Ewa Ernst-Dziedzic und Werner Kogler - © Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Ewa Ernst-Dziedzic: „Kompromisse nicht denunzieren“

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Ewa Ernst-Dziedzic, ­stellvertretende Klub­obfrau der Grünen, über die Chancen auf Türkis-Grün, das Heiße-Eisen-Thema ­Migration, rote Linien und grünes ­Bewegungspotenzial.

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Ewa Ernst-Dziedzic, ­stellvertretende Klub­obfrau der Grünen, über die Chancen auf Türkis-Grün, das Heiße-Eisen-Thema ­Migration, rote Linien und grünes ­Bewegungspotenzial.

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Seit Montag ist es fix: Die ÖVP und die Grünen treten in Koalitionsverhandlungen ein. Auf das Verhandlungsteam rund um ÖVP-Parteiobmann Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler wartet dabei wohl einiges an Arbeit. Denn in zahlreichen Punkten liegen die Positionen der beiden Parteien meilenweit auseinander. Und auch atmosphärisch dürfte es noch das eine oder andere zu besprechen geben, waren die Grünen zuletzt doch die schärfsten Kritiker der ÖVP-FPÖ-Koalition – wenn auch außerparlamentarisch. Eine türkis-grüne Regierung wäre laut Umfragen inzwischen allerdings die beliebteste Regierungsform hierzulande. Ewa Ernst-Dziedzic, die im grünen Parteivorstand sitzt, steht einer Koalition mit der Kurz-ÖVP pragmatisch – und durchaus hoffnungsvoll – gegenüber.

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DIE FURCHE: Frau Ernst-Dziedzic, die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen sind beschlossen. Auf einer Skala von 1 bis 10: Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass es auch zu einer Koalition kommt?
Ewa Ernst-Dziedzic: Sie werden wenig überrascht sein, wenn ich sage, dass es unseriös wäre, das mit Zahlen zu benennen. Aber ich bin überzeugt, dass wir nicht auf Scheitern verhandeln. Das Ganze ist natürlich eine Herausforderung, ein Wagnis. Gleichzeitig sind wir uns aber der Verantwortung bewusst, dass viele Menschen die Grünen nicht nur gewählt haben, weil sie in den vergangenen zwei Jahren im Nationalrat gefehlt haben – sondern auch, weil sie sich andere Mehrheiten in diesem Land wünschen. Die eineinhalb Jahre unter Türkis-Blau haben zu einer enormen Diskursverschiebung geführt und das haben viele mit Sorge ­beobachtet. Gerade deswegen sagen uns sehr viele Menschen: Ihr müsst euch jetzt umso mehr um eine Koalition bemühen.

DIE FURCHE: Woran könnte eine Koalitionsbildung am ehesten scheitern?
Ernst-Dziedzic: Natürlich wird der Migrationsbereich immer wieder als ein heißes Eisen angeführt. Da müssen wir darüber reden, wie wir gemeinsame Lösungen auf europäischer Ebene finden. Wir müssen aber auch viel über Bildung reden und darüber, wie wir den sozialen Frieden im Land garantieren. Wie wir verhindern, dass es in einem der reichsten Länder Europas etwa immer mehr Kinderarmut gibt. Da spielt sich also vieles gemeinsam in der Integrations-, Sozial- und Bildungspolitik ab. Genauso wie auch der Klimaschutz eine Querschnittsmaterie ist.

DIE FURCHE: Wo müsste sich die ÖVP bewegen? Wo sind die roten Linien für die Grünen? Stichwort Migration, Klimaschutz, Sozialversicherungen.
Ernst-Dziedzic: Ich werde vor den Koalitionsverhandlungen keine roten Linien definieren. Beim Verhandeln einer möglichen Regierung geht es darum, sich einzelne Bereiche anzusehen und auszuloten, ob es einen gemeinsamen Nenner geben kann. Die Grünen suchen gerade in der Migrationsthematik als vielleicht einzige Partei in Europa nach pragmatischen Lösungen. Wir erkennen, dass es hier Probleme gibt. Aber wir wollen dieses Thema sachlich debattieren.

Es ist eine Heraus­forderung, ein Wagnis. Aber ich bin überzeugt, dass wir nicht auf ­Scheitern verhandeln.

DIE FURCHE: Und wo sind die Schnittmengen mit der ÖVP?

Ernst-Dziedzic: Ich denke doch, dass die ÖVP sieht, dass die Klimakrise vor der Tür steht. Dass der Druck seitens der Jugend steigt und dass wir Verantwortung für die nächsten Generationen tragen. Da braucht es eine radikale Verbesserung bei den politischen Maßnahmen. Und ich denke, hier ist vielen Menschen, aber auch immer mehr politischen Akteuren klar, dass wir da dringend etwas tun müssen.

