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Randhemerkungen zur woche

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Als der französische Sozialistenfv.hrer Leon Blum, dessen Tod in diesen Tagen vom europäischen Sozialismus betrauert wird, im Kriege von den Deutschen in ein Lager gebracht wird, schreibt er seinen Kindern, um ihnen trotz Zensur seinen Aufenthaltsort bekanntzugeben, sie sollten in Goethes Gesprächen mit Eckermann die Erzählung von einem Ausflug der Weimarer Hofgesellschaft nachlesen. Der liebliche Ort, von Goethe gerühmt, trägt den Namen Buchenwald. Der französische Sozialist, der im Jahre 1900 ein Werk über Goethes Gespräche mit Eckermann geschrieben hatte, schreibt nun im KZ sein mit Recht auch ins Deutsche übertragene Buch „Auf der Ebene der Menschlichkeit“. Der Greis in Buchenwald blickt auf ein Kämpferleben zurück. Der junge Blum, aus sehr guter, sehr bürgerlicher Familie stammend, ist Ästhet, ein homme des lettres. Ein brillanter Theaterkritiker. Der Fall Dreyfus zerschlägt seine geschlossene Welt, wirft ihn in die Politik. Der Schüler von Jauris wird Führer der französischen Sozialisten. Als solchem wird ihm jene Tragik zuteil, die ein Zeitalter der Extreme und der Extremisten für den Mann der Mitte, des Maßes, einer intellek-lualen Humanität bereit hat. Es gelingt Blum nicht, den Kommunismus zu überwinden, der ihm sogar die „Humanite“, das teuerste Erbe Jaures' raubt, er scheitert gegen den überspitzten Nationalismus in der eigenen Partei. Weder 1936 noch 1946/47 kann er als Ministerpräsident dem Weg seines Volkes eine entscheidende Wende geben. Er kann aber eines — ausharren. Ein Wegweiser seiner Partei, ein politisches Gewissen seines Landes. Seine Reden und Aufsätze, von der berühmten Verteidigungsrede vor dem Gerichtshof in Riom 1942 bis zu den Artikeln der letzten Lebenstage sind das Mal eines politischen Charakters, eines Mannes von europäischer Gesinnung. Ein großer europäischer Sozialist ist gestorben.

JVach Aussage des Finanzministers ist die Durchführung des Wohnhauswiederaufbaugesetzes problematisch geworden, da die Grundlagen für die Beitragsfestsetzung überaltert sind und die Kosten einer Neuerfassung der . Beitragspflichtigen in keinem Verhältnis zum erzielbaren Erfolg stehen würden. Die Mittel, die dem Wohnhauswiederaufbaufonds nach der Bestimmung des Gesetzes in der zweiten Hälfte 1950 aus Beiträgen der Hausherren und Mieter zur Verfügung stehen sollen, werden daher auf einem anderen Wege einzubringen sein. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, einmal mehr die bedauernswerte Übereiltheit eines Erzeugnisses der zu lange auf Hochtouren gelaufenen Gesetzesmaschine zu beklagen, bei der eine rechtzeitige Überprüfung der praktischen Voraussetzungen offenbar unterblieben ist. Wenn dies aus allzugroßem Vertrauen auf ausländische Kredithilfe geschehen sein sollte, so stehen wir nun jedoch vor der Tatsache, daß die von Seiten der Marshall-Plan-Hilfe zur Freigabe gelangenden 100 Millionen Schilling wirklich nur eine Überbrückung darstellen können. Die verschiedenen Vorstellungen, die die beiden Regierungsparteien von einer Lösung des durch Jahrzehnte verschleppten, um nicht zu sagen verschlampten Mieten- und Wohnraumproblems haben, machen, obzwar sie einander bereits angenähert sind, eine solche Überbrückung nochmals notwendig. Die Ankündigung von Mietzinserhöhungen in den Gemeindebauten durch den sozialistischen Wiener Stadtrat für das Bauwesen zeigt, daß auch die beste Doktrin an wirtschaftlichen Tatsachen eben nicht vorbeikommt.

Eine Wochenzeitung hat dieser Tage an das Unterrichtsministerium einen „Appell“ gerichtet, in dem nicht mehr und nicht weniger gefordert wird, als daß man einige bedeutende österreichische Künstler, die an der Akademie der bildenden Künste Professoren sind, öffentlich maßregeln möge; denn was sie lehrten, sei „abwegig“ und „zersetzend“, ihre Schüler würden von ihnen „tyrannisiert“ und was dergleichen mehr ist. Das ganze Vokabular einer ehemaligen Reichskulturkammei— deren Erbe übrigens von den volksdemokratischen Totalitärstaaten verwaltet wird — wurde aufgeboten, um die Diffamierung der Angegriffenen zu erreichen. Über die Bedeutung, über Wert odervUnwert der Gegenwartskunst, wird sicherlich noch manches Wort gesagt werden müssen. Aber es wird darauf zu achten sein, daß dies an Orten geschieht, an denen Fairneß und Achtung auch gegenüber Andersdenkenden selbstverständliche Voraussetzung jeder Diskussion sind. Es verdient übrigens vermerkt zu werden, daß die französische Kulturmission in Wien sich mit den Angegriffenen — die anläßlich von Ausstellungen ihrer Werke in Frankreich viel Erfolg hatten — solidarisch erklärte und in ihren Wochenaussendungen die entschiedene Stellungnahme von Persönlichkeiten des

österreichischen Geisteslebens und deren Mahnung, die Freiheit der Kunst nicht beeinträchtigen zu lassen, einer größeren Öffentlichkeit zu Gehör brachte. Eine Handlung, die dem Nichtfranzosen Achtung abnötigt und, leider, eine kleine Beschämung nicht erspart.

