußnahme der Parteien auf den Entschluß entschieden bestritt — wäre es nicht denkbar, daß der Parteienstaat in solchen Einflußnahmen ein gewisses Raffinement, ein System feiner Kanäle entwickelt haben könnte, deren Ursprung auch dem Opfer nicht immer bewußt werden muß? Es sei auch in dieser Stunde nicht vergessen, daß wir der Vernunftehe der beiden großen Parteien zehn Jahre innenpolitischen Friedens, ja in gewissem Sinne unser ganzes Aufbauwerk verdanken. Dies schließt nicht aus, daß wir die Begriffe Koalition und Proporz und gar Demokratie und Proporz nach wie vor scharf trennen müssen. Proporz, das heißt die politische Durchdringung und Aufteilung aller natürlichen und schöpferischen Regungen des Lebens, ist nun einmal nicht Demokratie. Er ist nur ihr Fettansatz. Ihm ist es vielleicht zuzuschreiben, daß in unserem Rundfunk der Nachrichtendienst so überaus — vorsichtig gesprochen — vorsichtig ist, daß man sich weigert, Pressestimmen zu senden und einem innenpolitischen Kommentator wie früher regelmäßig das Wort zu erteilen. Resigniert läßt man die Nachrichten unter der einen, den Zeitfunk unter der anderen Flagge segeln. Ferner: In der Weltmusikstadt Wien gibt es keine musikkritische Sendung. Es gibt keine Rundfunkkritik der bildenden Kunst. Eine der meistgehörten kulturkritischen Sendungen wurde überhaupt aufgelassen, ihr schwacher „Ersatz“ (mit dem bezeichnenden Titel „Ja — Nein“) auf

UKW und auf tote Sendezeiten abgeschoben und stolperte schließlich ganz über eine kritische Besprechung. Ueber die anderswo so früh in ihrer ganzen Bedeutung erkannten eigenen Kurzwellen-Nachrichten fürs Ausland kann und will man sich bei uns nicht einigen, angeblich fehlen dafür die im Jahr erforderlichen 360.000 Schilling. Dagegen betreut der Kulturredakteur munter die aktuelle Abteilung, der Musikfachmann die Unterhaltung/Wort u. ä. — Zufallsbesetzungen oder: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste des Proporzes.

Bei der Verabschiedung der kritischen Sendung und ihrer Mitarbeiter machte man schließlich einen dritten Fehler: Man ließ die Kollegen vor aller Oeffentlichkeit fallen und sprach sie schuldig, bei ihrer heiklen Arbeit flüchtig und fahrlässig gehandelt zu haben. Die Entgegnung des verabschiedeten Teams, das von den 471 glossierten Fällen doch nur ganze acht berichtigt worden seien (ein sehr geringer Prozentsatz, wenn man die natürlichen Fehlerquellen solcher Informationen berücksichtigt!) ist bisher unwidersprochen geblieben. So hätte auch die „Urteilsbegründung“ eine gewisse Zurückhaltung beanspruchen dürfen.

So oder so, die einstige Rot-Weiß-Rot-Sendung ist tot. Sie ist nicht gestorben, sie ist gestorben worden. Sie war originell, temperamentvoll, aber nicht unanständig, mit menschlichen Unzulänglichkeiten behaftet, aber nicht bösartig und einseitig. Es wird in der jetzigen Atmosphäre nicht leicht sein, die aufgescheuchte Hörerschaft mit einem Ersatz wie etwa dem Versuch am letzten Sonntag zufriedenzustellen.

Der Preis ist nicht gering, aber er wäre nicht zu hoch, wenn wir für diese nur scheinbar vergebliche spontane Aeußerung der Vox populi Freiheit, Unabhängigkeit und Leistungskraft des Oesterreichischen Rundfunks, einer der bedeutendsten Aeußerungen österreichischer Art und österreichischen Geistes, eintauschen. Denn, ohne die Vorfälle um Neujahr vergrößern oder verkleinern zu wollen: Unter der harmlosen Oberfläche der an sich nicht welterschütternden Bewegung wurde tatsächlich mehr sichtbar als nur die Notwendigkeit der Reformierung von Kritik und Unterhaltung im Aether: die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeit unserer stärksten demokratischen Bewährung.

Vier Mächte sind wir los: wir sind befreit. Die fünfte Macht sind wir selber. Erst wenn wir sie klar erkannt haben, sind wir frei.

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