Direkte Demokratie - © Illustraiton: Rainer Messerklinger

Was wurde aus der direkten Demokratie?

19451960198020002020

Noch vor Kurzem fungierte die Stärkung politischer Mitbestimmung der Bevölkerung als populäres Wahlkampfthema. Doch seither ward sie nicht mehr gesehen. Ein Gastkommentar.

19451960198020002020

Noch vor Kurzem fungierte die Stärkung politischer Mitbestimmung der Bevölkerung als populäres Wahlkampfthema. Doch seither ward sie nicht mehr gesehen. Ein Gastkommentar.

Werbung
Werbung
Werbung

Im Wahlkampf des Jahres 2017 war die Stärkung der direkten Demokratie in Österreich ein wichtiges Thema. Die ÖVP unter Sebastian Kurz forderte, dass Volksbegehren, die von mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten, also etwa 600.000 Personen, unterstützt würden, zu einem verbindlichen Referendum führen sollten. Der Koalitionspartner FPÖ ging im Wahlkampf noch weiter. Ab vier Prozent Zustimmung sollte es zu einer Volksabstimmung kommen. Nach den Wahlen wäre es einfach gewesen, sich rasch auf einen Wert irgendwo dazwischen zu einigen, wenn man es wirklich gewollt hätte. Da es aber offensichtlich doch Widerstand von gewissen Akteuren gab – vermutlich aus den Reihen der ÖVP – verschob man das Thema auf das Ende der geplanten Legislaturperiode, das man gutgläubig für 2022 avisierte.

Wie unernst das Vorhaben von den beiden Regierungsparteien gemeint war, konnte man am Eiertanz um das Raucher- und das Frauenvolksbegehren erkennen. Plötzlich wollten die Regierungsparteien nichts mehr wissen von zu viel direkter Mitbestimmung. Lange bevor die Probe aufs Exempel folgen konnte, musste die österreichische Demokratie ein Ibiza-Video verdauen und die Regierung den Hut nehmen. Für langjährige Beobachter war die neuerliche Farce um die direkte Demokratie ein alter ebensolcher: Denn viele Beispiele zeigen, dass Referenden von den meisten politischen Repräsentantinnen und Repräsentanten nur dann für sinnvoll erachtet werden, wenn sie den eigenen Zielen dienen. Sobald sich das Gegenteil abzeichnet, werden Ausreden gesucht, um sich aus der Affäre zu ziehen.

Bequemer in alten Bahnen

Im neuen Regierungsprogramm hat man wohl gerade aufgrund der peinlichen Erfahrungen gleich ganz darauf verzichtet, das Wort „direkte Demokratie“ zu erwähnen. Wahrscheinlich verlässt man sich auf das kurze Gedächtnis des Wahlvolks, das man vor wenigen Jahren noch vollmundig ermächtigen wollte. Heute redet kaum mehr jemand von automatischen Volksabstimmungen bei gelungenen Volksbegehren. Auch in den Medien ist nichts davon zu lesen. Wozu also die eigene Macht riskieren und die Demokratie erneuern, wenn es doch bequemer in den alten Bahnen geht? Weder die ÖVP noch die Grünen halten offenbar die Stärkung der direkten Demokratie in Österreich noch für erstrebenswert. Das ist zwar taktisch nachvollziehbar, aber doch einigermaßen inkonsequent.

Die Grünen standen immer für mehr Basisdemokratie und haben dies bis vor Kurzem stets deutlich unterstrichen. In Bezugnahme auf die damals aktuelle Enquete-Kommission und den dazugehörigen sogenannten Minderheitenbericht hieß es im September 2015 auf ihrer Website: „Die Opposition spricht sich im Minderheitenbericht insbesondere für die Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung auf Bundesebene und Landesebene aus. Volksbegehren, die von einer bestimmten Anzahl an Wahlberechtigten unterschrieben werden, sollen bei Nichtumsetzung durch den Nationalrat automatisch zu einer verbindlichen Volksabstimmung führen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung