Warten auf das Zielfoto

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Das Wahlergebnis verheißt entweder baldige Neuwahlen oder einen ÖVP-Bundeskanzler.

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Das Wahlergebnis verheißt entweder baldige Neuwahlen oder einen ÖVP-Bundeskanzler.

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Das Pferderennen ist vorbei, das entscheidende Zielfoto muß aber noch ausgewertet werden. Man mag es zum Weinen oder zum Wiehern finden, aber in dieser Lage befindet sich seit der Nationalratswahl die österreichische Innenpolitik: Alles hängt von ein paar Stimmen mehr oder weniger für die ÖVP ab.

Denn die Festlegungen vor der Wahl waren eindeutig: Die SPÖ lehnte jede Kooperation mit der FPÖ ab, die ÖVP eine Regierungsbeteiligung, sollte sie hinter die Freiheitlichen zurückfallen. Da die kleineren Parteien als Partner von vornherein zu schwach erschienen, stand fest: Eine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit kann nur mit der ÖVP gebildet werden, und zwar nur dann, wenn diese den zweiten Platz behauptet. Insoweit ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel vielen Wählern diese Lage einsichtig machen konnte, riß er das Steuer herum und ließ die Meinungsumfragen rasch alt aussehen. Auch die Wetter an den Wahlbörsen wurden vom fulminanten Finish des schwarzen Hengstes Volkspartei überrascht. Ob es gereicht hat, wird freilich erst die Auswertung der rund 200.000 Wahlkartenstimmen zeigen.

So kreisen derzeit die meisten Fragen um die Volkspartei: Findet sie eine Hintertür, um auch als Dritter in der nächsten Regierung zu sein? Was macht sie, wenn sie doch noch den zweiten Platz schafft?

Natürlich lag der ÖVP-Oppositionsdrohung die Annahme zugrunde, man könnte deutlich hinter die FPÖ zurückfallen, während die SPÖ relativ wenig verlieren werde. Trotzdem ist einzuhalten, was vor der Wahl gesagt wurde. So gern die ÖVP regieren mag, die Glaubwürdigkeit der Partei ist ein zu hohes Gut, um es durch Hintertür-Politik aufs Spiel zu setzen. Als Dritter, noch dazu mit dem schlechtesten Wahlergebnis einer ÖVP, eine Regierung mit den Sozialdemokraten, die ebenfalls ihr schlechtestes Resultat seit 1945 einfuhren, einzugehen, das wäre eine "Koalition der Verlierer". Und eine Koalition als Juniorpartner der FPÖ stand ohnehin nie zur Diskussion.

Als Zweiter - es stand hier schon vorige Woche - hätte Schüssel freilich das beste Blatt. Er könnte der SPÖ, deren Vorsitzenden Viktor Klima der Bundespräsident zunächst mit der Regierungsbildung beauftragen dürfte, schwierige Bedingungen für eine Regierungsbildung stellen und nach deren etwaigem Scheitern die blaue Karte spielen. Eine ÖVP-FPÖ-Koalition käme zwar im Ausland sehr und im Inland ziemlich schlecht an, bürge viele Gefahren, hätte aber einen Vorteil: Nur mit dem Vorrücken in Regierungsverantwortung ist die FPÖ gezwungen, Leistungen zu erbringen, nur so besteht die Chance, ihre großartigen Versprechungen zu entzaubern, während sie im Falle einer Fortsetzung der bisherigen Koalition bei der nächsten Wahl vielleicht die Nummer 1 wird.

Schon jetzt wählen die meisten Männer, die meisten Arbeiter und vor allem die meisten Jungwähler freiheitlich. Der ständige Zuwachs für die FPÖ ist angesichts der zum Teil menschenverachtenden Plakate dieser Partei erschreckend und angesichts der Vielfalt der Versprechungen, die allen - vom Baby bis zum Senior, vom kleinen Arbeiter bis zum Großindustriellen - Verbesserungen verheißen, mehr als verwunderlich. Ganz sicher haben zum Aufstieg Jörg Haiders auch die Massenmedien, die Magazine, die ihm immer wieder Cover-Stories gewidmet haben, enorm beigetragen. Denn trotz aller Kritik an Haider klang dabei stets auch Anerkennung für sein politisches Talent und seine Eignung zum "starken Mann" an.

Auf der anderen Seite wäre DU-Gründer Richard Lugner sicher nicht ganz so abgestürzt, wenn ihn die Massenmedien in den letzten Wochen nicht praktisch totgeschwiegen hätten. Auch die anderen Kleinparteien blieben im Dreikampf SPÖ-ÖVP-FPÖ in der Aufmerksamkeit der Medien zurück. Umso beachtlicher ist das hervorragende Ergebnis der Grünen unter dem stets kompetent wirkenden Alexander Van der Bellen. Wie die Zukunft des diesmal deutlich an der Vier-Prozent-Hürde gescheiterten Liberalen Forums aussieht, ist völlig ungewiß.

Sicher ist: Dieser 3. Oktober 1999 hat Österreich verändert. Selbst wenn noch einmal eine SPÖ-ÖVP-Regierung zustandekäme, wäre das keine "große Koalition" mehr, denn es gibt nicht mehr zwei Großparteien, sondern drei Mittelparteien. Und diese Parteien sind so grundverschieden, daß Kooperationen niemals Liebesheiraten, sondern lediglich Zweckbündnisse sein werden. Das alte Links-Rechts-Schema ist auf diese Parteien nur mehr beschränkt, am klarsten noch auf die FPÖ, die mit ihrer Ausländer- und Law-and-order-Politik in der Tat äußerst weit rechts steht, anwendbar.

Schüssel hat bewiesen, daß es sich lohnen kann, mit den Freiheitlichen auf Konfrontation zu gehen. Daß die ÖVP gerade in der Steiermark am meisten an die Freiheitlichen verloren hat, wo ihre Spitzenvertreter der FPÖ am freundlichsten gegenübertraten, sollte diesen zu denken geben.

Ohne endgültiges Wahlergebnis bleibt jeder Kommentar zu dieser Nationalratswahl Torso und Spekulation. Am wahrscheinlichsten erscheint heute: Wird die ÖVP Dritter, geht sie in Opposition, was wohl baldige Neuwahlen bedeuten dürfte, wird sie Zweiter, kommt es eher, aber nicht sicher, zu einer schwarz-blauen Koalition. Kein roter, aber auch kein blauer Bundeskanzler, das entspricht vielleicht sogar eher dem Wählerwillen als ein neuerliches SPÖ-ÖVP-Bündnis.

Denn in der bisherigen Regierungskonstellation kann die ÖVP mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts gewinnen, sondern nur weiter verlieren - Schüssels diesmaliger Coup läßt sich kaum wiederholen. Daher liegt es nahe, vor einem möglichen Absturz jetzt noch die Chance auf den Bundeskanzler zu nützen. Mehr als daß sie dabei scheitert und doch abstürzt - was wieder Opposition oder Juniorpartner einer anderen Partei bedeuten würde -, kann ihr kaum passieren, und mit einer guten Politik kann sie sogar gewinnen und beim nächsten Mal vielleicht den Kanzlerbonus nützen. Was sich die ÖVP wünscht, ist klar. Aber jetzt braucht sie noch ein Zielfoto, auf dem Schwarz die Nase vorne hat.

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