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Abstimmung über acht Jahre Koalition

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Endspurt für die Parteien und ihre Spitzenkandidaten: am Sonntag entscheiden 5,8 Millionen Wahlberechtigte über die künftige Machtverteilung in Österreich.

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Endspurt für die Parteien und ihre Spitzenkandidaten: am Sonntag entscheiden 5,8 Millionen Wahlberechtigte über die künftige Machtverteilung in Österreich.

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Die Nervosität bei den Spitzenpolitikern wie in den Medien steigt: der Polizeiapparat sei durch die langjährige sozialdemokratische Dominanz „verludert“, ätzte ÖVP-Obmann Erhard Busek dieser Tage. Und Ehrenparteiobmann Alois Mock empfahl dem Koalitionspartner gar - aus demokratiepolitischen Überlegungen — den Wechsel auf die harten Oppositionsbänke. - Bundeskanzler Franz Vranitzky reagierte indigniert und ließ Busek via Innenminister Franz Löschnak ausrichten, daß dieser wohl zu viele Kriminalromane lese.

Das Klima zwischen den beiden Koalitionspartnern ist momentan zweifellos nicht das beste - aber schließlich ist man es ja den eigenen Wählern schuldig, ein bißchen Polemik gegen den bisherigen Koalitionspartner loszulassen. Pflichtübung konkurrierender Parteien oder Nervenflattern vor den erwarteten Verlusten? Das Nachrichtenmagazin „profil“ sieht jedenfalls SPÖ-Spit- zenkandidat Bundeskanzler Franz Vranitzky, dem schon — wie einst Bruno Kreisky — der Nimbus der Unbesiegbarkeit zugesprochen wurde, plötzlich von einem „Hauch von Abschied“ umweht. Im „Kurier“ attestieren Meinungsforscher dem SPÖ-Vorsitzenden, daß dieser an „Strahlkraft“ verliere, erstmals seit längerer Zeit müsse er signifikante Minuswerte auf der Sympathieskala („Welcher Politiker ist Ihnen im letzten Monat positiv oder negativ aufgefallen?“) in Kauf nehmen. Und das Zeitgeist-Magazin „news“ titelte gar — wieder einmal um ein Quentchen kecker als die Konkurrentenvon „profil“ - „Stürzt der Kanzler?“.

Tatsächlich ist in den Koalitionsparteien - abseits des zur Routineübung erstarrten Zweckoptimismus der Parteisekretäre — Verunsicherung zu spüren. In der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße kursieren Umfrageergebnisse, wonach für die Sozialdemokraten die 40-Prozent- Marke außer Reichweite sein soll. Und auch für die ÖVP dürfte ihr Wahlziel — Stimmen und Mandate dazugewinnen, Abstand zur SPÖ verkleinern — nur dann wenigstens zur Hälfte in Erfüllung gehen, wenn die Sozialdemokraten noch mehr verlieren, als ihnen derzeit prognostiziert wird.

Verunsicherung ist allerdings nicht nur bei den Spitzenpolitikern, sondern auch bei den Wählern festzustellen, wie eine aktuelle Untersuchung des IMAS-Institutes (1.100 Befragte, Umfragezeitraum August, September 1994) dokumentiert. Gefragt wurde, welche Merkmale — unabhängig von der eigenen politischen Meinung — an den Parteien am meisten beeindrucken.

Das Ergebnis: bei den Sozialdemokraten nannten 41 Prozent der Befragten den „guten Spitzenkandidaten“, 34 Prozent, „daß sie in der Vergangenheit viel geleistet hat“ und 23 Prozent, daß die SPÖ „soziales Verständnis hat und viel für den ,kleinen Mann1 tut“.

Geradezu bestürzend ist das Image der ÖVP in den entsprechenden Themenbereichen: bloß 19 Prozent der Befragten meinen, daß die Volkspartei „in der Vergangenheit viel geleistet hat“, bloß neun Prozent gestehen ihr „soziales Verständnis“ zu und magere elf Prozent sind der Ansicht, daß die ÖVP „einen guten Spitzenkandidaten hat“. Lediglich in der Wirtschaftskompetenz (26 Prozent gegenüber 23 Prozent bei der SPÖ) und beim „überzeugenden Standpunkt in der Frage des EU-Beitritts“ (24 Prozent gegenüber 23 Prozent bei der SPÖ) liegt die Volkspartei haarscharf vor ihrem Koalitionspartner.

