6839963-1975_38_05.jpg
Digital In Arbeit

Bis 5. Oktober keine Aktivität

Werbung
Werbung
Werbung

Das Volksbegehren zum Schutz des Lebens tritt — still und heimlich — in seine Endphase. Still und heimlich deshalb, weil die Verantwortlichen betonen, daß sie sich bewußt aus dem derzeitigen Wahlkampf heraushalten wollen. Am 5. September wurden die bereits gesammelten Unterschriften des Einleitungsverfahrens im Innenministerium deponiert. Das Ministerium hat nunmehr binnen drei Wochen bekanntzugeben, wann das Eintragungsverfahren stattfinden wird. Da die Vertreter der Aktion Leben einen Termin nach der Wahl gewünscht haben, wird allgemein angenommen, daß das Eintragungsverfahren Ende November 1975 stattfinden wird.

Die bisher gesammelten rund 763.000 Unterstützungserklärungen, die ja weit über die vom Gesetz geforderte Zahl hinausgehen, stellen eine deutliche und kräftige Reaktion der Bevölkerung dar.

Die Repressionen gegen die Einleitung des Volksbegehrens haben zwar nachgelassen, waren und sind aber noch immer vorhanden.

Was aber die Vertreter der Aktion Leben am meisten beschäftigt, sind die Erfahrungen, die in der Zwischenzeit mit der Fristenlösung gemacht wurden. Es wird als mehr als bedenklich registriert, daß sich fast alle Ärzte, wenn sie auf die Fristenlösung angesprochen werden, beharrlich ausschweigen. Erfahrungen werden tunlichst unter den Tisch gekehrt. Diese Geheimniskrämerei um einen seit 1. Jänner 1975 durchaus legalen Vorgang ist um so mehr verdächtig, als immer wieder Berichte von Abtreibungen auftauchen, die ein durchaus unerfreuliches, ja geradezu besorgniserregendes Bild zeigen. So berichtet zum Beispiel der Primarius einer Wiener Frauenklinik (Name ist der Redaktion bekannt), daß nach dem Zweiten Weltkrieg sehr oft junge Patientinnen eingeliefert wurden, die eindeutige Verletzungen durch eine unsachgemäße Abtreibung aufwiesen, die offensichtlich vom Eingriff einer „Engelmacherin“ stammten. Die Zahl dieser Patientinnen, die in der Zwischenzeit wesentlich zurückgegangen war, ist nunmehr seit Einführung der Fristenlösung wieder sprunghaft angestiegen. Es gibt also heute wieder bedeutend mehr geheime Fälle als noch vor einem Jahr, obwohl die Abtreibung jederzeit von einem Arzt legal vorgenommen werden kann.

Als weiteres Negativum der Fristenlösung führt Frau Renata Erich von der Aktien Leben an, daß sich „der Druck auf die Frau“ ungemein verstärkt habe und die Freigabe der Abtreibung starke „antiemanzipato-rische“ Auswirkungen zeige. Der Mann kann heute nämlich durchaus im Rahmen der Gesetze versuchen, seine Frau oder Lebensgefährtin zu einer Abtreibung zu motivieren. Wenn sich jedoch eine Frau, die das Kind austragen will, durchsetzt, dann besteht die Gefahr (und konkrete

Fälle untermauern dies), daß sich der Mann später immer wieder darauf berufen kann, daß „er das Kind ja nicht wollte“ und daß die Frau zusehen solle, wie sie weiterkommt, denn sie hätte ja schließlich auf der Geburt bestanden.

Interessant mag auch ein anderes Detail sein, daß allerdings in Ärztekreisen nur unter der vorgehaltenen Hand diskutiert wird: während nämlich ein Teil auf die Absaugmethode schwört und nur diese Methode anwendet, verweisen andere Spitäler immer wieder auf die Bedenklichkeit dieses Verfahrens. So beobachtete zum Beispiel in einer Wiener Klinik (die betreffenden Personen wollen, wie üblich, nicht genannt werden) eine Patientin, wie in ihrem Krankenzimmer ein 14- und ein 16jähriges Mädchen „total ausgeräumt“ werden mußten, da durch Anwendung der Absaugmethode „etwas passiert“ sei. Fachleute sind der Ansicht, daß die Zahl der Komplikationen bei Abtreibungen weit höher sind, als in offiziellen Statistiken angegeben wird.

Darüber hinaus steht es auch mit den Beratungsstellen nicht zum besten, da meist der abtreibende Arzt die Mutter berät. Dennoch ist man bei der Aktion Leben nicht entmutigt. Ganz im Gegenteil; dem Eintragungsverfahren wird mit Zuversicht entgegengesehen und der Optimismus ist groß, doch noch eine Lösung herbeiführen zu können, ohne in das alte Strafrecht zurückzufallen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung