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Kein Platz mehr für die „Kleinen“

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Der Stimmenüberhang dieser beiden Parteien über die Fünfprozenthürde (zur Erlangung von Gemeinderatsmandaten waren 1964 bei 1,039.633 gültigen Stimmen zumindest 51.982 Stimmen pro Partei notwendig) betrug bei den letzten Kommunalwahlen lediglich 20 bei der KPÖ; die FPÖ brachte es noch auf 6879 „Mehrstimmen“, kam damit jedoch nicht einmal auf sechs Prozent. Inzwischen haben sich — so behaupten die Meinungsforscher — weitere beachtliche Sympathieverluste für die beiden „kleinen Gemeinderatsparteien“ ergeben. Repräsentativen Wählerbefragungen zufolge würden gegenwärtig bei Ge-meinderatswahlen nur noch 2,5 Prozent der Wiener die KPÖ und nur noch knapp 4 Prozent der Wiener die FPÖ wählen. Um ihren gegenwärtigen Stand an Gemeinderatssitzen zu halten, müßten also die Kommunisten etwa 26.000 und die Freiheitlichen ungefähr 20.000 einstige Wähler zurückgewinnen.

So unerfreulich der Auszug jeg-

licher Opposition aus dem Wiener Gemeinderat auch wäre — er würde selbst von vielen Spitzenfunktionären der Sozialisten und der Volkspartei nur ungem gesehen —, so unvermeidlich scheint er zu sein.

Kampf gegen das 63:37

Scheiden die Kleinparteien aus dem Gemeinderat aus und bleiben ansonsten die Sympathien für SPÖ und ÖVP in der Relation zueinander gleich, so würde das Wahlergebnis von 1969 geradezu „automatisch“ der SPÖ 63 und der ÖVP 37 Mandate bringen. So sicher jeder Mandatsgewinn von den Großparteien im nachhinein als Erfolg begrüßt würde, so sehr formiert man sich gegenwärtig gegen ein 63:37-Ergebnis: In beiden Parteien bereitet man sich zum Kampf um ein Wahlergebnis vor, das die eigene Fraktion über den „automatischen Zuwachs“ hinaus stärkt.

Dementsprechend ist zu erwarten, daß beide Großparteien ihre Anstrengungen an drei Fronten gleichzeitig unternehmen werden:

• Erstens geht es darum, die Sympathien der von KPÖ und FPÖ abfallenden Wählergruppen zu gewinnen (wobei übrigens die Sozialisten in einer etwas günstigeren Ausgangsposition zu sein scheinen, sprechen sie doch — wie die Bundespräsidentenwahlen zeigten — nicht nur Linkswähler, sondern auch gewisse FPÖ-nahe Kreise an).

• Zweitens werden die nächsten Wahlen von etwa 95.000 Jungwählern mitentschieden. Weil sich bei den Jungwählern — im Gegensatz zur Gesamtzahl der Wiener Wähler — die Frauen nicht im Übergewicht befinden und weil weiters der Erfahrung nach die Wiener ÖVP bei Frauen erfolgreicher als bei Männern um Stimmen werben konnte (auf 100 Männerstimmen entfielen 1959 bei der ÖVP 166, bei der SPÖ jedoch nur 150 Frauenstimmen), be» steht auch bei den Jungwählern für die Sozialisten eine formal günstigere Ausgangsposition.

• Drittens jedoch geht es um jene Wähler, die zwischen SPÖ und ÖVP pendeln — und auf diesem Sektor kann die Volkspartei auf beachtliche Stimmengewinne bei den National-ratewahlen 1966 hinweisen. Einer verfrühten Siegeszuversicht stehen jedoch bei der Volkspartei zwei Umstände gegenüber: Einerseits lassen sich traditionsgemäß ÖVP-Erfolge bei Nationalratswahlen in Wien nut schwer in ÖVP-Erfolge bei Gemeinderatswahlen ummünzen, anderseits ist mit einem teilweisen Zurückpendeln der 79.069 Olah-Wähler des Jahres 1966 in das Lager der Rathaussozialisten zu rechnen.

Sozialisten wollen Abnützung vermeiden

Sicherlich werden die Wahlstrategen der zwei Großparteien alles unternahmen, um bei den drei hauptsächlich umworbenen Wählergruppen — den Wählern der Kleinparteien, den Jungwählern und den „schwankenden“ Wählern — erfolgreich zu bleiben. Die kommunal-politische Arbeit in Wien dürfte jedoch In den nächsten 25 Monaten von einem anderen Hauptbemühen überschattet sein: Vom Bestreben der im Rathaus tonangebenden Sozialisten, „up to date“ zu bleiben und der ein halbes Jahrhundert hindurch erfolgreich gehaltenen Spitzenstellung zum Trotz jeder Ab-nütoungsgefahr au entgehen.

Letzten Endes dürfte die Entscheidung für oder gegen den Ausbau der sozialistischen Position im Wiener Rathaus mit der Neuorientierung im Wahnbauwesen, mit der Bewältigung der Verkehrsprobleme und — mit beachtlichem Abstand von den beiden sachlichen Punkten — bei der Ablöse einiger Wiener SPÖ-Spitzenpolitiker fallen.

Setzen sich die reformfreudigen Kräfte der Wiener SPÖ durch (zu ihnen zählen in der Wohnungsfrage fast sämtliche sozialistischen Mitglieder der Wiener Stadtregierung), so wird die Gemeinde Wien nach einer Übergangszeit von ein bis zwei Jahren, spätestens jedoch ab 1970 völlig neue Wege im Kampf gegen das Wohnungsproblem beschreiten. Werden die bis Ende 1967 in Bau befindlichen Gemeindewöhnungen wahrscheinlich noch nach der traditionellen Methode durch das Wohnungsamt vergeben (also: kein Baukostenbeitrag, jedoch erhöhter Mietzins), so soll in Zukunft ein Mischsystem von sozialer Bedürftigkeit und persönlicher Beteiligung an den Baukosten bestimmend für die Wohnungsvergabe werden. Zur Lösung ausschließlich sozialer Fälle stünden dem Wohnungsamt der Gemeinde Wien etwa 1000 Wohnungen jährlich zur Verfügung, die in bereits bestehenden Gemeindebauten frei werden; von allen anderen Wohnungsuchenden jedoch will man bei der Vergabe neuer Gemeindewohnungen eine persönliche materielle Mditbeteiligung — sprich: einen Baukostenzuschuß — verlangen. Je nach dem Einkommen der Wohnungswerber wird das Wohnungsamt zu Zugeständnissen — sprich: zur Herabsetzung des Baukostenzuschusses — ermächtigt sein.

Ist man auch dazu entschlossen, den Baukostenzuschuß prozentuell anzusetzen, so hat man doch konkrete Vorstellungen über seine absolute Höhe: Er dürfte „etwa dem Preis eines Mittelklassewagens“, also einen Betrag zwischen 50.000 und 70.000 Schilling, erreichen. Zumindest ein Teil dieses Baukostenzuschusses könnte von den Wohnungswerbern auf dem Umweg über Förderungskredite bei Banken oder Sparkassen beschafft werden — wobei die Rückzahlung dieser Kredite durch eine neue Mietenbildung begünstigt würde.

Wie gesagt, es treten für eine derartige Neuorientierung zahlreiche Spitzenfunktionäre der Wiener SPÖ ein. Setzen sie sich durch, so könnten sie den Wiener Wählern eine grundlegende Modernisierung im Bereich des kommunalen Wohnungswesens präsentieren. Ob dies geschickt genug geschehen wird, davon hängt zu einem beachtlichen Teil der Wahlausgang 1969 ab — zu? mal die kommunale Wohnbautätigkeit seit den zwanziger Jahren untrennbar mit dem Schwerpunktprogramm der Wiener Sozialisten verknüpft ist

Weniger traditionell als drängend ist für die Sozialisten die Lösung der Wiener Verkehrsprobleme: Prinzipiell haben sie sich zum Bau einer Wiener U-Bahn entschlossen; die für die Wähler aufschlußreichen Finanzierungs- und Terminpläne liegen jedoch noch nicht vor. Fast scheint es, als würden endgültige Vorschläge darüber von sozialistischer Seite erst 1968 erfolgen (was keineswegs bedeutet, daß nicht etwa nach dem Muster des Ustraba-Baues bereits vor der prinzipiellen Entscheidung gewisse Bauarbeiten begonnen werden — das Gemeindebudget böte dafür genügend Spielraum).

Auf dem personellen Sektor schließlich werden die Sozialisten vor den nächsten Gemeinderats-wahlen zwei Veränderungen vornehmen: Die Stadträte Sigmund und Glaserer sind amtsmüde, daran kann auch Glaserers Popularität weit über den Rahmen seiner Partei hinaus wenig ändern. Innerhalb der Wiener SPÖ gibt es Kräfte, die frühere sozialistische Regierungsmitglieder in die freiwerdenden Stadtratsesseln hieven wollen.

Gleichzeitig jedoch drängen andere Kreise darauf, die Umbesetzung im Stadtsenat zum Anlaß einer Verjüngung der SPÖ-Mannschaft zu nehmen.

ÖVP: „Guter Wille“ als Wahlargument?

Sosehr auch die Sozialisten dank ihrer Stärke in Wien über Erfolg und Mißerfolg ihrer Reformbestrebungen selbst entscheiden können — die Volkspartei hat trotzdem eine Reihe von Chancen, sich bei den Wählern entsprechend ins Licht zu setzen.

Zunächst kann die Wiener ÖVP darauf hinweisen, daß sie bei vielen Fragen (zum Beispiel Straßenbau, Wohnungsreform, Olympiadebewerbung) zugunsten Wiens gegen ihre eigenen Bundesinstanzen aufgetreten ist — wenn auch keineswegs immer mit Erfolg. Weiters kann sie daran erinnern, daß ihre Mandatare im Rathaus lange vor den Sozialisten für eine Neuordnung im Wohnungswesen und für den Bau einer Wiener U-Bahn eingetreten sind.

Ob es der Volkspartei gelingen wird, mit dem Hinweis auf ihren „guten Willen“ und auf den Primat an mancher nunmehr von den Sozialisten aufgegriffenen Idee zusätzliche Sympathien bei den Wienern zu gewinnen?

Eines scheint jedenfalls bereits jetzt sicher: Einigen anderslautenden Stimmen aus der Sozialistischen Fraktion zum Trotz dürfte die Wiener „große Koalition“ erhalten bleiben. Mögen auch mitunter manche Sozialisten die Versuchung verspüren, die Machtlosigkeit der Wiener ÖVP durch den Abbruch der Zusammenarbeit im Wiener Rathaus augenfällig zu demonstrieren — die Nachteile einer derartigen Haltung hätte die SPÖ nicht nur auf der Bundesebene zu tragen. Es spricht keineswegs gegen die stärkere Partei, wenn sie nach ausführlichen Diskussionen Programmpunkte akzeptiert und vertritt, die zum Teil bereits früher vom kleineren Koalitionspartner aufgegriffen wurden.

Die nächsten 25 Monate Wiener Kommunalarbeit werden über die Wahlergebnisse vom Oktober 1969 entscheiden.

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