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Kosmetik oder echte Willensbildung?

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Welche Bedeutung Instrumente der direkten Demokratie haben, ist spätestens seit der Abstimmung über Zwebendorf wohl jedem klar. Ebenso eindeutig ist jedoch, daß die Anwendung dieser Instrumente der direkten Demokratie für Österreich Neuland ist.

Dabei muß es unsere Zielsetzung sein, daß die Grundsätze der repräsentativen Demokratie, auf denen unsere Verfassung beruht, mit der direkten Demokratie zu einer lebendigen Einheit verbunden werden. Ich habe dazu bereits am 13. November 1978, nach meiner Wiederwahl zum Wiener Landeshauptmann und Bürgermeister, grundsätzlich erklärt:

„Die vielleicht elementarste Aufgabe der politischen Parteien muß wieder stärker beachtet werden: Die Aufgabe, durch grundsätzliche, moralisch, ethisch oder ideologisch fundierte Zielsetzungen Menschengruppen zu handlungsfähigen Einheiten zu verbinden, die über den Tag hinaus gemeinsam mit anderen Parteien auch in der Lage sind, Weichenstellungen für Jahre und Jahrzehnte vorzunehmen.

Diese durch nichts zu ersetzende Integrationsfunktion der Parteien war es ja auch, die in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts in der damals heftig geführten Diskussion über Regionalprinzip oder In-teressensprinzip bei der Einführung des Wahlrechtes ausschlaggebend dafür war, daß man sich überall für das Prinzip der örtlich organisierten Wahlkörper und nicht der Interes-senwahlkörper entschieden hat.

Ich möchte ganz offen sagen, daß dieses Besinnen auf die Integrationsfunktion in der repräsentativen Demokratie nicht nur eine Überlegung ist, die man behaglich für sich selbst im stillen Kämmerlein treffen kann. Das bedeutet auch, daß man als Verantwortlicher für diese Stadt nicht grundsätzlich jedem Einzelinteresse, nur weil es sich lautstark manifestiert, schon allein deswegen Vorrang einräumen kann. Es bedeutet, daß man auch bereit sein muß, nein zu sagen, auch wenn einige im Moment darüber'böse sind.

Denn ein Nachgeben bei den Zersplitterungstendenzen der Politik brächte vielleicht einige Jahre hindurch taktische Vorteile, wäre aber letztlich nicht im Interesse der Stadt, vor allem aber nicht im Interesse der Bewohner, die in ihr leben - denn auch beim klassischen Zyklus der antiken Staatslehre folgt auf die Periode der Anarchie der Ruf nach der starken Hand.

Das ist eben die große Herausforderung der Demokratie an alle Verantwortlichen: Im Konsens mit der Bevölkerung für eine zielbewußte und entscheidungsfähige Führung zu sorgen.

Die Einführung der Instrumente der direkten Demokratie in der Wiener Stadtverfassung steht nicht im Widerspruch zu diesen grundsätzlichen Überlegungen. Es ist sicher, daß der Gemeinderat schlecht beraten wäre, würde er die Instrumente der direkten Demokratie zur Flucht aus der Verantwortung verwenden ...

Aber es wird auch in der Politik unserer Stadt eine Reihe von Entscheidungen geben, wo die verantwortlichen Organe, vor allem der Gemeinderat, als Basis für die detaillierten Fachentscheidungen eine Grundsatzentscheidung der Wiener Bevölkerung oder eines Teiles davon einholen wird. In diesem Sinne wollen wir Volksbefragungen und Volksabstimmungen als Ergänzung der verantwortlichen Tätigkeit der gewählten Organe der Stadt Wien einsetzen."

Die hier erwähnten Verfassungsbestimmungen wurden 1978 beschlössen, die Durchführungsgesetze 1979. Ich habe von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, daß damit nicht nur theoretische Möglichkeiten verkündet werden sollen. Deshalb wird nun, von 16. bis 18. März, zum faktisch frühestmöglichen Termin die erste Wiener Volksbefragung durchgeführt.

Einen Vorgriff stellte bereits die Befragung zur Fünf-Tage-Woche an den Pflichtschulen dar. Das Ergebnis dieser Befragung wurde konsequent in die Tat umgesetzt Ich habe keinen Zweifel daran gelassen, daß auch das

Ergebnis der Volksbefragung vom März verbindlich sein wird.

Ich bedaure, daß sich andere .Gruppen und Personen zu einer solchen Erklärung bisher nicht aufraffen konnten. Ich kann mir nur einen Grund dafür denken: Offenbar haben manche, die behaupten, im „Namen des Volkes" zu sprechen, nun Angst davor, daß das Volk selber entspricht.

Es ist verständlich, daß es um die Auswahl der Fragen Diskussionen gab. Vor allem kann man natürlich noch viele andere Fragen vorschlagen, die einer Volksbefragung unterzogen werden könnten. Mir scheinen jedoch zwei Grundsätze wichtig: Erstens muß die Zahl der Fragen begrenzt und damit überschaubar sein, zweitens müssen es Fragen sein, die sehr viele Menschen betreffen oder bewegen. Die Begrenzung auf vier Fragen und die Inhalte dieser Fragen entsprechen diesen Grundsätzen.

Eine entscheidende Voraussetzung für das Funktionieren der Instrumente der direkten Demokratie ist die ausreichende Information der Wahlberechtigten, wobei ich unter „ausreichend" die Vermittlung der sachlichen Entscheidungsunterlagen ebenso wie die Darlegung der Für und Wider verstehe. Außer der Stadtverwaltung haben auch die politischen. Parteien und die Massenmedien hier eine wichtige Aufgabe im Dienste der lebendigen Demokratie zu erfüllen.

Wichtig erscheint mir überdies, die Instrumente der direkten Demokratie sehr überlegt und gewissenhaft einzusetzen. Man kann Politik, also auch Stadtpolitik, nicht zum wöchentlichen Quiz machen. Damit würde man - ebenso wie mit einer langen Liste von Fragen bei einer Abstimmung - diese wertvollen Instrumente abwerten und letzten Endes wahrscheinlich zerstören.

Die Intensität der Beteiligung sin der ersten kommunalen Volksbefragung in Wien wird auch in dieser Hinsicht wertvolle Hinweise für die weitere Entwicklung der direkten Demokratie geben. Ich appelliere deshalb an die wahlberechtigten Wienerinnen und Wiener, sich über die vier Fragen, die von 16. bis 18. März zur Entscheidung vorliegen, möglichst gründlich zu informieren und an der Volksbefragung teilzunehmen.

Zusammen mit meiner Feststellung, daß für mich das Ergebnis der Volksbefragung verbindlich sein wird, ohne Wenn und Aber, ohne Ausreden und Herumdeuteln, ohne Feilschen um Prozente, wird das Ausmaß der Beteiligung klar machen, daß diese Volksbefragung ein eehterAkt der Willensbildung ist.

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