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Saure Wochen

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Das „frohe Fest“ ist vorüber: Die „sauren Wochen“ stehen vor der Tür. Bald wird es auch aus sein mit der Ruhe, die während der Feiertage Stadt und Land erfüllte. Nur noch wenige Tage, dann weiden die ersten politischen Plakate auf den Litfaßsäulen auftauchen, Lautsprecherwagen werden wieder durch die Straßen fahren und wenn die Post ins Haus kommt, so wird sie statt gut gemeinter Feiertagswünsche Werbebroschüren und Flugzettel im Briefkasten zurücklassen — der Wahlkampf 1956 fordert sein Recht.

Es ist eine ernste Entscheidung, zu der aufgerufen wird. Auch dann, wenn nüchterne Fragen der Wirtschaftspolitik im Vordergrund der Auseinandersetzung stehen: Erdöl, Verstaatlichung, Volksaktie, Luftfahrt, Milchpreis ... Es heißt das österreichische Volk für dumm einschätzen, wenn man ihm da und dort nicht eine gute Portion Hausverstand zur richtigen Orientierung in dem Gestrüpp dieser bestimmt nicht gerade einfachen Fragen zutraut und kurz entschlossen nach einer ideologischen Narkose ruft. „Schwarz“ und „Rot“: wieviel leichter ist es doch 'mit politischen Farbkomplexen zu jonglieren als nüchtern zu argumentieren. Wieviel leichter — und wieviel gefährlicher...

Dabei gewinnen von Jahr zu Jahr immer mehr Menschen die Ueberzeugung, daß das bekannte Napoleon-Wort „Die Politik ist unser Schicksal“, für das 20. Jahrhundert sinngemäß variiert „Die Wirtschaft ist unser Schicksal“, lautet.

Wer aber auch solchen Lieberlegungen unzugänglich erscheint, der kann auf keinen Fall den zweiten großen Aspekt des bevorstehenden Wahlganges übersehen: Es geht um die Führung in diesem Staat!

Die Ausgangsposition des großen Rennens, das nun beginnt, ist bekannt: Mit nur einem Mandat Abstand hat sich bei den letzten Nationalratswahlen die Sozialistische Partei an die Fersen der Volkspartei geheftet. Seit diesem Tag hält man im sozialistischen Lager Ausschau nach der günstigsten Gelegenheit, um „aufs Ganze zu gehen“. Im Spätwinter dieses Jahres schien die Gelegenheit gekommen. Die Temperatur in der Koalition paßte sich jener der arktischen Kaltlufteinbrüche an. Die rote Mappe wanderte in den Nationalrat.

Die Volkspartei hat den ihr wider alle Abmachungen vorzeitig zugeworfenen Fehdehandschuh mit Ruhe aufgenommen. Weiß sie sich doch nicht ausschließlich in der Defensive. Die von Jahr zu Jahr sich in breiten Schichten verstärkende Unlust an der polypenhaften Ausbreitung der verschiedensten „Apparate“, als deren Geburtshelfer der Parteisozialismus erkannt wird, ist ein fester Posten in der Rechnung ihrer verantwortlichen Männer. Die allgemeine Abneigung gegen jede Ausweitung der staatlichen Hoheitslierrschaft kommt hinzu.

Wenig Neues und Bemerkenswertes gibt es auf den parlamentarischen Flügeln zu verzeichnen. Einige Zeit rückte die KPOe in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Würde die von Chruschtschow verkündete Taktik der Anbiederung an den westeuropäischen Sozialismus auch für sie wirksam werden? Wenn ja, dann könnte eine höhere Weisung die Parole „Im Kampf um die Arbeitereinheit stimmen wir Kommunisten diesmal für die sozialistischen Kandidaten“, erhebliche Verwirrune — und auch Verschiebungen auslösen. Doch allen Anschein nach entschied man in Moskau anders. Das stärkere In-die-AusIage-Stellen der „linkssozialistischen“ Fellow-Travellers um Herrn Scharf ist eine schon weit weniger interessante „Kompromißlösung“. Wenn die „Völkerwanderung en miniature“, die in die gefährdeten Grundmandatwahlkreise seit langem organisiert wird, gelingt, dann dürfte auch im neuen Nationalrat die KP mit ihren traditionellen vier Abgeordneten die „stabilste“ parlamentarische Partei bleiben.

Dieselbe „Stabilität“ wird man auf der anderen Seite des Parlaments voraussichtlich vermissen. Politische Spekulationen und Kombinationen sind nicht unsere Sache. Es ist jedoch kein Geheimnis, daß der vorzeitige Wahltermin den ehemaligen „Verband der Unabhängigen“ mitten in seiner Umgruppierung zur sogenannten „Freiheitlichen Partei Oesterreichs“ antrifft. Die personalen Verhältnisse sind zur Stunde noch nicht restlos geklärt. Rivalitäten zwischen „alten“ VdU-Leuten und „neuen“ FPOe-Män-nern treten hinzu. Dazu kommt, daß sich die neue politische Gruppe, abgesehe von ihrer Rolle der Sammelbecken nationalliberaler Elemente, keineswegs schärfer profiliert hat. Der VdU war hier zweifelsohne ein festerer Begriff, sein Name stärker im Ohr. Wirft man einen Blick auf die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen, dann dürfte die Opposition auf der Rechten nicht aus allen Wolken fallen, wenn sie um die Hälfte ihrer Mandate erleichtert wird. Neun oder zehn Sitze wären schon ein Geschenk des Himmels und der Wahlarithmetik.

