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Rando em erkun gen ZUR WOCHE

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EINE HANDFESTE DEFINITION DER DEMOKRATIE ist die, daß Demokratie Diskussion, Recht zur Kritik ist. Man soll offen reden dürfen, Fehlerhaftes aufzeigen und Änderungen verlangen. Das ist gut und soll so sein.. Kein Geringerer als Papst Pius XII. hat der Gegenwart die ernsten Sätze vorgehalten: „Wenn man nach mehr und besserer Demokratie ruft, so kann ein derartiges Verlangen nur bedeuten, es müsse dem Staatsbürger immer mehr die Möglichkeit geboten werden, sich eine eigene persönliche Ansicht zu bilden, ihr Ausdruck zu verleihen und in einer dem Gesamtwohl entsprechenden Weise Geltung zu verschaffen.“ Seit langem nun widerhallt es in der österreichischen Parteipresse von Kritik und Vorwürfen, aber wahrlich nicht „in einer dem Gesamtwohl entsprechenden Weise“. Eine politische Gruppe beschuldigt die andere tiefgehender Korruption, das politische Klima wird immer mehr vergiftet. So weit die Öffentlichkeit von den durch Parteihysterie und Wahlberechnung bestimmten Debatten überhaupt Kenntnis nimmt oder vielmehr Kenntnis zu nehmen gezwungen ist, fühlt sie sich, durch die wechselseitigen Angriffe zu Schadenfreude, Haß oder Ekel angeregt, ob so oder so, zum Schaden unseres Öffentlichen Lebens. Kritik und selbst Angriff sollen nicht verhindert werden, aber beide, Kritik wie Angriff, sollen von den Parteien — von denen ja jede für sich, nur „pars", nur „ein Teil“ ist — unter strenger verantwortungsbewußter Rücksichtnahme auf das Ganze geübt werden. Dann, aber auch nur dann kann von der Bevölkerung erwartet werden, daß sie das Ergebnis von Kritik, Angriff in Zeitungsauseinandersetzungen und Prozessen als sachlich gerechtfertigt hinnimmt und anerkennt. Man kämpft um sein Recht, sei es vor Gericht und Verwaltung, sei es in Volksversammlungen oder bei Wahlen. Dann aber nimmt man die Entscheidung hin und unterwirft sich. Werden die verschiedenen politischen Akteure hören wollen? Immer stärker wird Unwille und Unbehagen in der Bevölkerung über die gegenseitigen Gehässigkeiten der Parteipolitik. Menzel, gleich groß als Jurist wie als Rechtshistoriker, hat einmal gesagt: „Der Staat ist das, für was man ihn hält.“ Das gilt vor allem auch von den Parteien im Staate. Man entwürdigt sich selbst, wenn man den Gegner entwürdigt, zudem den Parteigegner, mit dem man ja doch morgen oder übermorgen wieder an einem Tisch sitzen wird. Würden die diversen. Parteifunktionäre mehr ins Volk hören, sie würden erschrecken, wie sehr durch ihre Schuld das demokratische Staatswesen schon Schaden gelitten hat. Franz Grillparzer sei ZU' Lehr und Warnung zitiert, sein Wort richtet sich an alle, die im Namen von Parteien allzu unbekümmert auf der politischen Tribüne herumschlagen:

„Ihr habt bei Nacht und Nebel gekriegt

Und euer Feind, er liegt besiegt.

Doch als man die Leiche bei Licht erkannt, Da war's euer eigenes Vaterland.“

Zu verhindern, daß dies nochmals unser Schicksal werde, seien die Einsichtigen und Gewissenhaften in allen Parteien aufgerufen. •

IN DACHAU war ein Häftling, den alle seine Schicksalsgenossen, ihrer zehntausend, kannten. Er stand in dem berüchtigtsten Arbeitskommando unter dem Befehl eines Mörders und schanzte in schwerer Grabenarbeit. Er war ein in das Nichts Versenkter, eine bloße Lagernummer wie alle anderen auch, ein Sklave im grau-blau gestreiften Gefangenenkittel. Der letzte bayrische Roßknecht, der SS-Uniform trug, duzte ihn, der tief unter ihm stand in der damals gültigen menschlichen Rangordnung. Und dennoch war etwas Besonderes an diesem Gefangenen. Er wurde jedem Neuankömmling im Lager gezeigt, als einer, der sich durch keine Gewalt beugen ließ, ein Vorbild, das den Österreicher wie den reichsdeutschen Kommunisten und Sozialdemokraten ermutigte, es ihm gleich zu tun, ein Gefangener und doch ein Freier, ein Waffenloser und doch ein Kämpfer, ein Erniedrigter und doch ein über die Masse Erhöhter. Deshalb war es kein Wunder, daß dieser Österreicher Hitler höchst gefährlich schien. Knapp vor dem Ende, als Hitler seine letzten Tollwutsanfälle hatte, erfolgte aus der Berliner Reichskanzlei der Befehl, diesen Gegner zu liquidieren. Die Ausführung scheiterte an der Wachsamkeit der Gattin des Bedrohten. So konnte dieser Tage — am 29. September — Herzog Max von Hohenberg seinen 50. Geburtstag feiern. .

DIE ÖSTERREICHISCHE HOCHSCHÜLERSCHAFT hat zu einem allgemeinen Inskriptionsboykott an allen österreichischen Hochschulen aufgerufen. Sollte bis zum Vorlesungsbeginn die neue Erhöhung der Studiengebühren nicht zurückgezogen sein, fordert die Hochschülerschaft zu einem allgemeinen Hörerstreik auf und will weiter durch Versammlungen und Demonstrationszüge auf ihre Lage aufmerksam machen.

Wer die Vorgänge um unsere Hochschulen in die richtige Perspektive bekommen will, tut gut daran, einige Monate zurückzudenken. Damals, im Mai, sollte bekanntlich ein großer Demonstrationszug die geistig Schaffenden, erstmalig geeint, über die Wiener Ringstraße zur Großkundgebung ins Konzerthaus führen. An der Spitze wären, laut offizieller Zusage, die Akademie der Wissenschaften und die Lehrkörper der hohen Schulen marschiert. Diese Aktion wurde damals verhindert. Heute fragt sich, ob sie nicht hätte stattfinden müssen; sie hätte sicherlich ein richtigeres Bild von den allgemeinen Verhältnissen der geistigen Arbeiter in Österreich geboten als die gegenwärtige Engpaßsituation — und hätte Studenten und Ministerium entlastet. Dies nämlich ist eine beträchtliche Verengung

des Blicks: es geht gar nicht, wie Außenstehende annehmen, um einen Strauß zwischen Studenten und ihrem Ministerium — diese beiden Partner sind selbst Opfer einer Gesamtsituation, deren Bereinigung man immer wieder verschoben hat. Wenn Volk und Staat, Öffentlichkeit und Nationalrat ihrer Fürsorge für Kultur und Erziehung besser nachgekommen wären, dann stünden heute unsere Studenten nicht ohne Mittel und ihr Ministerium nicht ohne Budget da. Es berührt grotesk: alle Parteien im Parlament haben die Vertreter der Hochschülerschaft im Nationalrat empfangen und mit tröstlichen Worten entlassen — keine aber hat bisher etwas getan, um durch Gesetzgebung, Budget und Notstandsmaßnahmen dem notleidenden Stand der Wissenschaft und Kultur hinreichend zu helfen. Niemand, der auch nur einen Blick auf die Budgets anderer Kleinstaaten (Finnland, Dänemark, Belgien) wirft, wird es wagen, den Posten unseres Staatshaushalts für Unterricht und Kultur als Budget zu bezeichnen. Hieran aber liegt es eben: unser Unterrichtsministerium muß von Jahr zu Jahr und von Tag zu Tag in immer ausweglosere Situationen gedrängt werden, wenn ihm nicht wirklich seinen Aufgaben entsprechende Mittel bewilligt werden. Und die österreichische Studentenschaft muß, als momentan sichtbarster Körperteil des Corpus der geistigen Arbeiter Österreichs, zunächst zu Streiks und Demonstrationen und dann in eine politische Resistance getrieben werden, die für die Zukunft des Gesamtstaats nur von bedenklichsten Folgen sein kann. Man bedenke also: die österreichische Hochschülerschaft kann nicht auf ernste Aktionen der Selbstverteidigung verzichten, will sie nicht jeden Kredit bei ihren Mitgliedern verlieren. Das Ministerium kann, allein gelassen, nicht „weiterwurschteln“, von halben Erfolgen zu ganzen Niederlagen. Beide bedürfen nicht des Hohns oder der Ablehnung, sondern der Hilfe. Das erste Wort hat der Nationalrat; gleichzeitig sind aber Kammern und Gewerkschaften, alle Bünde, Parteien und Verbände aufgerufen, durch ein Sofortprogramm einzuschreiten gegen den geistigen Aus- und Abverkauf Österreichs, und dagegen, daß man unsere Studenten auf die Straße treibt, weil sie Sorge tragen, von allen verlassen zu sein.

DER STACHANOWIST FERENC CSETÖ liest leidenschaftlich gern. Seine neue Arbeitsmethode im Schnell fr äs en, womit er seinen Plansoll 1700prozentig (!) erfüllt hat, lernte er aus einem Sowjetfachbuch. Der Journalist fragt ihn aus diesem Anlaß „unwillkürlich“: „Lesen Sie auch anderes außer Fachbüchern?“ „Hauptsächlich politische Werke“, kommt die Antwort. „Ich las die Geschichte der Partei und studierte die ausgewählten Werke von Matthias Rä- kosi." Haben Sie Zeit auch zum Lesen von schöner Literatur?“ Das freilich schon weniger, doch: es geht. Auch die Frau liest. Sie lasen zuletzt „Fern von Moskau“. „Wir beide lieben die Sowjetromane sehr.“ Das Lieblingsbuch ist „Die junge Garde“. Unmittelbar neben diesem Gespräch steht im „Magyar Nemzet“ am 30. August 1952: „Die sich hinter der Priesterrobe versteckende Reaktion ist bestrebt, ihre zerstörerische Arbeit wieder einmal auf einem neuen Gebiet zu entwickeln. Ihrer Aufmerksamkeit entging der immer stärkere Durst der Massen nach Büchern nicht, und sie ist bestrebt, die Seelen auch durch diese zu versuchen. Von Tag zu Tag beweisen neue Belege die Versuche der klerikalen Reaktion auf dem Gebiet der .Kultur',“ Haben sie am Ende gar mehr Erfolg? Noch scheint „Polen“ nicht verloren

schäft Beschäftigten infolge des sozialen Schutzes sich einer besseren Gesundheit erfreuen als die bäuerliche Bevölkerung. Man sieht in diesem Falle deutlich den Vorteil einer sozialen Betreuung.

Den Jugendlichen wird zu früh und zu schwere Arbeit zugemutet, auf Freizeit und Erholung zu wenig gesehen. Die einsetzende Technik wirkt sich auch negativ auf den Gesundheitszustand der bäuerlichen Bevölkerung aus, da eine Zunahme von nervösen Erkrankungen feststellbar ist. Während früher die menschliche und tierische Arbeitskraft und auch die Witterung den Arbeitsverlauf bestimmten, wird er heute von der Maschine, welche keine Ruhepausen benötigt, vorgeschrieben.

Es sind alle Befragten der Meinung, daß der Gesundheitszustand der landwirtschaftlich tätigen Jugend .bedeutend schlechter ist als jener der Jugendlichen in den übrigen Bevölkerungskreisen. Aber nicht nur dies allein, es taucht auch die Behauptung auf, daß der Gesundheitszustand aller in der Landwirtschaft Tätigen im Vergleich zu den übrigen Berufen am ungünstigsten abschneidet.

Da nun das Land bevölkerungsmäßig die Stadt erhält, ist es kein Problem eines einzelnen Berufsstandes, sondern ein Problem und eine Gefahr für das ganze Volk. Die Ursachen der Gesundheitsschädigung sind für Jugendliche ja schon kurz aufgezählt worden, für Erwachsene käme noch dazu, daß die Wohnverhältnisse in gewissen Teilen Österreichs um ein Bedeutendes schlechter sind als in der Stadt. Trockene Wohnungen sind in

ganzen Landesteilen eine Seltenheit, die Arbeitsüberlastung der ländlichen Bevölkerung, verursacht durch die Landflucht, hat ein gigantisches Maß erreicht. Der selbständige Erwerbstätige kann mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit im Verlauf eines Jahres von täglich zwölf Stunden rechnen, der Einsatz der Maschinen nimmt wohl einen Teil der schweren Arbeit, erhöht aber die Arbeitern t e n s i t ä t. Die Arbeitsüberlastung bringt auch eine mangelhafte Kinderpflege mit sich. Der Einsatz der sozialen Betreuung wird in der Stadt bedeutend intensiver durchgeführt als auf dem Land.

Aus all diesen Gründen ergeben sich auch die Abhilfemaßnahmen. Arbeitsparende Maschinen, Wasserleitungen, Waschanlagen, Urlaubsaktionen, Schaffung von Erholungsheimen. Einsatz von Aushilfskräften in Form von Haushaltshilfen für die auf Erholung gehende Bauersfrau und dergleichen mehr. Die erhöhte Sozialbetreuung ist vertretbar, da eine Gesundheitsgefährdung des Landvolkes auch eine Gesundheitsgefährdung der übrigen Bevölkerungskreise mit sich bringt, und daher auch der Landwirt die gleiche soziale Hilfę bei staatlichen Maßnahmen in Anspruch zu nehmen berechtigt ist.

Die Dringlichkeit dieses Problems würde dazu berechtigen, daß diese Fragen von einer Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus Ärzten, Soziologen, Hygienikern und auch Landwirten, einer genauen Prüfung unterzogen wird. Denn — ein kranker Bauernstand würde ein sterbendes Land zur Folge haben.

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