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Ein Weg fur Osterreich?

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Seit der Einführung der Fristenlösung wird in Österreich eine derzeit unbekannte Zahl, von Kindern Tag für Tag abgetrieben. Es besteht zwischen allen demokratischen Gruppierungen in unserem Land einhellig die Meinung, daß diese Abtreibungen unerfreulich und bedenklich sind.

Um so mehr müßte bei allen Einvernehmen darüber herrschen, daß alles zu tun ist, durch gesetzliche oder auch organisatorische Maßnahmen Kinder am Leben zu erhalten.

Nun hat der sozialistische Klubobmann Heinz Fischer anläßlich der Klubtagung der SPÖ in Salzburg festgestellt, daß „flankierende Maßnahmen“, die im Volksbegehrensentwurf enthalten sind, realisiert werden könnten. Kardinal Franz König hat seinerseits von einer europäischen Lösung des Problems gesprochen. Denn es ist ja in der Tat grotesk, daß große europäische Länder in einer so gravierenden Frage andere gesetzliche Bestimmungen besitzen als Österreich und daß etwa für deutsche Frauen Österreich heute bereits ein Abtreibungsmekka geworden ist.

Daß die Frage der Abtreibung in ganz Europa diskutiert wird, ist bekannt. Und nachdem die deutsche Bundesregierung von ihrem Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe für die Fristenlösung kein grünes Licht erhielt, ist in der Bundesrepublik eine zunehmende Bereitschaft für jene Regelung festzustellen, die derzeit in Frankreich gehandhabt wird.

Wie aber sieht diese französische Lösung aus?

Allerorten wird darüber zwar geredet, eine genaue Kenntnis ist aber — jedenfalls hierzulande — nicht anzutreffen. Mit dem Gesetz Nr. 75/17 vom 17. Jänner 1975 ist in Frankreich ein Weg beschritten worden, der in der Mitte zwischen dem österreichischen Fristenlösungsmodell und einer Indikationslösung liegt:

• Das Gesetz garantiert im ersten Artikel die „Ehrfurcht vor jedem menschlichen Wesen vom ersten Augenblick seiner Existenz an“. Die Absichtserklärung stellt klar, daß das ungeborene Kind öffentlichen Schutz genießt.

• Es wurden im Falle eines freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs innerhalb einer dreimonatigen Frist jedoch alle im Strafgesetzbuch festgehaltenen Sanktionen für fünf Jahre suspendiert (und das ist etwas anderes als, die „Straffreiheit“).

• Im Falle eines Schwangerschaftsabbruches in einem öffentlichen Krankenhaus oder einer staatlich kontrollierten Privatklinik muß der Arzt die Frau über alle Risken medizinischer Art aufklären, er muß der Frau alle Hilfen und Vorteile der französischen Familiengesetzgebung zur Kenntnis bringen; der Frau ist überdies eine Liste mit den Adressen aller dafür zuständigen Organisationen, vor allem der Familienberatungsstellen, auszuhändigen.

• Besteht die Frau trotz Aufsuchens einer Familienberatungsstelle noch immer auf ihrem Entschluß, muß ihr der Arzt eine schriftliche Bestätigung abverlangen. Der Arzt selbst muß ein Zeugnis ausstellen, daß er sich an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten hat.

• Die Krankenanstalten wiederum haben die Frauen eingehend über alle Möglichkeiten der Empfängnisverhütung aufzuklären.

• Die Bestimmungen gelten nicht für Ausländerinnen; in Informationen an öffentliche Behörden dürfen die Namen der Frauen, die einen Abbruch vorgenommen haben, nicht genannt werden.

• Verboten ist jedwede Propaganda für den Schwangerschaftsabbruch. Flankierende Maßnahmen und Strafsanktionen werden gegen Pfuscher und illegale Abtreiber ausgesprochen.

Die zahlreichen Durchführungsverordnungen des Gesetzes enthalten eine Fülle von Anweisungen, was der zum Schwangerschaftsabbruch bereiten Frau an Hilfe zugestanden wird, wenn sie sich doch zu einer Geburt entschließt. Auch ist vorgesehen, daß der zuständige Minister dem Parlament jährlich einen Bericht zu geben hat, der vor allem auf die sozio-demographischen Aspekte eingehen soll.

Wesentlich an dem französischen Gesetz ist wohl die Tatsache, daß es von dem Versuch durchdrungen ist, die Zahl der Abtreibungen möglichst gering zu halten. Vor allem aus den Durchführungsverordnungen geht aber auch hervor, daß die Würde der Frau respektiert wird.

Das ist wohl auch der Grund, warum es in Frankreich seit nunmehr einem Jahr keine gravierenden Unzukömmlichkeiten gegeben hat — wie sie etwa in Österreich an der Tagesordnung sind. Französische Beobachter sind heute der Auffassung, daß sich das Modell bewährt hat. Und seine Initiatorin, Gesundheitsminister Simone Veil, ging auch aus der letzten Regierungsumbildung gestärkt hervor.

In Frankreich haben die französischen Sozialisten das Gesetz der Madame Veil seinerzeit begrüßt und in der Nationalversammlung dafür gestimmt. Das Gesetz trägt heute die Unterschrift des französischen Staatspräsidenten Giscard d'Estaing, des gaullistischen Regierungschefs Jacques Chirac und des christlichdemokratischen Justizministers Jean Lecanuet. Frankreich praktiziert so-hin eine Lösung, die den breiten Konsens des französischen Volkes und aller großen politischen Lager gefunden hat.

In der französischen Kirche wurde der seinerzeitige Gesetzentwurf abgelehnt. Aber bereits im Stadium der Diskussion haben katholische Kleriker und Laien einen zunehmend positiven Standpunkt vertreten, wenngleich auch heute noch auf die grundsätzlich negativen Gesichtspunkte der Abtreibung hingewiesen wird.

Wie die Dinge in Österreich liegen, ist jede Lösung im französischen Sinn besser als die derzeitige Situation. Der französische Weg bietet sich daher aus vielerlei Gründen als Diskussionsgrundlage an. Und die SPÖ hat ja wiederholt auch klargestellt, daß sie im Zuge des Volksbegehrens eine faire parlamentarische Diskussion durchführen will. In Österreich hat seit 1945 keine Frage einen solchen Keil zwischen Katholiken und Sozialisten getrieben, wie der Beschluß der Fristenlösung. Wäre es nicht an der Zeit, jetzt die Diskussion über eine europäische Lösung zu eröffnen, um auch in Österreich einen Kensens in einer so wichtigen Frage — nämlich jener der Erhaltung des menschlichen Lebens — herzustellen?

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