Es ist schon so, wie wir es bei den letzten Urnengängen immer wieder aufgezeigt haben: im ernsten politischen Spiel rol-lenderzeitallein zwei Kugeln.

Knappe fünf Wochen ist den politischen Propagandisten Frist gegönnt. Sie werden sie zu nützen wissen. Hoffen wir es, mit Verstand, Geschick und — was nicht ganz unwesentlich wäre — auch mit etwas Humor. Denn darüber dürfte kein Zweifel sein: es herrscht landauf, landab nirgends ein richtiges „Wahlklima“. Die Oesterreicher gleichen in diesen Tagen ein wenig Goethes Ostcrspaziergängern, die ganz gern einiges „von Krieg und Kriegsgeschrei“ sich anhören, doch am liebsten dann, wenn der Schauplatz „fern in der Türkei“ zu suchen ist. Auf keinen Fall aber bestehen in breiten Schichten besondere Ambitionen, sich i das Getümmel der Wahlschlacht zu stürzen oder von den Wogen der (künstlich) aufgepeitschten Leidenschaften mitreißen zu lassen. Das mag den Männern, die die Werbetrommel rühren, nicht geringes Kopfzerbrechen bereiten, es ist jedoch besser, sich darauf einzustellen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wenn also, wie man hört, zum Beispiel die Sozialistische Partei die Absicht hat, auf den großen Straßen und Plätzen der Bundeshauptstadt Bohrtürme aufzustellen, die den von ihr forcierten Charakter des Urnenganges am 13. Mai als „Erdölwahr recht sinnfällig unterstreichen sollen, so wäre es nicht die schlechteste Antwort von der anderen Seite, den „Verstaatlichungsminister“ im Pyjama Mossadeghs erscheinen zu lassen ...

Um nicht mißverstanden zu werden: hier wird keineswegs empfohlen, eine ernste politische Entscheidung wie sie ohne Zweifel, die Nationalratswahl vom 13. Mai ist, in ein Kasperl-theater umzubiegen. Allein, es het sich schon mehr als einmal gerade bei den Menschen unseres Landes erwiesen: Sie sind abgestumpft gegen große tönende Worte, dem befreienden Lachen aber öffnet sich stets ihr Herz.

Vor Wahlen ist es üblich, ein Abkommen über einen „fairen“ Wahlkampf zu schließen. Persönliche Verunglimpflichungen des Gegners

fallen ausg schaltet, Exzesse vermieden werden Man darf solchen Abmachungen, sosehr man sie auch begrüßt, mit einiger Skepsis gegenüberstehen. In der Hitze der Wahlschlacht erweisen sie sich meistens — leider — doch nur als ein Blatt Papier und nicht mehr. Es muß ja nicht gerade immer zu solch häßlichen Szenen kommen wie in der 2. Runde der letzten Präsidentenwahl ... Allein, die Erfahrung lehrt: je knapper das Rennen, desto härter der Kampf um die Führung, um so leichter fallen auch alle Zügel, die man sich vorher selbst anzulegen gelobt hat. Auf keinen Fall kann es daher schaden, sich zumindest beim Start die guten Vorsätze in Erinnerung zu rufen.

Nicht unerwähnt soll hier das Beispiel der Stadt Linz bleiben. Hier begnügt man sich nicht mit Appellen gegen die Verschandelung der Stadt und Landschaft durch „wilde“ Plakataktionen sowie durch Streichkommandos. Schon bei den letzten oberösterreichischen Landtagswahlen hat man, ähnlich wie in Frankreich, an der Saar: und zuletzt auch bei verschiedenen Länderwahlen der Deutschen Bundesrepublik, eigene Plakatwände aufgerichtet, auf denen jede Partei gleichen Raum für die Anbringung ihrer Affiche erhielt. Dort, aber nur dort, durfte sie plakatieren nach Herzenslust. Das Experiment scheint sich bewährt zu haben. Es wird diesmal wiederholt. Auf jeden Fall verdient es nachgeahmt zu werden. Die Linzer haben kein Patent darauf angemeldet!

Das große Rennen beginnt... Es wäre zuviel verlangt, die olympischen Tugenden von jenen Männern zu verlangen, die jetzt m die Arena steigen. Allein, wir möchten nicht mit Kot und Schmutz beworfene Gestalten am Zielband sehen — die man auf den ersten Blick kaum unterscheiden kann... ^ Km

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