6565913-1949_46_01.jpg
Digital In Arbeit

Gemeinsame Verantwortung

Werbung
Werbung
Werbung

Die Wochen seit dem Wahltag waren nich verloren. Sie dienten der Klärung und Kühlung nach der Hitze des Gefechts, der Rückkehr zu den politischen Realitäten und voj allem der Verarbeitung jener Enttäuschung die -alle Parteien — von den durchgefallener Splitterparteien nicht zu reden — erlebet mußten, als das Votum des Volkes entschied, daß die Bäume auf keiner Seite in den Himmel wachsen sollten. Nachdem alle Parteien ihre Hoffnungen zu hoch gespannt hatten, war dieser Monat der nicht nur meteorologischen Abkühlung eine Notwendigkeit. Denn nur auf festem, nicht auf dem feuerflüssigen Grund politischer Lavaglut läßt sich ein Haus bauen.

Von allen Parteien haben - die' Sozialisten ihre „fruchtbare Enttäuschung“ am offensten einbekannt und sind mit einer geradezu wissenschaftlichen Gründlichkeit an die Erforschung der Ursachen ihres „Mißerfolgs" gegangen. Zahlreiche Artikel im Zentralorgan der Partei, ein Doppelheft der sozialistischen Monatsschrift und die meisten Reden und Beratungen auf dem außerordentlichen „Parteitag der Aufrichtigkeit“ in der vergangenen Woche waren der Behandlung dieser Frage gewidmet, wobei Verärgerung, Vergrämt- heit und eine gewisse „Jetzt-erst-recht“- Stimmung deutlich zutage traten. Der geistige Führer der durch den Wahlausgang erneut zur Bedeutungslosigkeit verurteilten Kommunisten hat denn auch die Chance, die sich aus dieser Vergrämtheit der Sozialisten ergab, richtig erkannt, als er vor Beginn des Parteitages durch einen bemerkenswert freundlich gehaltenen Artikel an die Adresse der „sozialistischen Genossen“ und durch die Ausgabe des Schlagwortes vom „außerparlamentarischen Kampf“ die Unzufriedenheit der Sozialisten für seine Ziele auszunützen suchte. Nach stürmischen Auseinandersetzungen hat dann am Parteitag doch erneut der Wille zur Mitverantwortung und Mitbestimmung am Schicksal dės Staates den Sieg davongetragen. Dennoch läßt sich nicht verkennen, daß das Gefühl der Vergrämung und Enttäuschung in der Sozialistischen Partei noch keineswegs völlig überwunden ist, und es erhebt sich daher auch für den Nichtsozialisten die Frage, wieweit diese Gefühle und Stimmungen überhaupt berechtigt waren und sind. Das ist keine nur die Sozialisten angehende'Frage. Es ist vielmehr im Gesamtinteresse des österreichischen Volkes und Staates notwendig, ejnmal ganz offen darüber zu sprechen, denn es würde die Gefahr einer Vergiftung unseres gesamten öffentlichen Lebens heraufbeschwören, wenn die zweitstärkste, zum Tragen der Mitverantwortung berufene Partei dieses Landes mit dem Gift einer nicht heilen wollenden Enttäuschung im Herzen an die großen vor ihr und vor uns liegenden Aufgaben heranginge.

Die Sozialisten haben, wie sie selbst zugeben, in diesem Wahlkampf die Erringung der absoluten Mehrheit erhofft, die der relativen, den Aufstieg zur „stärksten Partei des Landes" fast für sicher gehalten. Allerdings nicht aus eigener Kraft, sondern, wie sozialistische Minister und Parteiführer schon ein Jahr vor den Wahlen erklärten,

durch „Aufspaltung des bürgerlichen Lagers". Diese aus den Kategorien des klassischen Marxismus stammende Vorstellung der Gliederung des Volkes in „Bourgeoisie“ und „Proletariat“, die bewußt oder unbewußt die inzwischen emgetretene soziale Umschichtung ignorierte, war die Hauptquelle des sozialistischen Fehlkalküls. Denn es hat sich gezeigt, daß die Linksparteien ebensowenig mehr reine „Arbeiterparteien“ sind, wie die beiden anderen Parteien keineswegs einfach als „bürgerliche Parteien“ im Sinne des neunzehnten Jahrhunderts anzusprechen sind — was die den Nationalratswahlen folgenden Arbeiterkammerwahlen dann mit aller Deutlichkeit bestätigt haben. Aber selbst wenn die sozialistische Berechnung richtig gewesen - wäre, was hätte die Sozialistische Partei tatsächlich erreichen können? Selbst in dem für sie günstigsten Fall der Erringung der absoluten Mehrheit, der ersehnten 51 Prozent, wäre sie ebensowenig in der Lage gewesen, allein zu regieren wie die Volkspartei in den vergangenen vier Jahren. Glaubten die Sozialisten wirklich, im kleinen kriegsversehrten und noch immer besetzten östereich ein sozialistisches Utopia errichten zu können? Der Blick auf das so viel reichere und mächtigere England, dessen La- bourregierung vergeblich ihr staatssozialistisches Programm mit den Erfordernissen und Gegebenheiten der Weltwirtschaft und Weltpolitik in Einklang zu bringen sucht, erweist die realpolitische Unmöglichkeit solcher Träume. Aber die Erlangung der 51 Prozent lag ja auch nicht annähernd im Bereich der Wahrscheinlichkeit. So blieb nur das Ziel der „stärksten Partei“, also die Lage, in der sich die Volkspartei gegenwärtig befindet. Die Sozialisten hätten dann statt des Vizekanzler- den Bundeskanzlerposten besetzt, im Sinne jenes ganz geschickten und anschaulichen kommunistischen Spielkartenplakats, das, positiv gesehen, eine durchaus richtige Erkenntnis aussprach. Die „Macht im Staate", jenes gefährlich-verführerische Schlagwort, das viele Sozialisten aus den Tagen dės Linzer Programms noch immer im Ohr haben, hätte auch ein sozialistischer Bundeskanzler seiner Partei nicht bringen können.

So ergibt sich bei nüchterner, realpolitischer Betrachtung für die Sozialisten kein wirklicher Grund, aus ihrer Enttäuschung — mit der sie, wie gesagt, nicht allein stehen, sondern die eie mit allen anderen Parteien teilen — allzuviel Aufhebens zu machen. Und es besteht vor allem für sie keine Veranlassung, sich von den Kommunisten auf den für das Staatsganze gefährlichen, für den demokratischen Sozialismus geradezu selbstmörderischen Weg des „außerparlamentarischen Klassenkampfes" locken zu lassen. Es verdient doch hervorgehoben zu werden, daß es gerade ein Vertreter der Gewerkschaftsfraktion war, der auf dem eben abgeschlossenen Parteitag die realpolitische Warnung aussprach: „Sollen auch wir eine Lizitierpolitik der Opposition treiben? Damit lösen wir die Fragen der Wirtschaft nicht. Man sagt, die Gewerkschaften könnten ja Lohnbewegungen führen. Hat man aber bedacht, was bei Lohnbewegungen aus den 370.000 Aktiven des öffentlichen Dienstes und den hunderttausenden Pensionisten werden soll?“ Die Erkenntnis, daß die zweitstärkste Partei deš Landes nicht nur die Interessen der Industriearbeiterschaft, sondern die der Gesamtbevölkerung vertreten muß, hat in diesen Worten eines sozialistischen' Gewerkschaftsführers einen überzeugenden Ausdruck gefunden.

Ihrem ersten und wichtigsten Anliegen, der Durchsetzung einer gesunden Sozial- pqlitik, werden die Sozialisten durch die Mitverantwortung am Staate am besten dienen können. Das ist das Feld, auf dem sie in der Vergangenheit ihre wirklichen Erfolge errungen haben, das Feld, auf dem sie sich mit einer der großen Tradition christlicher Soziallehren bewußten Volkspartei in fruchtbarer Zusammenarbeit finden können. Den beiden großen Parteien des Landes ist eine große Chance gegeben: nach vierjähriger

Zusammenarbeit, die trotz unbestreitbarer Erfolge im Wiederaufbau doch auch schwere Mängel, Fehler und Unterlassungssünden — und zwar bei beiden Parteien — offenbarte, hat die Wählerschaft, obwohl sie mit ihnen keineswegs restlos zufrieden war, ihnen doch wieder die Möglichkeit zur Bildung einer soliden Regierung gegeben. Das österreichische Volk hat damit einen politischen Weitblick und eine Reife bewiesen, an der man sich in den Parteisekretariaten vielfach ein Beispiel nehmen könnte. Was die Gesamtheit daher mit Recht erwartet, ist: konkrete sachliche Zusammenarbeit, unter Verzicht auf politische Demagogie, saubere Geschäftsführung, Stellenbesetzung nach Eignung und Leistung und nicht nach Parteibuch und Cliquenwesen, Reform der Verwaltung und des Steuersystems, Sparsamkeit im Staatshaushalt. Die Last der zu bewältigenden Aufgaben ist gegenüber 1945 eher schwerer als leichter geworden. Hier das Rechte zu tun, ist das Wichtigste.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung