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Überdruck durch Unterschriften

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Die Bürger proben den Aufstand: Landauf, stadtafo konstituieren sich spontane Gruppen und Komitees, die Bezirkskaiser und Stadtväter verschrecken. Bürgermeister finden in Bürgern ihre Meister.Das Reizwort heißt Bürgerinitiative, das Ziel (vorerst noch) gesunde Umwelt. Das kommt nicht von ungefähr: Unsere Großstädte leiden unter den Planungsfehlern vergangener Jahrzehnte, die mit unheimlichem Traditionsbewußtsein weitergeführt werden, ersticken im Verkehr und werden zu immer gigantischeren Agglomerationszentren, die dem einzelnen kaum mehr Baum für seine ureigensten Bedürfnisse lassen. Gepfercht in zu kleine Wohnungen, entnervt vom täglichen stundenlangen Wühlen durch den Verkehr und bedroht von Abgasen und belästigt vom Lärm, sehnt sich der Großstädter nach seiner biologischen Heimat. Kitschig: nach Wiesengrün und Saatengold. Das Großstadtgrau macht allergisch gegen die Verbauung von Parks und die Zerstörung karger Grünflächen.

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Die Bürger proben den Aufstand: Landauf, stadtafo konstituieren sich spontane Gruppen und Komitees, die Bezirkskaiser und Stadtväter verschrecken. Bürgermeister finden in Bürgern ihre Meister.Das Reizwort heißt Bürgerinitiative, das Ziel (vorerst noch) gesunde Umwelt. Das kommt nicht von ungefähr: Unsere Großstädte leiden unter den Planungsfehlern vergangener Jahrzehnte, die mit unheimlichem Traditionsbewußtsein weitergeführt werden, ersticken im Verkehr und werden zu immer gigantischeren Agglomerationszentren, die dem einzelnen kaum mehr Baum für seine ureigensten Bedürfnisse lassen. Gepfercht in zu kleine Wohnungen, entnervt vom täglichen stundenlangen Wühlen durch den Verkehr und bedroht von Abgasen und belästigt vom Lärm, sehnt sich der Großstädter nach seiner biologischen Heimat. Kitschig: nach Wiesengrün und Saatengold. Das Großstadtgrau macht allergisch gegen die Verbauung von Parks und die Zerstörung karger Grünflächen.

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Die Situation ließ in den letzten Jahren auch in Österreich ein geradezu aggressives Interesse an der Kommunalpolitik entstehen. Es gärt an der Basis. Bürgerinitiativen sind die Folge der Kommunikationsunterbrechung zwischen einer institutionell abgesicherten Funktionärsschicht und den Bürgern der Großstädte, die willens sind, ihren Lebensraum zu verteidigen und Entscheide ihrer gewählten Repräsentanten demokratisch zu korrigieren. Diese Initiativen kriechen in die Schneckenhäuser, die eine starke und effektive Opposition durch die Parteien unbesetzt ließ und wurzeln in den Leerräumen, die eine falsch verstandene Kommunalpolitik entstehen ließ. Zum einen begriffen die Parteien bisher die kommunale Ebene der Politik leider nur zu oft bloß als Exerzierfeld für talentierte Nachwuchspolitiker, die sich ihre ersten Sporen auf dem — wie man meinte — ungefährlichen Gebiet der Kommunalpolitik verdienen sollten, zum anderen als ehrenvolles Ausgedinge für Ex-Exzellenzen. Mit Titel'und Salär.

Dieses falsche Verständnis kommunaler Probleme wird zwar heute parallel zum steigenden Problembewußtsein um den Zustand unserer Großstädte langsam abgebaut, die einstmals getroffenen Entscheidungen aber wirken weiter fort; und werden täglich durch Entscheide, die aus Sachzwängen und unflexibler Planung entspringen, komplettiert.

Vorerst wenden sich die Bürgerinitiativen gegen den Verlauf einer Autobahntrasse, die Lage eines Flugplatzes oder die Zerschneidung von Wohnvierteln. Der manifeste Wille des Bürgers ist derzeit vor allem auf die Abwehr bereits fertig geplanter, kurz vor der Realisierung stehender Bauvorhaben gerichtet. Bürgerinitiativen sind im Augenblick noch defensiv. Was wird jedoch sein, wenn nicht mehr die Vereitelung von Bauvorhaben zur Diskussion steht, sondern vom Bürgermeister Initiativen verlangt werden? Etwa der Bau von Kindergärten oder von Schulen, der Ausbau von Straßen und von Spielplätzen? Ein erstes Zeichen waren die Unterschriftenaktionen gegen die Errichtung eines Zoologieinstituts im Wiener Sternwartepark und die Gegeninitiative der Studenten für den Bau. Und hier bricht mit aller Vehemenz das Fehlen der rechtlichen Basis für diese Formen direkter Demokratie auf.