Auf Antrag des Landeshauptmanns Dr. Gleißner beschloß die oberösterreichische Landesregierung, ihren Angestellten Prämien bis zu 3000 Schilling zu bezahlen, wenn sie geeignete und praktisch durchführbare Vorschläge zur Verwaltungsreform vorbringen können. — Diesem ebenso einleuchtenden wie zeitgemäßen Gedanken der oberösterreichischen Landesregierung, deren stille Tüchtigkeit jeden Lobes wert ist, darf der Beifall nicht versagt sein. Mag sein, daß er ein „Amerikanismus“ ist — aber wenn, dann jedenfalls ein recht erfrischender. Vielleicht sollte man bei dieser passenden Gelegenheit daran erinnern, daß die Prämie für besondere Leistungen in sehr vielen Zweigen der Industrie und des Gewerbes eine wesentliche Rolle spielt; sie isi in einer Zeit weitgehender Lohnnivellierung vielfach das einzige Mittel, mit dem der Tüchtige beweisen kann, daß er eben der Tüchtigere ist. Daß eine Leistungsprämie auch im öffentlichen Dienst Gutes bringen könnte, wird das kluge Experiment der Oberösterreicher hoffentlich bald bewiesen haben; daß sie dem Stachanowzentum und dem Henneckismus die Türe öffnen könnte, wird man ernstlich wohl nicht befürchten müssen...

Die „österreichische Furche“ hat kürzlich in einer Kritik der Festaufführung eines ausgezeichneten österreichischen Kulturfilms über die Festspielstadt Salzburg mit deutlichem Seitenblick auf gewisse Zauderer unter den Kinobesitzern anzüglich angemerkt, daß dieser Film nunmehr nicht bloß im Ausland, sondern „vielleicht sogar“ im eigenen Land zu sehen sein werde. Wohlgemeinte, fruchtbare Ironie wie die obige pflegt heutzutage in der Regel bei den Betroffenen eine überempfindliche Reaktion auszulösen. Um so erfreulicher die Ausnahme: im offiziellen Mitteilungsblatt des Fachverbandes der österreichischen Lichtspieltheater nimmt der Vorsteher des Verbandes den Hinweis der „österreichischen Furche“ zum Anlaß eines auffälligen Appells an die Kinobesitzer, dem Kulturfilm mit warmem Herzen, ohne Rücksicht auf kalte Kalkulationen, einen Weg in das breiteste Programm zu ebnen. So prompte, „empfindliche“ Reaktion darf man sich gefallen lassen. Die Kinobesitzer, von denen ein Großteil heute noch unter schweren Kriegsnachwirkungen, in Wien auch unter der vehementen Saugwirkung parteipolitischer Trustbestrebungen zu leiden hat, geben damit ein vorbildliches Beispiel, wie man in echt demokratischer Begegnung auch auf kritische Spitzen und spitze Kritiken mit einem gleichsam produktiven Scharm replizieren kann. Man wünschte sich dieses Exempel gerne auch auf andere Gebiete der öffentlichen Diskussion angewendet.

Die tschechischen Machthaber — wenn man ihnen überhaupt eine eigene Initiative zubilligen und den Kampf gegen die katholische Kirche in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang nicht als Ergebnis einer zentralen Leitung ansprechen muß — scheinen aus dem Mindszenty-Prozeß und seinem weltweiten Echo gelernt zu haben. Ist doch „Mindszenty“ ein Fanal, ein Begriff, ein Kampfruf geworden. In Prag will man jetzt klüger vorgehen und die katholische Kirche des Landes nicht in ihrem sichtbaren Oberhaupt, sondern in der ganzen Breite ihrer religiösen Organisationen treffen. Die Methode weckt eine fatale Erinnerung an die einst von Goebbels inszenierten „Ordensprozesse“. Die Orden, von deren Leistungen in vergangenen Jahrhunderten das böhmische, mährische und schlesische Land mit zahlreichen Kulturdenkmälern Zeugnis ablegt, sollen durch diesen Prozeß in den Augen des Volkes diffamiert werden. Und doch: Trotz aller meisterhaften Beherrschung der modernsten technischen Mittel kann schon jetzt gesagt werden, daß auch dieser Versuch, die Kirche aus dem Herzen des Volkes zu reißen, zum Scheitern verurteilt ist. Die Technik der modernen Christenverfolger hat an die Stelle des sichtbaren Martyriums früherer Zeiten ein noch furchtbareres unsichtbares Martyrium gesetzt, das Geist und Seele aus dem ihm unterworfenen Körper gleichsam heraussaugt und ihn zum willenlosen Werkzeug furchtbarster Schändung macht. Aber ein Martyrium bleibt es gleichwohl und so bleibt auch die alte Wahrheit bestehen, daß die Leiden ihrer Zeugen den Sieg der Kirche

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