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Wandern die Grünen ins Out?

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Die Grünen sind in Osterreich eine wichtige politische Kraft. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Sie sind nicht nur wegen ihrer Inhalte wichtig (das sowieso), sondern auch als Teil eines Parteienspektrums, das ohne die kleinen Oppositionsparteien in eine heillose Blockierung driften könnte. Leider muß man sich nach wie vor um sie Sorgen machen, auch wenn das Führungsproblem am Wochenende mit der Wahl von Christoph Chorherr vorerst einmal gelöst wurde.

So seltsam es klingen mag: In einer bestimmten Hinsicht sind Österreichs Grüne nach der Wahl Chorherrs zum Bundessprecher in einer ähnlichen Situation wie die ÖVP. 1995. Es besteht nämlich die Gefahr, daß ihre Politiker die Prioritäten jener Teile der „Basis", von denen sie in ihre Funktionen gewählt werden, für die Prioritäten ihrer potentiellen Wähler halten. Dies könnte sich als gefährliche Verwechslung entpuppen.

Wolfgang Schüssel schlug tatsächlich eine gewaltige innerparteiliche Begeisterung entgegen, die ihn im Wahlkampf motivierte. Bloß: Seine Prioritäten waren, jedenfalls nicht in dem Ausmaß, mit dem er glaubte, rechnen zu dürfen, keineswegs die Prioritäten der Wähler. Bei den Grünen kann man zwar nicht gerade von einer überbordenden Begeisterung der Basis reden, aber immerhin, die Zustimmung reichte aus, um Chorherr zum Bundessprecher zu machen. Nun stehen er und die anderen Politiker der Grünen vor der Frage, ob ihre Prioritäten, und die derer, die sie in Funktionen wählen und über Kandidaturen bestimmen, tatsächlich auch die ihrer potentiellen Wähler sind. Beziehungsweise derjenigen Wähler, die 1994 die Grünen gewählt - und sie 1995 nicht ge^ wählt haben.

Das ist jedenfalls die Frage, die sie sich stellen müssen. Oder die sie sich stellen müßten. Denn ob sie sie sich stellen, ist nach wie vor die Frage. Die Veranstaltung „Mehrheitsfähige Visionen? Eine Standortdebatte der Grünen" am Vorabend des Bundeskongresses war geeignet, diesbezüglich Skepsis aufkommen zu lassen.

Auf dem Podium saßen je zwei deutsche und österreichische Politiker: der Exminister Joschka Fischer und der Vorstandssprecher Jürgen Trittin vom Bündnis 90/Die Grünen in Bonn sowie die Österreicher Peter Pilz und Johannes Vog-genhuber. Fischer und Trittin nannten mit Nachdruck die Notwendigkeit, Antworten auf das Problem Nummer Eins in Europa, Deutschland und leider sehr wohl auch Osterreich, nämlich die Arbeitslosigkeit, zu entwickeln, als eine zentrale Aufgabe der Grünen. Die Österreicher nahmen Arbeit und Arbeitslosigkeit nicht in den Mund. Sie redeten von der Umwelt, erwähnten all die sozialen Fragen, die bereits das Bepertoire von Madeleine Pe-trovic ausmachten, vor allem aber verwickelten sich Pilz und Voggenhuber in eine exklusive, nur in Kenntnis der Hintergründe als emotionsgeladen erkennbare Debatte, was die Grünen nun eigentlich seien, eine Basisbewegung, oder, dies vor allem der Standpunkt von Petzer Pilz, ihren Wählern verpflichtete Abgeordnete.

Bloß: Welchen Wählern? Daß sich die Grünen auf ein Potential umweltbewußter Kernwähler auch weiter verlassen können, ist ziemlich sicher, und daß dieses kaum weiter schrumpfen wird, dürfen sie hoffen. Es spricht auch viel dafür, daß ein Teil der Nicht-mehr-Grün-Wähler vom 17. Dezember, verschreckt vom Ausmaß der Grünen Erosion, bei den bevorstehenden Gemeinderats- und Europa-Wahlen die Grünen wieder stärken wird. Die Wahlen, bei denen die unmittelbaren Interessen der Wähler mit größter Macht ins Gewicht fallen, sind freilich nach wie vor die Nationalratswahlen. Und der Erfolg bei Nationalratswahlen entscheidet über die Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit jeder politischen Partei.

Alles deutet darauf hin, daß die Arbeitslosigkeit weit über die nächsten Nationalratswahlen hinaus das für die Wähler wichtigste Problem bleibt, und daß angesichts der durch die Arbeitslosigkeit zum Zerreißen angespannte Budgetsituation die Lösung oder NichtLösung dieses Problems auch über die Chancen aller sozialen Forderungen, aller sozialen Pläne und Konzepte entscheidet. Hingegen ist sehr fraglich, ob die Wähler den Grünen die Technologie-Kompetenz abkaufen, die Chorherr so am Herzen liegt. Und wieviel Arbeitsplätze sich mit Technologie-Kompetenz überhaupt noch retten lassen.

Es ist eine große Frage, ob Parteien ohne handfeste Aussagen zum Problem der Probleme, der Arbeit, in Zukunft noch auf Mehrheitsfähigkeit, oder auch nur Zugewinne im Nationalrat, hoffen dürfen. Hier werden die Grünen jene Sensibilität und Konzeptfähigkeit entwickeln müssen, die ihnen derzeit offensichtlich noch völlig fehlt, wenn sie auf Dauer überleben wollen. Dies könnte sich als ihr Hauptproblem erweisen.

Natürlich haben sie auch noch eine ganze Menge andere. Der innere Zustand der Grünen war zuletzt alles andere als gut. Eine Kommunikation zwischen den Parlamentsabgeordneten und der Basis war teilweise überhaupt nicht mehr vorhanden und die Meinung, die Politiker würden abgehoben agieren, weit verbreitet. Desgleichen die Ansicht, die Erhaltung der Mandate und der damit verbundenen eigenen Existenzabsicherung sei für einen erheblichen Teil vor allem (aber keineswegs nur) der Parlamentsabgeordneten der Grünen zum Hauptanliegen geworden. Das Intrigenspiel habe in den letzten Monaten einen so großen Teil ihrer Zeit beansprucht, daß sich schon aus diesem Grund konzeptiv nichts mehr abspiele. Das sei zum Teil schon ärger als in den Großparteien.

Nun beginnt wohl eine neue Runde des geschäftigen Bauern-Auf Stellens und Startlöcher-Grabens und Einzementierens. Sie abzukürzen, wird wohl die erste und derzeit wichtigste Aufgabe des neuen Bundessprechers, sein.

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