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Sicherheitsdenken brachte Sieg der SPÖ

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Bei geringer Distanz zu einem Ereignis ist eine exakte Analyse schwer. Steht man einem Objekt sehr nahe, so sieht man es unscharf - so man nicht kurzsichtig ist...

Die folgenden Ausführungen sind daher Hypothesen vor einer genauen Nachwahlanalyse, deren Ergebnisse erst dann vorliegen werden, wenn das öffentliche Interesse längst erlahmt ist.

Es ist mit den zur Verfügung stehenden Verfahren der Wahlforschung leichter zu erheben, wo bzw. durch welche Bevölkerungsgruppen eine Wahl entschieden wurde, als auszusagen, weshalb bestimmte* Wählerentscheidungen zustande kamen.

Angesichts der geringen Veränderungen der Wähleranteile von 1975 auf 1979 ist auch ersteres nicht einfach. Sicher lassen sich lediglich die ÖVP-Verluste in gewissen Teilen des ländlichen Raumes feststellen (Oberösterreich, Steiermark), die wahrscheinlich der SPÖ zugute gekommen sind. Auch lassen sich (regional unterschiedlich) FPÖ-Ge-winne auf ÖVP-Verluste zurückführen (Steiermark):

Aussagen über Gewinne oder Verluste bei bestimmten sozialen Gruppen sind hingegen schwierig bzw. widersprüchlich. Die Aussagen der „ersten Stunden nach der Wahl“ bezüglich des Verhaltens der Jungwähler widersprechen einander („Gewinne von SPÖ und FPÖ, Verluste der ÖVP“ einerseits „Anlehnung an regionale Dominanz, FPÖ-Verluste“ anderseits).

Auf Grund demoskopischer Daten der Vorwahlzeit ließ sich kein starker spezifischer Jugendtrend erkennen (am ehesten noch eine Ablehnung der SPÖ, verstärkt durch die Volksabstimmung vom 5. November). Auch bezüglich des Verhaltens „katholischer Wählergruppen“ und jenes „älterer Menschen mit Tendenz zu Law-and-Order-Denken“ bieten die Wahldaten keine Aussagengrühd-lage (beides wurde in der Volkszählung 1971, auf der die ersten Analysen zwangsläufig beruhen, nicht erhoben).

Die einschlägigen Mitteilungen, die ihren Weg leider sehr rasch in die Zeitungswirklichkeit nahmen, basieren zum Teil auf Spekulationen, zum Teil auf einer Vermischung von Wahldaten mit Umfragedaten. Nun kann ein Verschnitt etwas durchaus Gutes sein, aber man sollte ihn als solchen deklarieren, weil der Geschmack des Mischers ins Endprodukt bestimmend eingeht.

Schwierig ist die Frage zu beantworten, warum es zu bestimmten Wahlverhaltensweisen kam. Als -empirisch belegbare - Behauptung sei vorausgeschickt, daß die Wahl in der Zeit des Wahlkampfes entschieden wurde (wobei die Voraussetzungen jedes Wahlkampfes in der Vergangenheit liegen und dieser viel mehr ist als Plakate und Flugzettel: nämlich atmosphärische Inszenierung, Dramatisierung einer oder mehrerer Entscheidungsfragen, inhaltliche Diskussionen oder Versprechungen).

Die SPÖ konnte im Jahresschnitt 1978 mit rund 47 Prozent der Stimmen rechnen, die ÖVP mit rund 44-45 Prozent, die FPÖ mit etwas mehr als 7 Prozent. Beide Oppositionsparteien bauten in den letzten Monaten vor der Wahl ab.

Die SPÖ ging mit einer Reihe von Hypotheken ins Jahr 1979, die es zu überdecken galt: mit der Diskussion um einzelne Regierungsmitglieder und mit einigen Niederlagen (Volksabstimmung, ORF, Wien). Die ÖVP hatte eine relativ erfolgreiche Kritikphase an der Regierung einzubringen, Sachkonzepte, die inhaltlich kaum kommuniziert waren, und einen Spitzenkandidaten, der gegenüber 1975 deutliche Imageverbesserungen aufwies (vor allem gegenüber den „Kronprinzen“) und der auch medial viel stärker wurde (was für viele erst in der TV-Diskussion mit Kreisky erlebbar wurde).

Die FPÖ präsentierte sich mit einem neuen Obmann als Programm. Von ihm hatte man Mitte 1978 viel gesprochen, weil er viel sprach. Er war aber dadurch rasch ins Schußfeld der SPÖ geraten und hatte (wie Taus 1975) einen Imageaufbau in einem Wahlkampf durchzuführen; hatte also keine „Schonzeit“,“ wie'sie“ *äüch n&eil^sb blassen Ministern: und Staatssekretären in Normalzeiten zusteht.

Alle Parteien waren mit Politikerverdrossenheit und Parteienverdrossenheit konfrontiert, mit einer alten Grundstimmung, die - angeheizt durch politische Ereignisse - ihren Begriff gefunden hatte und daraufhin noch stieg.

Vor diesem Hintergrund gab es dann keinen Wahlkampf der Hoffnungen, sondern einen Wahlkampf der Angst. Zwar versuchte die ÖVP -konzeptionell geschickt - durch eine gemeinsame Pensionsgarantie die traditionelle Rentenklau-Propa-ganda der Sozialisten zu unterlaufen; auch hatte sie den Kompetenzvorsprung der Sozialisten beim Thema „Arbeitsplatzsicherung“ gegenüber 1975 verringert (längst nicht egalisiert).

Trotzdem gelang es der konsequenten SPÖ-Werbung und -Sprachregelung die Opposition in die Rolle des Unsicherheitsbringers („Störfaktors“ usw.) zu drängen und sich als Hort der Sicherheit zu präsentieren.

Man forcierte von Seiten der SPÖ die Angst vor ungewohnten Situationen - symbolisiert durch eine hypothetische ÖVP-FPÖ-Koalition, die im Fall des Verlustes der absoluten SPÖ-Mehrheit drohen sollte. Eine solche Koalitionsform ist in Österreich höchst unbeliebt (die denkbar unbeliebteste aller Varianten).

Um diese kleine hypothetische Koalition rankte man Ängste oder angstbesetzte Begriffe: 80er Jahre (für nichtwahlverdächtige Stammwähler), „Reaktion“, „die SPÖ geht in Opposition und niemand weiß, wie's dann mit dem sozialen Frieden steht“, „die Ranger“, „alles soll an-

Photo: Kern ders werden“. Den Gedanken an eine Große Koalition wies man zurück, so daß diese mögliche Beruhigungspille aus dem Verkehr gezogen war.

Die Parole hieß „Alles oder Nichts“ bzw. „Sicherheit oder Unsicherheit“. Für Unsicherheit stand die angedrohte Kleine Koalition, für Sicherheit der „österreichische Weg“, personifiziert durch einen Bundeskanzler, der neun Jahre im Amt war. Es gelang der SPÖ, dem Wahlkampf ihre Entscheidungsfrage aufzudrücken, die sie über ein Jahr vorbereitet hatte (seit der Grazer Gemeinderatswahl im Jänner 1978).

Ich behaupte vorläufig - bis zum Vorliegen einer empirischen Nachwahlanalyse: Viele wählten die SPÖ aus Unsicherheit, vielleicht sogar mit halbem Herzen oder anderen Bruchteilen davon - aber mit ganzer Stimme.

Obwohl sich dieBindungen an Parteien lockerten (die Zahl wechselbereiter Wähler nimmt ständig zu), was längerfristig höchst bedeutsam ist, kam es nur zu geringen Stärkeverschiebungen infolge einer Sicherheitssehnsucht, die einen Wechsel erschwert.

(Der Autor dieses Beitrages ist Sozialforscher und Geschäftsführer des Meinungsforschungs-Instituts Fessel)

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