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Bäume oder Menschenleben

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Bürgerinitiativen sind der letzte Schrei. Kaum war der Altbürgermeister von Graz, Scherbaum, vom bürgermeisterlichen Podest gerissen worden, begannen in Wien die Wogen hochzugehen. Was vor Jahren in Fußach spontan geschah und später im Rahmen des Rundfunkvolksbegehrens bundesweite Ausmaße annahm, gilt heute für viele als Indiz einer Krankheit, deren Bazillus Unbehagen heißt. Vom Staatsbürger, der in regelmäßigen Abständen zur Urne gebeten wird, erwartet man, daß er sich im wesentlichen ruhig verhalte und die von ihm gewählten Mandatare gewähren läßt. Schließlich habe er ihnen ja sein Vertrauen geschenkt, weitere Aktivität ist unerwünscht.

Es fehlt in Österreich an einer ple-biszitären Tradition — wie etwa in der Schweiz —, was zwar eine Erklärung, nicht aber eine Entschuldigung für die unüerlegten Reaktionen der etablierten Parteien auf Bürgerinitiativen ist.

Es soll hier nicht näher in die Causa Sternwartepark eingegangen, sondern lediglich festgestellt werden, daß der Bürgermeister von Wien, erst dem massiven Druck der Öffentlichkeit nachgebend, sich zu einer Volksbefragung entschlossen hat.

Nun hat die „Aktion Leben“ eine Volksabstimmung über die Neufassung des 144 StGB, gefordert.

Hier geht es um die Verbauung eines Parks — dort um die Tötung werdenden Lebens, wobei noch festzuhalten ist, daß die „Aktion Leben“ bereits von 823.000 Unterschriften wahlberechtigter Österreicher getragen wird. Wenn uns schon die Bäume so wichtig sind, wie sehr sollte uns dann der Schutz ungeborenen Lebens ein Anliegen sein? Traurig genug, daß es überhaupt soweit kommen mußte.

Der Klubobmann der SPÖ hat bereits unmittelbar nach Verlauten der Forderung nach einer Volksabstimmung dezidiert erklärt, daß eine Herauslösung der Abtreibungsfrage aus dem Gesamtkomplex der Straf-rechtsreform — verbunden mit dem „emotionellen Hochspielen einer Teilfrage“ — nicht in Frage komme.

Einer Partei, die bei jeder passenden (und unpassenden) Gelegenheit das Wort „Demokratisierung“ auf den Lippen führt, steht derlei autoritatives Verhalten schlecht an und erweckt den Verdacht, daß sich die SPÖ in dieser Frage ihrer Sache nicht ganz sicher ist — und lieber

um jeden Preis von ihrer Mehrheit in Nationalrat und Bundesrat Gebrauch machen will. Vielleicht aber sind auch die Herren in der Löwelstraße nur mit dem Vorgang der Volksabstimmung nicht vertraut — weshalb wir ihn hier kurz erläutern wollen.

• Im Art. 43 des Bundesverfassungsgesetzes heißt es: „Einer Volksabstimmung ist jeder Gesetzesbeschluß des Nationalrates nach Beendigung des Verfahrens gemäß Art. 42, jedoch vor seiner Beurkundung durch den Bundespräsidenten, zu unterziehen, wenn der Nationalrat es beschließt oder die Mehrheit der Mitglieder des Nationalrates es verlangt.“

• Soll also eine Materie, die nicht Verfassungsrang hat, einer Volksabstimmung unterworfen werden, so ist dazu eine Mehrheit im Nationalrat notwendig. Bei Änderung einer Materie, die Verfassungsrang genießt, genügt es zum Zustandekommen einer Volksabstimmung, „wenn dies von einem, Drittel der Mitglieder des Nationalstes oder Bundesrates beantragt wird“ (Art. 44, 2 BVG). Dieser Hinweis ist insofern wichtig, als bekannte Verfassungsjuristen (siehe Prof. Schambeck in der FURCHE Nr. 14, 1973) die Meinung vertreten, daß die Fristenlösung der Menschenrechtskonvention widerspreche, somit also verfassungswidrig sei.

• Die technische Durchführung der Volksabstimung ist im Volksabstimmungsgesetz 1962 geregelt, wobei hervorzuheben ist, daß jeder zum Nationalrat Wahlberechtigte zur Stimmabgabe berechtigt ist und die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet.

Daß die Sozialisten offenbar ein eigenartiges Gefühl für Werte und Wertskalen haben, hat sich bereits

im Laufe der leidigen Abtreibungsdiskussion gezeigt. Daß jedoch Bäume in der Wertskala vor dem ungeborenen Leben rangieren, wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf alle jene, die da progressiv am „modernen Österreich“ bauen.

Immerhin wird die Volksabstimmung über die Fristenlösung nicht von ein paar Wirrköpfen gefordert, sondern von den Vertretern der „Aktion Leben“, die zudem die größte Bürgerinitiative seit dem Rundfunkvolksbegehren darstellt.

Aber nein — nicht einmal diese Chance will man dem Wehrlosen geben. Bei Bäumen zeigt man sich kulant und läßt abstimmen; wenn es aber um die Durchsetzung gesellschaftspolitischer Vorstellungen geht, ist die Diskussion zu Ende. Mit unvergleichlichem Zynismus soll die parlamentarische Mehrheit brutal genutzt werden, offensichtlich mit Augenmerk auf die Tatsache, daß eine Volksabstimmung ein überwältigendes Votum gegen die Legalisierung der Abtreibung bringen könnte. Da steckt sehr wenig Zivilcourage dahinter — und dies um so mehr, als bereits aus den Reihen der SPÖ Bedenken gegen die Art der Behandlung dieser Materie erhoben werden.

In der letzten Ausgabe der sozialistischen „Zukunft“ meint Conrad Claus: „Bei allem Verständnis für die Problematik der Abtreibung glaube ich nicht, daß diese Lösung einen Fortschritt bedeutet. Es bleibt ein Verlust an Menschlichkeit, wenn der Mensch als einziges Naturwesen (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) seine Brut vernichtet, noch stolz darauf ist und dies als humane Errungenschaft preist! Wenn uns da nichts Gescheiteres einfällt, dann möchte ich wissen, auf was wir Menschen so stolz sind, worauf wir unsere Menschenwürde stützen.“

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen; bleibt nur zu hoffen, daß vielleicht doch noch eine Volksabstimmung stattfindet, die zeigt, wie es mit der Menschenwürde in Österreich bestellt ist.

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