Zum Vergleich: FPÖ-Obmann Jörg Haider wird von 20 Prozent der Befragten attestiert, ein „guter Spitzenkandidat“ zu sein, und sogar Li- beralen-Chefm Heide Schmidt, deren Wiedereinzug in das Parlament alles andere als gesichert ist, läßt bei dieser Frage mit 13 Prozent Zustimmung den Vizekanzler hinter sich.

OPPOSITION ALS THEMENFÜHRER

Auffallend bei der IMAS-Umfrage ist auch, daß in einigen Bereichen die Oppositionsparteien den Koalitionspartnern die „Themenführerschaft“ abgenommen haben: so gestehen 39 Prozent der Befragten den Grünen zu, „daß sie sich besonders für den Umweltschutz einsetzen“ (SPÖ 10 Prozent, ÖVP 10 Prozent, FPÖ 5 Prozent, Liberale 4 Prozent); der FPÖ wiederum trauen 17 Prozent zu, „daß sie für politische Sauberkeit sorgt“ (SPÖ 9 Prozent, ÖVP 9 Prozent, Grüne 7 Prozent, Liberale 7 Prozent). Wenig überraschend ist die Kompetenz der FPÖ in Sachen Ausländerpolitik: 25 Prozent der Befragten meinen, daß Haiders Partei „eine Überfremdung Österreichs ve- hindern möchte“ - aber immerhin trauen zehn Prozent der ÖVP und neun Prozent der SPÖ zu, dasselbe Ziel zu verfolgen.

Im Vergleich der „Vorzüge der Parteien aus der Sicht ihrer Wähler“ wird vor allem die Verunsicherungdes ÖVP-Lagers deutlich vor Augen geführt: während etwa 64 Prozent der SPÖ-Sympathisanten und 65 Prozent der FPÖ-Anhänger der Ansicht sind, „daß sie einen guten Spitzenkandidaten haben“, sind es bei den ÖVP-Wählern bloß 27 Prozent. Während 56 Prozent der deklarierten Sozialdemokraten der Ansicht sind, daß ihre Partei „in der Vergangenheit viel geleistet hat“, sind es bei den Sympathisanten der kleineren Koalitionspartei bloß 37 Prozent. Am ehesten zeigen sich ÖVP-Anhänger (51 Prozent) sind von der Wirtschaftskompetenz ihrer Partei überzeugt.

„TUGENDLOSE“ ÖVP

Bemerkenswert ist das Image der FPÖ bei ihren Sympathisanten, in dem sich auch der Weg von einer einst eher liberalen hin zu einer national-sozialen Partei widerspiegelt: 62 Prozent zeigen sich davon beeindruckt, daß die FPÖ „eine Überfremdung Österreichs verhindern möchte“, 54 Prozent befürworten,

daß die FPÖ „für politische Sauberkeit sorgt“, 51 Prozent freuen sich darüber, daß Haiders Partei „für Recht und Ordnung eintritt“ und immerhin 40 Prozent bewundern deren „soziales Verständnis“.

Dazu die Autoren der Studie: „Für die politische Diagnose ist vor allem von Bedeutung, welche ,Monopoleigenschaften1 die Bevölkerung den einzelnen Parteien zuschreibt. Es ist also zu prüfen, welche Tugenden einer Partei deutlich mehr als anderen Parteien zügeordnet werden und worin somit ihre ,Trümpfe1 im öffentlichen Bewußtsein bestehen.“ Und genau darin liege das aktuelle Image-Manko der Volkspartei, meinen die IMAS-Forscher: „Ein Nachteil der ÖVP besteht zweifellos darin, daß sie in keinem der Problembereiche signifikant höher eingeschätzt wird als die anderen Parteien und somit keinen ihr allein anhaftenden Vorzug besitzt. Zwar wird sie für wirtschaftliches Verständnis etwas mehr gelobt als die SPÖ, aber der Unterschied ist minimal und kaum interpretierbar.“

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