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Gewissenserforschung nach einem Wahltag

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Der erste Gang des österreichischen Bundesvolkes zur Wahl seines Staatsoberhauptes hat die Entscheidung noch nicht gebracht. Das war so zu erwarten. Wohl aber bieten die Ziffernergebnisse dieses Wahltages konkrete Anhaltspunkte für eine Einschau in die innerpolitische Gestaltung unseres Landes, die aufschlußreich und bedeutungsvoll ist. Nicht, daß der Kommunismus steckengeblieben ist, wo er war, eine minimale Größe, deren Gewicht in keinem Verhältnis steht zu ihrem Stimmenaufwand, ihrem Pressebudget und dem mäditigen Patronat, dessen sie sich erfreuen kann, macht das Merkmal dieser Volksabstimmung aus. Nur für das Ausland kann diese neue Bestätigung einer für die Nähe notorischen Tatsache vielleicht noch etwas Bemerkenswertes sagen. Das wesentliche Ergebnis dieses Wahltages wird vielmehr in den Bodenbewegungen sichtbar, die sich um den Besitz der großen Parteien vollzogen, Bewegungen, über deren Ursachen in schminkenloser Selbstkontrolle sich Klarheit zu schaffen, die Aufgabe politischer Führung sein muß.

Durch das Auftreten einer Präsident-sdiaftskandidatur, die als überparteilich stellenweise geschickt getarnt war, sind diese Ursachen deutlicher geworden. Denn der Troß von über 660.000 Stimmen, der sich um diese Kandidatur versammelte, vereinigte außer dem Kern von fast fünfhunderttausend dem VdU angehörigen Stimmen eine buntscheckige Gesellschaft von Parteimüden und Menschen, die ihrer Unzufriedenheit Ausdruck geben wollten, ohne sich einer neuen Partei zu verschreiben. Vor allem darf man in dem Rücksinken der Volksparteistimmen um fast vier Prozent gegenüber den Oktoberwahlen 1949 und damit der Verringerung der Spannweite zwischen dem Potential der Volks- und der Sozialistischen Partei auf nur mehr 40.000 Stimmen, Erscheinungen nicht bloß oberflächlicher Natur erkennen. Hätte die Volkspartei einen weniger glücklichen Vorschlag für die Bundespräsidentschaft gemacht als mit der Aufstellung Dr. Gleißners, der in seinem Oberösterreich über zwanzigtausend Stimmen mehr erhielt als die Volkspartei vor anderthalb Jahren, so wären die Gründe für jene Verschiebungen noch schärfer markiert worden. Dr. Gleiß-ner ist es zu verdanken, daß er seinem sozialistischen Rivalen, dessen Wählerschaft abermals trotz so mancher politischer Fassadenmängel der Partei ihre eiserne Disziplin aufs neue bewährte, immer noch voranblieb und in die Stichwahl als der erste Kandidat eintreten wird. Daß Dr. Gleißner, dessen Persönlichkeit, seine schlichte, natürliche, warmherzige Art die Wiener außerordentlich ansprach, trotzdem in den besten Wiener Stammbezirken der Partei, den Bezirken mit ganz vorwiegender mittelständischer und intellektueller Bevölkerung — in den Bezirken 1 bis 8 und 18 und 19 —, mit 17.000 Stimmen hinter den Wahlziffern von 1949 zurückblieb, ist das unverkennbare Beispiel der bestehenden Rekriminätion der geistigen Arbeiter und des alten bodenständigen Gewerbes gegen die schuldhafte Verkümmerung ihrer Interessen im Verhältnis zur Lage der anderen Stände. Diese Rekriminätion macht begreiflicherweise die stärkste politische Partei verantwortlich, sieht den Fehler in schwächlichen Kompromissen, in der Unentschlossenheit des Handelns, in dem Zögern mit einem entschlossenen Ja oder Nein in der Milchpreisfrage und anderen, jeden Haushalt berührenden Beschwernissen. Und diese Rekriminätion, die namentlich von den Hausfrauen, diesem starken Faktor der heutigen Wählerschaft, vorgetragen wird, fragt, ob in der Tat die zahlenmäßig stärkste Partei sehr oft taktisch die schwächere sein mußte. Nicht drastischer und sinnfälliger konnte dieser Mangel an Haltung — oder war es Mangel an Voraussicht? — gekennzeichnet werden, als dadurch, daß das Ministerium der größten Machtfülle, in dessen Gebietsbereich die gewaltige Masse der Staatsindustrie und ihrer Arbeiterschaft fällt, der Firma Waldbrunner überantwortet wurde. Und dies nach dem glänzenden Erfolg, der mit den Oktoberwahlen die Volkspartei zu dem größten Einfluß, allerdings aber auch zu der größten Verantwortung legitimiert hatte. Wirft man von diesem Bild noch einen Blick auf eine Steuerpolitik, die dem redlichen Steuerträger, der sich der Pflicht nicht entziehen kann und will, mit unbeweglicher Härte zusetzt, so wird damit in Umrissen klar, was die Wählerschaft am 6. Mai ausgesprochen. Sie ist nicht aus der Fassung geraten, sie hat keinen Umbruch vollzogen, aber sie hat Worte in Feuerschrift an die Wand geheftet, nach denen man sich wird richten müssen.

Noch vor Ende Mai wird das österreichische Bundesvolk zu seinem endgültigen Votum, zu der Wahl zwischen den beiden Spitzenkandidaten Dr. Gleißner und Bürgermeister Körner, zu schreiten haben. Nicht ohne Talent, sorgsam vermummt, wenn auch in Gestalt, Gebärde und Stimme erkenntlich, ist es dem VdU gelungen, sich für die Stichwahl als dritte Kraft in die Mitte zu schieben, etwa — o diese Berufenheit! — als Patron, als Schiedsrichter, wer das Haupt des österreichischen Volkes zu werden würdig ist. Nun wird es keine überparteiliche Losung mehr für die Gefolgschaft der erledigten Kandidatur Breit-ners geben, jetzt wird es bekennen heißen, so oder so. Das Spiel mit der Uberparteilichkeit ist zu Ende. Wie ist die zweite Tour? Nein, es darf keine Lizitation um die Bundespräsidentschaft, kein Geschäft um das Meistgebot geben, damit eine kleine Partei ihre Kochtöpfe an das Feuer rücken kann. Es darf kein Munkeln im Dunkeln hinter verschlossenen Türen geben, in dem etwa das Staatsoberhaupt — um den Ausdruck zu gebrauchen, der für die Trivialität des Geschäftes passend wäre — „ausgepak-kelt“ wird. Das österreichische Volk hat ein Recht — nicht nur durch die Verfassung erworben, sondern ebenso durch die Würde, mit der es diese erste direkte Volksabstimmung vollzog — darauf, daß 6ein Wille nicht parteipolitischen Manövern geopfert wird. Man möchte erwarten, daß die beiden großen Parteien die Pflicht ersehen, eine reine Atmosphäre für die Stichwahl zu sichern, eine Gewähr, daß der reine Volkswille — fern von irgendwelchen parteipolitischen Spekulationen — in einer freien Wahl zum Ausdruck kommt. Man gebe den vielen, die sich im ersten Wahlgang durch Mißvergnügen oder Propaganda bestimmen ließen, an Stimmzersplitterung und aus-lichtsloser überparteilicher Parteiung mitzuwirken, freien Raum, leidenschaftslos nach österreichischem Gewissen den Mann zu wählen, dem jetzt schon der verhältnismäßig größte Teil des Volkes sein Vertrauen geschenkt hat. Dem freien Österreicher den freien Entscheid! f.

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