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Prufung nach der Wahl

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Der große Tag ist vorüber. Das Volk hat sein Staatsoberhaupt gewählt. Die schwerere und, recht gesehen, viel weittragendere Aufgabe steht noch bevor, die Aufgabe, gutzumachen, was in diesen Wochen am Gemeinwohl gesündigt worden ist. Es sei darüber frank und frei gesprochen, niemandem zuleide und niemandem zu Gefallen, aber mit der Freiheit des Wortes, von der eine gewissenhafte Publizistik Gebrauch zu machen verpflichtet ist, wo es das öffentliche Wohl verlangt.

Zunächst einige Feststellungen: Das ziffernmäßige Wahlergebnis zeigt, nicht eine marxistische Einheitsfront ist gegenüber der ohne Verbündete zur Entscheidung angetretenen Volkspartei siegreich geworden, sondern ein vielfarbiges Kompositum verschiedenster Herkunft und Gesinnungsrichtung. In dieser Mischung bildete die sozialistische Wählermässe von 1,682.881 Menschen den starken Kern, um den sich zufolge der Ergänzung durch kommunistische und bürgerliche Elemente die absolute Mehrheit der abgegebenen 4,177.046 gültigen Stimmen kristallisieren konnte. In der Gesamtstimmenzahl dieser Mischung standen neben den 220.000 Kommunisten 269.220 bürgerliche, eindeutig aus dem Lager des VdU stammende Wähler. Dieser letzteren Gruppe dürfen auch die 115.804 Stimmen zugezählt werden, die im zweiten Wahlgang die Zahl der ungültigen Stimmen vom 6. Mai vermehrten und dadurch die sozialistische Kandidatur begünstigten: 374.000 Stimmen waren also direkt oder indirekt aus den Reihen des VdU zur Wahl des sozialistischen Kandidaten beigesteuert worden, mit so impetuosem Bewußtsein, daß selbst in Salzburg, wo der Führer der Partei mit seiner Demonstration drei Tage vor dem Wahlsonntag: „Ich wähle Gleiß-ner!“ die Marschdirektion zum zweiten Wahlgang für seine Anhänger angegeben hatte, rund 25.000 Stimmen direkt und rund 15.000 ungültige indirekt, also 40.000 Stimmen allein in Salzburg der sozialistischen Kandidatur zu Hilfe kamen. Nicht nur aus diesen Salzburger Ziffern — aus dem gesamten Zahlenbilde der Wahl sprechen die Konturen der gesinnungsmäßigen Wählerschichtung viel deutlicher als bei Parlamentswahlen, bei denen Parteiapparat und Parteiparolen manche Unterscheidungslinien verwischen. Zweifellos hat die große Volkswahl die Differenzierung der Meinungsgruppen viel klarer zum Ausdruck gebracht. In der bunten Schattierung, die am lebhaftesten in den Reihen des VdU heraustrat, offenbart ich aber auch die Schwäche einer Mehrheit, die sich zu ihrem Wahlerfolge am letzten Maiensonntag zusammengefunden hatte. Diese Mehrheit ist so sehr von Widersprüchen und gegenseitigen Feindseligkeiten hin- und hergerissen, daß sie in sich nicht die Fähigkeit besitzt, ein dauerndes tragfähiges politisches Gerüst für Gesetzgebung und Staatsführung herzustellen. Antiklerikalismus ist zwar zuweilen eine wirksame und nicht ungefährliche Kraft, aber kein positiver Faktor für die

Führung eines Staates. Man wird also auch in Zukunft wenn auch nicht unter denselben persönlichen und taktischen Voraussetzungen, die Elemente des bisherigen Systems sinngemäßer zusammenfügen müssen, eines Systems, das Österreich gegen kritische innere Erschütterungen zu sichern und durch seine Standfestigkeit dem Nutzbarmachen aller gesunden Kräfte zu dienen vermag.

Nach diesem kardinalen Gesetz des politischen Handelns war die Vorbereitung der Präsidentschaftswahl bis zum ersten Urnengang korrekt ausgerichtet.

Was dann folgte, nicht herbeigerufen durch den Willen des Volkes und auch nicht durch Handlungen der an erster Stelle in Presse und Partei Verantwortlichen, sondern durch eine primitive, zügellose Propaganda zu wenig kontrollierter Akteure, war unverantwortlich, und gäbe es nach einem solchen Krieg der Haßgesänge auch ein Kriegsgericht, so müßte es auch berufen werden, um von Rechts wegen gegen solches Vergreifen an den öffentlichen Angelegenheiten ein autoritatives Wort zu sprechen.

Der kommunistischen Führung hatte nichts unerwünschter sein können als der reibungslose Verlauf der allgemeinen Volksabstimmung in Österreich. Er mußte gleichbedeutend werden mit einer Stärkung der inneren Ordnung auf diesem Vorposten der freien Demokratie. Die Gegner des Kommunismus mußten deshalb eines Gegenstoßes gewärtig sein. Er ließ nicht auf sich warten. Das sofort nach dem 6. Mai an die kommunistischen Wähler ergangene Kommando, in der Stichwahl den sozialistischen Kandidaten zu unterstützen, war ein tückisch geführter Hieb in die Magengrube des österreichischen Sozialismus. Der Moskauer Befehl zu der jähen Rochade, welche die kommunistischen Kohorten an die Seite des bisher mit maßlosem Ingrimm befetzten Sozialismus führen sollte, zielte erkennbar darauf ab, mit Freundschaftbeteuerungen, vorgespiegelter Einigkeit der Arbeiterklasse und Siegesversprechungen für eine marxistische Einheitsfront die sozialistische Anhängerschaft zu umschmeicheln und in Verwirrung zu bringen. Das bekannte Konzept: romantische Liebeständelei im ersten Akt, im zweiten zutrauliche Annäherung, im dritten wird dem Freund und Bruder der Garaus gemacht, ihm vor allen anderen, so wie es überall praktiziert worden ist. Die zunächst angerichtete Verwirrung mochte sich dann auch auf das zweite große Parteilager in Österreich fortsetzen. Der Plan lag offen am Tage. Es bedurfte nicht viel, um ihn zu erkennen. Gegen den Todfeind gingen die zunächst Angegriffenen alsbald in scharfe Parade. Aber in unbegreiflicher Verkennung des kommunistischen Tricks sprang in Wort und Schrift die Propaganda der Volkspartei gegen das „marxistische Bündnis* und die „marxistische Einheitsfront“ los. Die heftige Antwort blieb nicht aus. Von Tag zu Tag schrillte das leidenschaftliche For-tissimo von Attacke und Gegenattacke mißtöniger auf. Ein Hexensabbat, in dem zuweilen die helle, herzenswarme Stimme des Wahlwerbers der Volkspartei zu ertrinken drohte.

Bei allem Verständnis für die Lockung starker Wahlparolen darf die Versuchung nie die Grenzen der Wahrheit und des überlegten 'Arguments überschreiten. Daß in den überstandenen Wahlwochen dieses selbstverständliche Gebot mit einem Höchstaufgebot der Demagogie von beiden Seiten verletzt wurde — den Vogel schoß schließlich in den allerletzten Tagen das groteske sozialistische Plakat mit der Schlagzeile: „Kominform für Gleißner“ ab — wird jedoch niemanden zu der Behauptung verleiten dürfen, die Einrichtung der direkten Volksabstimmung berge die Gefahr solcher Ausschreitungen in sich. Das Glas ist nicht in der Mitte des Volkes, sondern von anderen Händen zerbrochen worden, nicht zur besseren Empfehlung des eingefahrenen Parteimechanismus.

Die Geschehnisse haben Erfahrungen sammeln lassen, die genützt werden müssen. Das starke Anschwellen der sozialistischen Stimmen in einst eisenfesten, vorwiegend bäuerlichen Bezirken von Niederösterreich ist ein Warnsignal, das weithin einen in Gang geratenen kritischen politischen Prozeß anzeigt, der nicht nur Niederösterreich angeht. Laßt frische Luft herein in die Küchen und Schreibstuben, frische Luft und neues Leben und unverbrauchte Kraft! Sucht nicht die Ehrgeizigen und Streitsüchtigen und allzu Erwerbs- und Berechnungskundigen aus, sondern die Redlichen, die gewissenhaften Sach- und Menschenkenner, die grundsatzfesten Menschen, die. im Volke stehen und seine Not und sein Herzeleid kennen und aufrecht genug sind, um nie zu dienern, aber demütig genug, um dem Volk und Staat selbstlos zu dienen. Die Volkspartei bedarf für die Zukunft der Heranbildung eines Führerstabes, der nicht von heute auf morgen, aber neben den Erfahrenen und Tüchtigen schon früh genug an das öffentliche Leben heranzuführen ist. — Das sind Folgerungen, die im eigenen Kreis der Volkspartei zu ziehen sind. Und wenn sie in ihrem häuslichen Bereich nach dem Rechten in bezug auf die Menschen und auf die Sachen sieht und auf

Ihre innere Geschlossenheit, dann wird sie auch in dem großen Raum, in den eine Volkspartei von echter christlicher Wesenheit durch ihren Beruf, mit ihrer großen Verantwortlichkeit gestellt ist, nie in der verlangten Bewährung versagen. Sie wird dann auch vor baldigen allgemeiner) Neuwahlen, sollten sie notwendig werden, nicht Sorge zu haben brauchen. Eine verfassungsmäßige Nötigung für rasche Neuwahlen besteht nicht,

und auch nicht eine parlamentarische, vorausgesetzt, daß man es ablehnt, die Volksabstimmung zur Berufung eines überparteilichen Staatsoberhauptes mit allgemeinen parteipolitischen Konsequenzen auszustatten.

Fürs erste hat Dr. Heinrich Gleißner den Weg gezeigt, indem er nach unverdienten wahlpolemischen Wahlerlebnissen an seinen siegreichen Rivalen einen ritterlichen Glückwunsch sandte.

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