Holpriger Start für "neue Harmonie"

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"Umfärbeaktionen sind bei jedem Regierungswechsel üblich. So rasch und plump wie aktuell wurden sie bisher jedoch selten durchgeführt.

Auch Schüssel ließ die FPÖ unter Schwarz-Blau gewähren. Doch damals ging es nie um die Institutionen des Staates an sich. Das ist heute anders. Heute geht es um deren Unversehrtheit."

Österreich steht also jetzt an der Schwelle zu einer "neuen Zukunft". Was eine "alte Zukunft" sein soll, hat Finanzminister Hartwig Löger in seiner Budgetrede vergangene Woche nicht verraten. Vielleicht ist es so zu verstehen: Wir stehen vor einer neuen Zukunft und blicken auf die "alte" der ersten hundert Tage der Regierung Sebastian Kurz zurück. Die Österreicher sind damit zufrieden, jedenfalls zu 53 Prozent, wie jüngste Umfragen zeigten.

Aber was lässt sich beim Blick zurück auf diese Zeit wirklich erkennen? Innerkoalitionäre Harmonie, überraschende Scheu vor Eingriffen in das "System", eher Sparen bei den Menschen. Dazu Schuldzuweisungen, perfektes Polit-Marketing sowie Symbole gegen Nationalsozialismus und Antisemitismus per Denkmal - zum Regierungsantritt mit Mahnmal in Maly Trostinec in Weißrussland und jetzt mit neuem Mahnmal in Wien.

Da ist einmal die "neue Harmonie" in der türkis-blauen Koalitionsregierung, die den alten rot-schwarzen Zank und Hader abgelöst hat. Alles werde, so wird versichert, intern geklärt und bereinigt. Blickt man auf die vergangenen drei Monate zurück, dann sind diese Bereinigungsaktionen zwischen Bundeskanzler Kurz und seinem Vizekanzler Heinz-Christian Strache nicht besonders erfolgreich.

Unbedarft oder unverschämt?

Eigentlich hätten Bundes-und Vizekanzler in aller Harmonie darauf bedacht sein müssen, Schaden von der Gesamtregierung abzuwenden. Dann hätte die FPÖ nicht derart in die Defensive geraten können wie zuerst in der Affäre um die Nazi-Lieder der Wiener Neustädter Burschenschaft Germania; dann mit den vielen Fragwürdigkeiten rund um Mitglieder der Burschenschaften in mehr oder weniger wichtigen Positionen der Verwaltung; und schließlich in der Affäre um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Wozu soll die innerkoalitionäre Harmonie gut sein, wenn nicht zum Erhalt der Glaubwürdigkeit der Regierung?

Die Bilanz der ersten 100 Tage fällt in dieser Hinsicht eher bedenklich aus: Entweder Bundeskanzler Kurz wirkt nicht genügend auf den Koalitionspartner ein -oder dieser negiert ihn einfach, wissend, dass ein Bruch der Koalition zu so einem frühen Zeitpunkt auch die ÖVP beschädigen und das wohldurchdachte Polit-Marketing von der "neuen Zukunft" zunichte machen würde.

Jedenfalls ist die große Überraschung dieser ersten drei Monate nicht das Fehlen oder Verschieben großer "Leuchtturmprojekte" - sondern die Unverfrorenheit, mit der die FPÖ machtpolitisch agiert. Auch die Kaltschnäuzigkeit in der blauen Personalpolitik war zum Überraschen geeignet. Austauschund Umfärbeaktionen sind bei jedem Regierungswechsel üblich. So rasch und so plump wie aktuell wurden sie bisher jedoch selten durchgeführt -weder in den Ministerien selbst, noch in Unternehmen mit Staatseinfluss.

Ist die FPÖ politisch-handwerklich so unbedarft oder parteipolitisch so unverschämt? Diese Frage lässt sich nach den vergangenen 100 Tagen noch nicht schlüssig beantworten. Erst recht nicht, seit die Zusammensetzung der sogenannten Historikerkommission zur Freilegung der "braunen Flecken" in der Partei bekannt wurde. Denn sie ist eine Verhöhnung der eigentlichen Anforderungen. Eine kluge Parteiführung hätte nicht mehrheitlich Vertreter des rechten Parteirandes entsendet, sondern sich durch parteiferne Experten gegen alle weiteren Vorwürfe immunisiert.

Sparen bei den Menschen

Die Scheu vor Reformen des "Systems" ist möglicherweise mangelnder Sach-und Fachkompetenz in dieser kurzen Zeit geschuldet und nicht nur der Serie an Landtagswahlen. Da lassen sich Veränderungen bei den "Menschen" rascher herbeiführen und leichter kommunizieren. Vor allem mit einer Sündenbock-Politik: Sparen bei der Mindestsicherung, bei Arbeitslosen, bei älteren Arbeitnehmern. Bei den sogenannten "Durchschummlern", bei Hilfsorganisationen und vor allem bei allen Nicht-Österreichern, wie das neue "framing" - also der Deutungsslogan für Ausländer -nun lautet.

Das hat den Vorteil, zwischen Asylberechtigten, Asylwerbern, legalen oder illegalen Migranten und EU-Ausländern nicht mehr unterscheiden zu müssen und mühelos eine Identifikationsmöglichkeit für die eigenen Wähler herstellen zu können. Wird etwa argumentiert, Sozialleistungen seien nur für jene da, die zuerst in das Sozialsystem eingezahlt haben, dann schließt diese Argumentation Asylberechtigte und Asylwerber von vornherein aus. Wie hätten diese im Vorfeld Beiträge leisten können?

All das sollte nach Wunsch der Regierung im Rahmen lückenloser Marketing-Kontrolle und durchgestylter Inszenierungen stattfinden: Jede Woche sollte ein neues Thema die Öffentlichkeit, ergo die Medien, beschäftigen. Alle involvierten Regierungsmitglieder sollen dafür die gleichen "talking points", also Stehsätze, verwenden. Allein, die Aufmerksamkeit richtete sich immer wieder auf andere Themen: Auf die Affären im Dunstkreis der FPÖ; auf die gebrochenen Wahlversprechen in Sachen direkter Demokratie; auf den ungeheuren Erfolg des "Don't Smoke"-Volksbegehrens, mit dem ÖVP und FPÖ sicher nicht gerechnet haben; auf Charakterfragen der ÖVP-Abgeordneten.

Politische Abläufe in einer Demokratie lassen sich nicht wasserdicht kontrollieren. Das ist eine positive Erkenntnis der vergangenen Monate. Da können sich Politiker noch so sehr auf Schuldzuweisungen an andere konzentrieren. Erstaunlich ist nur, wie unbekümmert dabei mit dem kurzen Gedächtnis der Wähler spekuliert wird: Die Schuld an Staatsschulden spielt man sämtlichen Vorgängerregierungen zu -ungeachtet der Tatsache, dass die ÖVP seit drei Jahrzehnten durchgehend in der Regierung sitzt. Zahlreiche Finanzminister inklusive. An der bisher unzureichenden Integration von Flüchtlingen und Migranten ist laut Sebastian Kurz die Sozialdemokratie schuld. Als Verantwortlicher für Integration sei er zu bestimmten Entscheidungen gezwungen worden, sagt er.

Demokratische Nagelprobe für Institutionen

Dabei wäre -sachpolitisch betrachtet - diese Art der Politik nicht notwendig. Die Regierung Kurz hat so günstige Rahmenbedingungen vorgefunden wie kaum ein Kabinett der vergangenen Jahrzehnte. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Flüchtlingskrise vorerst beendet. Die Budgetsituation ist beherrschbar, die Opposition schwach, der Hauptkonkurrent SPÖ verunsichert, der Generationenwechsel in Bundesländern und bei Sozialpartnern vollzogen. Vereinbarte Entscheidungen wie Familienbonus, Studienplatzfinanzierung, Deutschpflicht vor Schuleintritt und kleine Entlastungen für die eigene Klientel sind ohne Mühe durchzusetzen. Eine Bewährungsprobe hatte die Koalition noch nicht zu bestehen.

Schon oft wurde die aktuelle VP-FP-Koalition mit Schwarz-Blau unter Wolfgang Schüssel verglichen. Abgesehen vom Hang des Kanzlers Kurz, hausgemachtes Ungemach durch öffentliche Absenz von sich fern zu halten, lassen sich jedoch kaum Parallelen erkennen. Sehr wohl lässt sich aber ein Unterschied ausmachen: Zwar zog es auch Schüssel vor, die FPÖ -oft zum Schaden seiner Regierung -gewähren zu lassen, doch ging es damals nie um die Institutionen des Staates an sich. Parlament, Justiz, Sicherheitsapparate, Höchstgerichte und Medien arbeiteten nach bestimmten Usancen und Spielregeln, ohne in Frage gestellt zu werden. Mal besser, mal schlechter, aber ohne dass Zweifel an ihrer demokratischen Festigkeit aufgekommen wären.

Das ist heute anders, wie die vergangenen 100 Tage gezeigt haben. Denn heute geht es um die Unversehrtheit dieser Institutionen. Bundeskanzler Kurz wird dem mehr Aufmerksamkeit als bisher widmen müssen. Oder die ÖVP wird wieder zu sich selbst finden müssen, um ihm diese, seine Verantwortung bewusst zu machen. Immerhin war sie einmal eine staatstragende Partei.

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