Tatsache ist, daß ein Ost-West-Gefälle der Bürgerinitiation in Österreich besteht, was die Durchsetzung der Willensäußerung der Bürger in den einzelnen Bundesländern betrifft: während in Tirol und Vorarlberg' die Möglichkeit besteht, durch Volksabstimmung und Volksbegehren den Willen der Bürger landesgesetzlich Wirklichkeit werden zu lassen, fehlt in den Bundesländern Wien und Burgenland jede (gesetzlich vorgesehene) Art der direkten Demokratie. An der Bewohnerzahl gemessen, müssen etwa 1,9 Millionen Österreicher auf Landesebene auf aktive Mitbestimmung verzichten. Die Doppelstellung Wiens als Bundesland einerseits und als Gemeinde anderseits sperrt die Bewohner dieser Stadt gleich auf zwei Ebenen von aktiver Betätigung und Mitbestimmung aus. Das seit Jahrzehnten sozialistisch dominierte Wien ist eine — und die größte — der rund 260 Gemeinden (von insgesamt 2400 in ganz Österreich), in der es keinerlei gesetzlich vorgesehene Form der direkten Demokratie als Korrektiv der repräsentativen Demokratie gibt. Während die Gemeinden der Steiermark über Gesetze, die noch nicht erlassen sind, rechtens eine Volksbefragung abhalten können, die Vorarlberger, Tiroler und Steirer auch Volksbefragungen allgemeiner Art kennen und bereits beschlossene Gesetze in Kärnten und Vorarlberg durch eine Volksabstimmung geändert werden können, gibt es derlei in Wien nicht — braucht es nach Meinung der Mehrheitspartei nicht zu geben; und als die Wiener ÖVP den Antrag stellte, die Rechtsinstitute Volksbegehren, Volksbefragung und Volksabstimmung in die Wiener Stadtverfassung einzubauen, erklärten die roten Rathausmänner, daß sich diese Modelle für den Landesbereich bisher „offensichtlich als nicht unbedingt erforderlich erwiesen hätten“.

Ohne rechtliche Fundierung stößt aber jede Unterschriftenaktion an die Grenzen politischer Durchsetz-barkeit und es obliegt dem Bürgermeister — nach eingehender Prüfung der politischen Relevanz, sprich: Volumen, des Unterschriftenpakets— sich dem Druck zu beugen oder einfach zu erklären, daß trotz einiger Verzögerer und Leute, die ihren Gruppenegoismus auszuleben wünschen, dies oder das Planungsvorhaben eben ausgeführt werde. Quantität statt Qualität? Die Folgen liegen auf der Hand: Um mit einer Bürgerinitiative in einer Kommune ohne Rechtsfundament für diese Formen direkter Mitsprache Erfolg zu haben, kommt es nicht so sehr auf die „Qualität“ der Argumentation an, sondern vielmehr auf die „Quantität“. Je mehr Unterschriften, desto wahrscheinlicher ist das Einschwenken der Gemeindefürsten. Dies bedingt jedoch, daß die erfolgreichsten Bürgerinitiativen von potenten und weitverbreiteten Massenmedien initiiert oder aufgebaut werden müssen — ein weiterer Fall von Delegation faktischer Staatsmacht an die Vertreter der Massenmedien. Politik nach den Wünschen der großen Leserfamilie?

Haben jedoch — der andere Fall — eine genügend bis mittelgroße Zahl der Bewohner einer Gemeinde ihren Willen und ihre Wünsche durch ihre Unterschriften dokumentiert und wird letztlich gegen sie entschieden, so verstärkt dieser gescheiterte Versuch aktiver Mitgestaltung den latenten Verdruß über das demokratische System an sich. Mag es da noch so zwingende Argumente für eine Entscheidung gegen den erklärten Willen der Aktivbürger geben, sie selbst werden finstere Mani-pulanten und uneinsichtige Apparatschicks hinter den Beschlüssen vermuten. Die daraus resultierende Frustration freilich schlägt mit einer Steigerung der Wahlenthaltung zu Buche. Und demokratische Abstinenz hat noch nie und niemandem genützt.

Man wird also, will man all diese negativen Folgen hintanhalten, an eine Verrechtlichung der Bürgerinitiativen herangehen müssen. Damit keine Mißverständnisse entstehen: auch rechtlich determinierte Formen der außerparlamentarischen Partizipation können keinesfalls das System der repräsentativen Demokratie ersetzen. Bürgerinitiativen haben die bestehenden, institutionalisierten Formen demokratischer Beteiligung am Willensbildungs- und Entschei-dungsprozeß zu ergänzen. Darüber hinaus müssen aber — Beispiel wieder Wien — die Institutionen demokratisiert werden. Endziel ist ein wohlausgewogenes System von Rechtsvorschriften, die auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene dem Souverän in einer Demokratie, dem Wähler also, maximale Mitsprache und Mitentscheidung gewähren.

Auf der untersten, der kommunalen Ebene und hier wieder in einem speziellen Bereich, einem Bezirk etwa, haben Bürgerinitiativen ihre Funktion.

Vorerst einmal müssen Bürgerbeteiligungen rein zeitlich vorgezogen werden. Die Mitsprache kann nur dann sinnvoll sein, wenn Planungen noch nicht abgeschlossen sind und Entscheidungen noch ausstehen. Ein Blick über die Grenzen zeigt ein funktionierendes Modell: Das „Münchner Forum“, eine Plattform, auf der Bürgerinitiativen verschiedenster Art die Möglichkeit finden, an die Öffentlichkeit zu treten, wird bei allen größeren Planungsvorhaben vom Stadtrat offiziell zu den Besprechungen eingeladen und mit detaillierten Informationen versorgt, Der Initiator des „Münchner Forums“ (Klühspies in einem Interview in der „Kleinen Zeitung“): „Insgesamt ist in Gang gekommen, daß diese Planungsgeschichte aus dem Bereich der Experten herausgenommen wird, also aus dem Bereich, der für den Bürger unverständlich, uner-fahrbar war. Plötzlich fühlen sich Bürger, die sich früher nie mit solchen Problemen befaßt haben, ermutigt und sogar genötigt, hier aufzutreten, ihre Wünsche kundzutun, ihre Vorstellungen darzulegen.“

Finanziert wird diese Bürgerplattform zu drei Vierteln (180.00(1 Mark) von der Stadt München, der Rest wird durch Spenden verschiedener Verbände, wie Gewerkschaft Industrie und Handelskammern aufgebracht.

Eine VP-nahe Studiengruppe erarbeitete in ihrem „Modell Wien“ ähnliche Modelle für die Beteiligung der Bürger an Planungsvorhaben: „Die Bürgervertreter haben Recht aul volle Information durch die Stadtverwaltung, Akteneinsicht, auf Antrag zu einer sie betreffenden Frage, aul Anhörung durch den Gemeinderat und seine Ausschüsse, Einberufung von Bürgerversammlungen. Solche Gemeindeforen (Bürgerausschüsse, -Versammlungen) können administrative Funktionen im Rahmen einer beschränkten Selbstverwaltung übernehmen (Planungen, Sozialdienste, Kommunikationszentren); sie sollen die Bildung von Nachbarschaftsgruppen Initiieren. Die örtlichen Planungsträger sollten eine Liste von Personen führen, die informiert werden möchten, sobald Planungsvorschläge veröffentlicht werden. Diese Liste sollte fortgeschrieben werden. Jeder Bürger hat somit das Recht, sich in die Entscheidungen so früh wie nur möglich einschalten zu können. Gleichzeitig wird durch eine derartige Möglichkeit verhindert, daß Partizipation nicht bloße Mehrbeteiligung starker Interessenverbände bzw. Fachinteressenten wird.“

Auch Bürgerinitiativen, die auf die Verhinderung eines konkreten Projektes gerichtet sind, wird man gesetzlich einbinden müssen. Im Fall des Sternwarteparks etwa wäre denkbar, daß die verantwortlichen Politiker verpflichtet werden, sich den Befürwortern und den Gegnern eines Bauvorhabens im Parkgelände in einem „public hearing“ zu stellen. DerArgumentationsvorsprung einer Gruppe könnte die endgültig Entscheidung unterstützen.

Doch auch finanzielle Hilfe ist für die erwachenden Bürger von Interesse: So wäre es etwa möglich, den Initiatoren eines Bürgerkomitees für jede gesammelte Unterschrift einige Schillinge von Seiten der Kommunen zu überweisen. Dieser Betrag muß zweckgebunden sein, also für den Druck von Informationsmaterial oder die Bezahlung von Porti verwendet werden und wird erst ab einer Beteiligung von 500 Personen ausgezahlt. Daneben könnten die Gemeinden angehalten werden (eine Unterstützungsmaßnahme, die kaum Kosten verursacht), Interessensge-meinschaften Abschriften der Wählerevidenzblätter zur Verfügung zu stellen; oder mindestens derartige Abschriften zu gestatten.

Freilich kann kein Zweifel bestehen, daß die ausgefeiltesten und subtilsten Normen die Entscheidungsträger von ihrer Pflicht, nämlich zu entscheiden, und sei es gegen den erklärten Willen einer größeren Gruppe, nicht dispensieren können.

Doch diese Pflicht ist gewählten Mandataren, so versichern sie, nicht immer Last.

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