DIE FURCHE: Grundsätzlich sind die inhaltlichen Überschneidungen der ÖVP mit den Grünen geringer als mit allen anderen Parteien. Für ein Koalitionspapier wird es also große Kompromisse auf beiden Seiten brauchen. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Grünen einige ihrer Kernwerte „ausverkaufen“ werden müssen, wie auch Ihre neue Mitstreiterin Sibylle Hamann das kürzlich in einem Facebook-Posting genannt hat?
Ernst-Dziedzic: Nachdem der erweiterte Bundesvorstand der Grünen die Koalitionsgespräche beschlossen hat, hat Werner Kogler etwas gesagt, das ich nicht nur richtig finde, sondern das auch handlungsanleitend für uns ist: Man darf Kompromisse nicht denunzieren. Der Kompromiss ist keine Aufgabe der eigenen Positionen, sondern ein zentrales Element der demokratischen Arbeit. In einer Demokratie muss von gewählten Parteien auch verlangt werden, dass sie um diese Kompromisse ringen. Und das werden wir als Grüne tun. Genau das ist das Kunststück der Demokratie.

DIE FURCHE: Die Grünen waren in den vergangenen Jahren die schärfsten Kritiker der türkis-blauen Koalition – wenn auch nicht im Parlament. Haben Sie bei einer Koalitionsbildung ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Ernst-Dziedzic: Was wir kritisiert haben, war die Rechts-Verschiebung in der gesamten Republik und darüber hinaus durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Wir haben inzwischen die dritte Liederbuchaffäre in der FPÖ. Wir haben den höchsten Burschenschafteranteil im FPÖ-Klub. Es war der Hauptkritikpunkt der Grünen, dass sich die ÖVP mit einer solchen Partei auf eine Koalition eingelassen hat. Für uns sind die Freiheitlichen regierungsunfähig. Der BVT-Skandal und das Ibiza-Video haben das bestätigt. Zu so einem Punkt soll es nicht mehr kommen. Genau deshalb nehmen wir unsere Verantwortung jetzt sehr ernst.

DIE FURCHE: Ihre Partei wurde gerade erst wieder ins Parlament gewählt. Ginge ein „fliegender Wechsel“ in die Regierung nicht ein wenig schnell? Sind die Grünen dafür tatsächlich bereit?
Ernst-Dziedzic: Ich finde, dass wir höchst professionell arbeiten. Wir haben eine neue Führung und neue Gesichter. Es wäre unseriös, hätten wir nicht schon im Sommer vorgeplant – und das haben wir. Der Fokus liegt jetzt auf dem Nationalratsklub, wir haben viele neue Abgeordnete. Aber wir schweben nicht auf einer Wolke, sondern sind eingebettet in starke Strukturen, auch und gerade in den Bundesländern. Das hat sich in der Zeit gezeigt, als wir nicht im Nationalrat vertreten waren.

Wir betrachten uns nicht als Option B, sondern wir sind einer von zwei ­großen Wahlgewinnern. Und das ist ein Auftrag.

DIE FURCHE: Stichwort Themenhoheit in einer möglichen Koalition. Sebastian Kurz hat sich da gegenüber der FPÖ ja als nicht ganz einfach zu handhabender Koalitionspartner erwiesen. Wie wollen die Grünen da dagegen arbeiten?
Ernst-Dziedzic: In einer etwaigen Koalition sollte es nicht um Themenhoheit, sondern um Augenhöhe und gemeinsame Zielsetzungen gehen. Auch das wäre eine spannende Veränderung.

DIE FURCHE: ÖVP und FPÖ haben ihre Koalition ja immer als Idealpaket gepriesen – nur dass eben Ibiza dazwischen kam. Fühlen sich die Grünen nicht als Plan B?
Ernst-Dziedzic: Wir betrachten uns nicht als Option B, sondern wir sind einer von zwei großen Wahlgewinnern. Und das ist ein großer Auftrag der Wählerinnen und Wähler an uns.

DIE FURCHE: Die FPÖ hat in einer Koalition mit der ÖVP stets verloren – bis hin zu Selbstauf­lösungstendenzen. Keine Bedenken, dass den Grünen als Juniorpartner Ähnliches widerfahren könnte – insbesondere wenn innerhalb der Partei inhaltliche Differenzen auftauchen?
Ernst-Dziedzic: In der vergangenen Regierung wurde sichtbar, dass es auch innerhalb der ÖVP durchaus unterschiedliche Zugänge gibt. Das Hin und Her beim Rauchverbot zum Beispiel. Es betrifft also alle Parteien, die sich in einer Koalition befinden, dass ­intern auch kontroverse Positionen diskutiert werden. Das sehe ich also recht entspannt. Und ganz allgemein gesagt: Zu Tode gefürchtet, ist auch gestorben. Wenn wir mit einer Haltung nach dem Motto „Oh mein Gott, vielleicht zerspragelt es uns, wenn wir in eine Regierung gehen“ in die Koalitionsgespräche starten, ist das sicher kein guter Zugang, wenn es darum geht, in dieser Republik Verantwortung zu übernehmen. Wir haben uns aber darauf geeinigt, dass wir diese Verantwortung nicht nur ernst nehmen, sondern auch übernehmen wollen.

Stefan Schocher

Der Autor ist freier Journalist.

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