6873571-1978_35_05.jpg
Digital In Arbeit

Duell zweier Kronprinzen

Werbung
Werbung
Werbung

Zum Auftakt des Wahlkampfes für die Wiener Gemeinderatswahlen am 8. Oktober fühlen sich die drei bereits im Gemeinderat vertretenen Parteien mehr denn je zur Mutter der Porzellankiste hingezogen. Vorsicht wird bei der Formulierung des jeweüigen Wahlzieles groß geschrieben. Und keine Partei würde ein Stagnieren schon als echte Niederlage empfinden. Da außerdem alle Parteien der Bundespolitik einen gewissen Einfluß auf das Wahlergebnis zubilligen, bleibt für den routinierten Politiker jede Möglichkeit offen, sich am Wahlabend noch zu den Vätern des Sieges zu schlagen beziehungsweise im Falle von Verlusten zumindest partielle Kindesweglegung zu betreiben.

Mit guten Gründen bezeichnet für die SPÖ der Wiener Landesparteisekretär Rudolf Edlinger erst ein schlechteres Abschneiden als 1969 (56,9 Prozent und 63 Mandate) als echte Niederlage. Dehn das Traumergebnis von 1973 (60,2 Prozent und 66 Mandate), das zweitbeste in der Geschichte der Wiener SP (1927: 60,3 Prozent), sehen selbst die zuversichtlichsten Sozialisten als kaum wiederholbar an. Wobei Edlinger seine Aussage auf die Prozentzahl, nicht aber auf die schwer kalkulierbare Mandatsverteilung bezogen wissen will.

In der ÖVP, deren Spitzenkandidat Erhard Busek nun seine Bewährungsprobe ablegen muß, äußert man in letzter Zeit nicht mehr so laut wie noch vor einem Jahr, langfristig den Bürgermeister, schon bei dieser Wahl aber den Vizebürgermeister anzustreben, wofür 34 Mandate notwendig wären. 1973 reichte es mit dem Listenführer Fritz Hahn nur für 29,3 Prozent der Stimmen und 31 Gemeinderatssitze. ÖVP-Landesparteisekretär und Wahlkampfstratege Anton Fürst begnügte sich mit der schlichten Feststellung: „Wir wollen stärker werden.“ Im Frühjahr signalisierten Meinungsumfragen der Volkspartei einen Zuwachs von drei bis vier Prozent auf Kosten der Sozialisten. Trotzdem gibt sich Busek bescheiden, wenn er jetzt einen SP- Verlust von zwei Mandaten bereits zum „Erdrutsch“ deklariert.

Die Wiener Freiheitlichen, die es 1973 auf 7,7 Prozent, aber nur drei Mandate brachten, hadern nach wie vor mit dem Wiener Wahlrecht, obwohl ihnen die kürzlich beschlossene Reform zumindest theoretisch zwei zusätzliche Sitze (je einen von SP und VP) einbringt. Landesparteiobmann Norbert Steger will aber nur von den realen drei Mandaten ausgehen: „Wir sind froh, wenn wir die fünf wirklich bekommen, und freuen uns über jedes mehr.“ Mittelfristiges Ziel der FPÖ sind sieben Mandate und damit ein Sitz im Stadtsenat; außerdem ein mehr als zehnprozentiger Anteil am Stimmenkuchen, den die Wiener Wähler backen werden.

Weiters werden nur die KPÖ und die Liste „Wahlgemeinschaft für Bürgerinitiativen und Umweltschutz“ (WBU) kandidieren, wobei letztere Mühe haben dürfte, in sämtlichen Wahlkreisen die erforderlichen Unterschriften aufzubringen. Dann aber, macht ihr Sprecher Otto Häusler in Zweckoptimismus, sei die Fünf-Prozent-Hürde kein echtes Hindernis mehr. Nüchterne Beobachter trauen dieser österreichischen „Grünen Liste“ aber bestenfalls einen Achtungserfolg in der Größenordnung von zwei bis drei Prozent zu, was allerdings geringfügige Mandatsverschiebungen bei den „Großen“ beeinflussen könnte.

Daß die bisherigen Slogans der Großparteien (SP: Wir halten zu Wien, VP: Der tüchtige Mann für unser Wien) relativ wenig Beachtung fanden, wie eirte Umfrage der „Wöchenpresse“ ergab, bestätigt die These vom politischen Desinteresse der Wiener, das auch in geringerer Wahlbeteiligung bei Gemeinderats- gegenüber Nationalratswahlen zum Ausdruck kommt. Vor allem die Oppositionsparteien geben sich größte Mühe, die Gruppe der Nichtwähler zu aktivieren, ihr das Bewußtsein zu geben, daß auch in dieser Stadt mit ihrer ausgeprägten sozialistischen Mehrheit etwas geändert werden kann. Nicht zuletzt ist Wien wichtigstes Exerzierfeld für die nächsten N ationalrats wählen.

Allerdings ist das Verhältnis der beiden Oppositionsparteien getrübt. Die Freiheitlichen sagen der ÖVP (Fürst: „Zu Unrecht!“) Koalitonsgelüste mit der SPÖ nach, die Volkspartei wieder wirft der FPÖ vor, sie greife mehr die ÖVP als die regierenden Sozialisten an. Immerhin charakterisierte FP- Spitzenkandidat Erwin Himschall die letzten SP-Jahre als „Periode der Fehlleistungen“, und Norbert Steger ergänzte, unter den Sozialisten sei in der Wiener Politik die doppelte Moral selbstverständlich geworden. Was den SP-Mann Edlinger nicht hindert, der FPÖ die wesentlich konstruktivere Oppositionspolitik zu bescheinigen.

Wonach wird nun „König Wähler“ seine Entscheidung treffen? Kaum nach der Plakatwerbung mit Gemeinplätzen. Kaum nach den vom Wahlvolk fast nicht wahrgenommenen Programmen der Parteien, so brauchbare Ideen sie auch enthalten mögen. Letztlich dürfte es auf die Glaubwürdigkeit des jeweiligen Spitzenkandidaten und das Vermögen der Parteien, ihre Politik via Meidien gut zu verkaufen, ankommen, aber auch auf die Wahlbeteiligung. Man braucht die Nase jedenfalls gar nicht weit in die Wiener Gerüchteküche hineinzustecken, um wahrzunehmen, daß es am ehesten bei der Volkspartei nach einem leichten Mandatsgewinn riecht. Was die einen als Duft, die anderen als Gestank empfinden werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung