"Wer heute eine Partei gründet, ist verrückt"

19451960198020002020

Peter Pilz über Nasenring-Mandatare, fehlende Gewissensbisse gegenüber den Grünen und warum man bei Narzissmus nicht von sich auf Abgeordnete schließen soll.

19451960198020002020

Peter Pilz über Nasenring-Mandatare, fehlende Gewissensbisse gegenüber den Grünen und warum man bei Narzissmus nicht von sich auf Abgeordnete schließen soll.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Eingangstür zum neuen Büro von Peter Pilz ist die gleich neben dem Pfarrhaus. Das sei aber kein versteckter Hinweis auf die nächsten Überraschungskandidaten für seine Liste, versichert der Mitarbeiter, der die Tür öffnet. Im Interview spricht Pilz über die Regeln von Schulskikursen und den Kopf seiner Ex-Partei, den er sich nicht mehr zerbricht.

Die Furche: Herr Pilz, Ihre Liste besteht vor allem aus Quereinsteigern aus den verschiedensten Bereichen mit unterschiedlichsten Agenden. Man könnte auch sagen: Niemand weiß genau, wofür sie politisch eigentlich steht. Warum also sollte man sie wählen?

Peter Pilz: Was die Kandidaten eingebracht haben, ist eine Reihe konkreter, wichtiger Vorhaben. Die Zeit der alten Parteiprogramme halte ich für vorbei. Diese Vorstellung: Man schreibt zu allem ein Programm -und setzt dann nichts davon um. Die Programme wurden in erster Linie zur Steigerung des Glücksgefühls der Parteifunktionäre geschrieben. Für die Praxis der Regierung und des Parlaments waren sie völlig irrelevant. Ich habe noch nie einen Minister erlebt, der gesagt hat: Heute setzten wir diesen und jenen Punkt des Parteiprogramms um. Unsere Alternative ist ein pragmatischer Zugang: Es gibt eine Reihe von großen Problemen. Als neue Liste im Parlament können wir nicht alle lösen, aber einiges konkret verändern.

Die Furche: Tierschutz, medizinisches Cannabis, Unterhaltssicherung -ein recht bunter Mix ist das schon, oder?

Pilz: Wir präsentieren statt eines sinnlosen Parteiprogramms konkrete Arbeitsprogramme von Abgeordneten. Sie können später daran gemessen werden, ob sie sie umgesetzt haben. Wenn es Maria Kern gelingt, die Armut alleinerziehender Frauen und ihrer Kinder zu bekämpfen, wenn es Alfred Noll gelingt, das Amtsgeheimnis abzuschaffen und wenn Sebastian Bohrn Mena eine Tierfabrik nach der anderen zusperrt, dann ist wirklich etwas passiert. Ich will die Republik positiv verändern, statt ständig zu sagen, wofür ich stehe. Diese ewige Herumsteherei, dieses Bekenntnis-Gehabe, war für mich immer eine Form überflüssiger politischer Leibesübungen. Ich bin pragmatisch, will, dass Kontrolle und Korruptionsbekämpfung funktionieren und die Republik gerechter wird.

Die Furche: Ziehen Sie ins Parlament ein, würden Ihre Abgeordneten aber nicht nur zu Themen abstimmen, die ihnen besonders wichtig sind, sondern zu allen Gesetzen -ohne "Klubzwang", wie Sie betonen. Keine Befürchtungen, dass ihre Mandatare sich konterkarieren könnten?

Pilz: Ich habe nie verstanden, warum im Parlament die Regeln von Schulskikursen herrschen sollten: Um sieben Uhr wird aufgestanden, dann gehen wir auf den Hang und machen folgende Bögen. Wir sind erwachsene Menschen, alle hoch qualifiziert in unseren Bereichen. Wir haben gemeinsame Ziele und Vertrauen zueinander. Wir brauchen keine Parteilinie, keine Parteidisziplin und keinen Klubzwang, um ernsthafte Politik zu machen. Es sind fast vorsintflutliche Vorstellungen, dass ein Parlament nur funktionieren kann, wenn die Abgeordneten Nasenringe haben.

Die Furche: Wäre es in einer Regierung nicht schwer, den Koalitionspartner von einem Gesetzesentwurf zu überzeugen, wenn auch die eigenen Abgeordneten unterschiedlich abstimmen?

Pilz: Ich glaube, in SPÖ und ÖVP sind viel mehr Abgeordnete unterschiedlicher Meinung als bei uns. Wir reden Themen in einem Klima der Offenheit und des Vertrauens aus und schauen, dass wir zu gemeinsamen Lösungen kommen. So sollte das eine gute Regierung mit einem guten Parlament auch machen. Die Sorgen, das könnte nicht funktionieren, die sich etliche machen, sind die Sorgen von Vordemokraten. Dieses alte System kann nur mit einem enorm schwachen Parlament funktionieren, dem man diktieren kann. Die Frage ist nicht: Gibt es Disziplin unter den Abgeordneten? Die Frage ist: Lernt die Regierung, mit einem stärkeren Parlament umzugehen? Wenn wir gemeinsam nach vernünftigen Lösungen suchen, gibt es keine Garantie, dass Abgeordnete auf Befehl abstimmen. Aber die Zeit des Befehlens ist im Parlament hoffentlich vorbei.

Die Furche: Ihre Ex-Partei wird auch wegen des Antritts Ihrer Liste wahrscheinlich das schlechteste Ergebnis seit zwei Jahrzehnten einfahren. Gewissensbisse haben Sie keine, oder?

Pilz: Nein. Die Partei war schon lange vor dem Bundeskongress in Linz in einer schwierigen Situation. Wer sich das genau anschaut, wird feststellen: Es war hausgemacht. Wir haben intensiv darüber diskutiert, wie es einen Ausweg aus der grünen Krise gibt. Ich habe mich mit meinen Vorschlägen nicht durchgesetzt. Es war eine der ruhigsten und saubersten Scheidungen in unserer politischen Geschichte. Natürlich bleiben da auch Gefühle der Enttäuschung, das gehört zu Scheidungen dazu. Bei mir halten sich die aber in sehr engen Grenzen.

Die Furche: Häufig ist Kritik zu hören, Ihr Antritt habe vor allem persönliche Gründe. Stört Sie eigentlich, dass man Ihnen öffentlich narzisstische Motive vorwirft?

Pilz: Wenn mir jemand unterstellt, ich bekämpfe den Eurofighter- Deal seit über 15 Jahren aus Narzissmus, dann verschwende ich keine Zeit an solche Diskussionen. Und außerdem: Man soll nie von sich auf Abgeordnete schließen.

Die Furche: Sie sind gerade einer von vielen, die ihre Partei lieber "Liste" oder "Bewegung" nennen. Wozu diese neue Scham, das P-Wort auszusprechen? Pilz: Was ist an uns Partei?

Die Furche: Sie haben sich mit Hinterlegung der Statuten beim Innenministerium offiziell als Partei angemeldet.

Pilz: Eine Partei ist auch ein Apparat, der ein Eigenleben entwickelt, mit Parteifunktionären und Parteiprogramm. Eine Partei pflegt Parteidisziplin. Das tun wir alles nicht. Dass wir auf das Parteiengesetz angewiesen sind, das leider nicht Listen-oder Bewegungsgesetz heißt -da kann ich nix dafür. Als wir 1985 die Grünen gegründet haben, war eine Parteigründung die einzige Möglichkeit, politisch etwas umzusetzen. Dreißig Jahre später haben wir durch das Internet und die virtuellen Räume ganz andere Möglichkeiten der Kommunikation, der Selbstorganisation, der Vernetzung. Wer damals keine Partei gegründet hat, war verrückt. Wer heute eine Partei gründet, ist ebenfalls verrückt. Was wir versuchen, ist etwas anderes und wesentlich offeneres: eine Beteiligungsplattform, ein politischer Raum, in dem die Menschen uns Mandate erteilen können. Es wäre völlig falsch, das als Partei zu bezeichnen.

Die Furche: Sie sind drei Jahrzehnte auf einem Parteiticket im Parlament gesessen. Später Sinneswandel?

Pilz: Nein. Schauen Sie, was ich in den vergangenen 25 Jahren über diese Fragen geschrieben, publiziert und öffentlich diskutiert habe: Sollen wir versuchen, freiheitliche Wähler zu gewinnen? Sollen wir in völlig andere Milieus vorstoßen? Sollen wir versuchen, neue Mehrheiten zu bilden? Ich diskutiere diese Fragen seit 20 Jahren. Jetzt habe ich die Chance, darauf erfolgreiche Antworten zu geben.

Die Furche: Hängt die Größe eines politischen Apparates nicht einfach davon ab, wie lange es eine Partei gibt und wie erfolgreich sie ist?

Pilz: Wenn man es zulässt. Je größer das Vakuum in der politischen Führung, desto mehr bilden sich Bürokratien heraus. Bürokratien sind Wucherungen in Vakuum, sie vermehren sich durch die Selbstklonung von Bürokraten. Man kann immer wieder versuchen, sie zurückzudrängen und bei den Grünen ist uns das manchmal gelungen. Jetzt versuchen wir aber, eine Struktur zu entwickeln, die schon in ihrer Konstruktion nicht bürokratieanfällig ist.

Die Furche: Was sagen Sie zur Kritik, das Beharren, eine "Bewegung" zu sein, fördere Misstrauen in Parteien -und damit letztlich in die Politik an sich?

Pilz: Zu diesem seltsamen Schluss kann nur kommen, wer glaubt, Politik sei ausschließlich Parteipolitik. Ich halte das Misstrauen gegenüber Parteien für vollkommen berechtigt und gesund. Denn sie interessieren sich in erster Linie für sich selbst und nicht für die Menschen. Alte Parteien erkennt man daran, dass sie völlig nach innen gewendet sind, die Außenwelt immer weniger wahrnehmen. Das hat in den vergangenen Jahren auch für die Grünen gegolten. Die Menschen spüren das und wenden sich von den Parteien ab, die schon längst nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Die paradoxe Reaktion der Parteien: Sie sind beleidigt.

Die Furche: Für die "Kronenzeitung" haben Sie sich mit Wut-Anwalt Tassilo Wallentin vor dem Affengehege ablichten lassen. Wenn Sie Seelöwe, Giraffe und Krokodil zur Auswahl hätten: Vor welchem Gehege würden Sie sich für die FURCHE fotografieren lassen?

Pilz: Ich habe damals übrigens sofort erkannt, dass es Borneound nicht Sumatra-Orang-Utans waren. Denn beim männlichen Orang-Utan aus Sumatra, der viel sozialer ist als der von Borneo, sind die Gesichtsfalten weiß behaart. Sie sehen, ich habe mich immer für meine nächsten Verwandten interessiert. Zu Ihrer Frage: Wenn meine Frau dabei ist, mit den Giraffen. Denn das sind ihre Lieblingstiere. Wenn sie nicht dabei ist, eindeutig mit dem Seelöwen.

Die Furche: Manche in Ihrer ehemaligen Partei würden wohl eher auf das Krokodil pochen.

Pilz: Ich habe mir offensichtlich schon lange nicht mehr den Kopf meiner ehemaligen Partei zerbrochen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung