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Der Widerwille steigt von Tag zu Tag

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Mit den Worten „Bauchweh“ und „Unwohlsein“ beschrieb ÖVP-Ob-mann Josef Taus seine eigene Verfassung, als jüngst vor laufenden TV-Kameras das Gespräch auf die bevorstehende Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf kam.

Mit seinem Bauchweh steht Taus nicht allein auf weiter Flur: Was sich in den letzten Tagen auf dem Sektor Volksabstimmung getan hat und noch tun wird, ist alles andere als erfreulich für jene Bürger, die einige Erwartungen in die Premiere der plebiszitären Demokratie setzen.

Nach Bruno Kreiskys Worten vor den versammelten Wiener Parteifunktionären gibt es nun kaum noch Zweifel: Am 5. November geht es in erster Linie nicht um eine Sachfrage, es geht vielmehr um eine Vertrauensfrage für oder gegen die Bundesregierung. Daß diese neue Lage noch mehr Österreicher abstößt, zu den Urnen zu eilen, zeigen schon die Umfragen: Nach einer „Kurier“-Umfrage sind nur 49 Prozent der Wahlberechtigten entschlossen, „bestimmt“ zur Abstimmung zu gehen.

Wird die Abstimmung endgültig zur Farce?

Es stellt sich die entscheidende Frage: Welche Beteiligung ist ausreichend, um wirklich seriöse Anhaltspunkte für die politische Entscheidung zu ermöglichen?

Auf der Seite der großen Oppositionspartei lehnen es Josef Taus wie auch Klubobmann Alois Mock ab, die Repräsentativität der Volksabstimmung in Frage zu stellen. Sie sehen in einer bestimmten Wahlbeteiligung keine Voraussetzung für die Verbindlichkeit des Resultates. Alois Mock nimmt an, jene Wähler, die der Abstimmung fernbleiben, werden damit demonstrieren, daß sie mit der Fragestellung nicht einverstanden sind. Sie müßten daher eher als Nein-Stimmen berücksichtigt werden.

Bundeskanzler Bruno Kreisky betrachtet die Wahlbeteiligung hinsichtlich der politischen Verbindlichkeit des Ergebnisses für kaum re-

levant. In der Schweiz seien es oft nur knapp über 50 Prozent der Wahlberechtigten, die an Abstimmungen teilnehmen.

„Je höher die Beteiligung, desto lieber“, formuliert SPÖ-Zentralse-kretär Fritz Marsch, der aber „nach oben wie unten keine Grenze“ einziehen will.

Der FPÖ-Atomexperte Gerulf Stix meint, wenn die Wahlbeteiligung stark unter 50 Prozent liege, habe die Abstimmung kaum entsprechende politische Aussagekraft. Seine Nichtwähler-Variante: Wer am 5. No-

vember von seinem Stimmrecht keinen Gebrauch macht, sei als skeptischer Befürworter oder als völlig Desinteressierter einzustufen. Begründung: Die Atomgegner sind die engagierteren Bürger, sie werden geschlossener zur Abstimmung gehen als die Befürworter.

Wer glaubt, die Beteiligung der Bürger an der Zwentendorf-Abstimmung werde besonders hoch sein, weil es sich gewissermaßen um eine Premiere in Österreich handle, befindet sich in doppelter Hinsicht im Irrtum. Erstens handelt es sich

nicht um eine Premiere. Versuche mit Elementen der plebiszitären Demokratie hat es auf lokaler Ebene bereits wiederholt gegeben. Auch die geheime Erhebung der Muttersprache vom November 1976 war nichts anderes als ein dramatischer Umweg über das Wählervolk auf dem Weg zu einer politischen Entscheidung.

Zweitens zeigen alle bisherigen Versuche der Volksbeteiligung an politischen Entscheidungen seit 1945, daß auch bei noch so emotiona-lisierten Fragen (Wiener Sternwartepark!) eine Beteiligung von einem Drittel der Wahlberechtigten gar nicht so tief gegriffen ist. Als es Ende Mai 1973 um die Errichtung eines Zoologischen Instituts auf dem Gelände des Sternwarteparks in Wien ging und Bürgermeister Felix Slavik eine schwere Niederlage erlitt, kamen nur 409.658 Wiener von mehr als 1,2 Millionen Wahlberechtigten zu den Urnen und dies, obwohl die Medien den Streit geschürt hatten wie kaum zuvor.

Wenige Wochen nach diesem Ergebnis, am 17. Juni 1973, übten sich die Innsbrucker in direkter Demokratie. Es ging um die Frage, ob der umstrittene Innsbrucker Flughafen aufgelassen werden sollte oder nicht. Die Stadtväter erlebten die totale Blamage: Von 77.791 Wahlberechtigten kamen 8199 Stimmen, was einer Beteiligung von 10,59 Prozent entspricht. Über diese Pleite hieß es im „Kurier“: „Nicht der Bürger hat sich als unreif erwiesen, sondern die Politik, die ihm eine unverdauliche Volksbefragung vorgesetzt hat.“ Ob diese Worte nach dem 5. November neue Aktualität bekommen werden?

Auch die Grazer hatten ihre Volksbefragung: In der jahrelang schwelenden Auseinandersetzung über die Pyhrnautobahn-Trasse im Raum Graz hatten die Grazer Stimmbürger am 27. April 1975 über drei Varianten zu befinden. Von 174.570 Stimmberechtigten kamen 61.820 (35,4 Prozent) zur Volksbefragung. Obwohl in der Lokalpresse von Graz seit 1945 kaum ein Thema so dominierte wie die Pyhrnautobahn, blieben fast zwei Drittel der Grazer zu Hause, was die politische Entscheidung nicht gerade erleichterte.

Schließlich muß auch bedacht werden, daß am 14. November 1976 nur 26,9 Prozent der Wahlberechtigten Österreichs an der Erhebung der Muttersprache teilnahmen - trotz ungeheurer Emotionalisierung der Angelegenheit und trotz gewaltigen Informationsaufwandes seitens der Regierung. In Kärnten kamen freilich 86,3 Prozent zur Erhebung, in Vorarlberg waren es dagegen nur 5,5 Prozent der Aufgerufenen.

Was berechtigt also zur Annahme, 60 oder 70 Prozent der Wahlberechtigten würden am 5. November zur Abstimmung gehen? Die österreichischen Wähler haben leider schon ausreichend Routine im Ignorieren ple-biszitär-demokratischer Versuche. Jeder, der mit der Sache zu tun hat, weiß, daß der Widerwille der Österreicher in Sachen Zwentendorf-Abstimmung von Tag zu Tag steigt.

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