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Bequeme Grausamkeit

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Die SPÖ hat auf ihrem Parteitag die Weichen gestellt, die Freigabe der straflosen Schwangerschaftsunterbrechung im Zuge der Strafrechtsreform durchzusetzen: Die Chiffre dieser Freigabe ist eine sogenannte „Fristenlösung“, die nicht von ungefähr kommt Und von Sozialisten in den skandinavischen Ländern und zum Teil in der Bundesrepublik propagiert wird.

Die Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung während der ersten Monate allerdings bedeutet, die Abtreibung überhaupt ohne irgendeine Einschränkung zu liberali-sieren. Denn wann treibt man ungewolltes Leben ab? Doch dann, wenn man die Empfängnis bestätigt weiß und quasi im „Schock“ einen Entschluß faßt — und das ist praktisch stets innerhalb von drei Monaten.

Mit ihrer Entscheidung stellt sich die SPÖ zum erstenmal konsequent gegen das menschliche Leben überhaupt — weil doch trotz aller medizinischen Diskussion niemand bestreiten will, daß während 90 Tagen schon menschliches Leben entstanden ist...

Diese Haltung stellt einiges klar:

• Zum ersten muß die bisherige Diskussion über den - 144 StO. als eine Ansammlung recht umfänglicher Spitzfindigkeiten empfunden werden. Was interpretierte man da nicht alles in die Begründung des Entwurfes des Justizministeriums hinein? Wie verschachtelt mutet nun die Diskussion in der sozialistischen „Zukunft“ an! Aber wie eigenartig erscheinen nun auch die Äußerungen eines Höchstrichters, der noch vor einem Gesetzesbeschluß quasi- - zur Rechtsanwendung mit Augenzwinkern ermunterte: was sollen Richter jetzt tun? So handeln, wie Delegierte eines Parteitages diskutieren?

• Zum anderen muß bedauerlicherweise festgehalten werden, daß der Justizminister der Republik, der ja immerhin nicht nur Justizminister einer Partei ist, Parteiräson über die Sache an sich stellt — und sich über seine bisherige Argumentation einfach selbst dialektisch hinwegsetzt.

• Zum dritten sind die Fronten jetzt klar: es geht um die Tötung ohne Einschränkung, die da propagiert wird — nicht mehr um das Abwägen schutzwürdiger Interessen etwa der Mutter.

Zu diesen Grundsatzerwägungen kommt die Summe von Einwänden, die aus den verschiedensten Motiven anzubringen sind. Denn die Fristenlösung ist auch sachlich unhaltbar, weil sie Dimensionen aufstößt, die — wir wollen das annehmen — den Proponenten gar nicht in ihrer vollen Tragweite bewußt sind:

Es geht doch allen Ernstes nicht an, daß das gleiche Verhalten eine gewisse Zeit straflos, dann aber plötzlich mit schweren Strafen belegt werden soll. Die österreichischen Sozialisten mögen einmal lesen, was ihr Parteifreund, der deutsche Justizminister Jahn, etwa darüber denkt! Ist das Ende des dritten Schwangerschaftsmonates etwa exakt feststellbar? Oder wird jene Frau, die schon über diese Zeit hinaus ist, nicht geradezu zur Lüge gezwungen, wenn sie dennoch abtreiben will?

Aber selbst medizinisch ist der 90. (oder 120.) Tag einer Schwangerschaft nicht feststellbar — was soll also der Strafrichter tun?

Die absolute Freigabe der Tötung ungeborenen Lebens würde darüber hinaus die Abtreibung praktisch zu

5 einer probaten Methode der Geburtenregelung machen. Wir möchten doch meinen, daß verantwortungsbewußte sozialistische Frauen nicht allen Ernstes die Abtreibung als System einer Geburtenregelung ansehen wollen! Es ist einfach eine alarmierende Tatsache, was Ärzte aus Ländern berichten, in denen die Abtreibung legalisiert wurde: ein drei-, ja fünfmaliger Abortus im Jahr ist etwa im US-Staat New York keine Seltenheit — 20 Abtreibungen im Leben einer Frau aber gefährden den Organismus außerordentlich.

Aber auch ohne Bemühung der Volksgesundheit darf noch daran erinnert werden, daß die Geburtenziffern zumindest unmittelbar nach der Freigabe der Abtreibung durch mehrere Jahre stark abnimmt — und dafür liefern vor allem die Ostblockstaaten den Beweis, wo man bereits wieder die uneingeschränkte Abtreibung drosselt.

Neben Edlen diesen Erwägungen muß die Absicht der Befürworter der straffreien Abtreibung nochmals ins Kalkül gezogen werden. 1926 hat das Linzer Programm der Sozialdemokraten, die soziale Indikation gefordert — und damals wollte man wenigstens die Fürsorge bestimmen lassen, ob die materielle Notlage die soziale Indikation rechtfertige.

Es kam zu keiner Änderung des 144 StG; nicht in der Notzeit der dreißiger Jahre, nicht während des Elends im Kriege. War damals die menschliche Not geringer? Etwa dann, wenn die Mutter noch vor der Geburt ihres Kindes den Totenschein des gefallenen Vaters in den Händen hielt? Kinder aus solchen Situationen leben mitten unter uns.

Dann kam die wirtschaftliche Not der unmittelbaren Nachkriegszeit — wo nicht einmal Milch für Mutter und Neugeborenes vorhanden war!

Jetzt, 1972, da jede zweite Familie in Österreich ein Fahrzeug besitzt, die Wohnungsnot fast beseitigt ist, es keine Arbeitslosigkeit gibt — jetzt redet man von Not und Elend, in das angeblich so viele Frauen geraten. Und jetzt, da es empfängnisverhütende Mittel gibt — jetzt erst entdeckt man die Notwendigkeit, partout den 144 abzuschaffen — nachdem im Ausland eine Emanzipationsbewegung bereits modernistische Todesreklame gemacht hat.

Aber jetzt ist die Abtreibung beileibe keine soziale Tat — jetzt ist sie schlichtweg bequeme Grausamkeit.

Soll die Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung die Verlogenheit beenden? Wie verlogen ist gerade diese — sich auf angeblich gegesellschaftliches Bewußtsein berufende Argumentation! Da nimmt die Zahl der Strafbestimmungen in unserer Rechtsordnung immer mehr zu, da wird der Bürger in Nebengesetzen, Novellierungen, ja in unzähligen Zivilgesetzen mit Strafrechtstatbeständen eingeengt und eingeschränkt. Nur beim menschlichen Leben, da hört es sich auf, da ist Schutz überflüssig, da darf jeder töten, wie er will. Eine eigenartige Moral.

Am Ende bleibt eine bedauerliche Feststellung. Zum erstenmal seit 1945 stellt sich die SPÖ ganz deutlich, sichtbar und offen gegen die Auffassungen der katholischen Kirche und gegen die Gefühle der überwiegenden Mehrheit der praktizierenden Katholiken. Und auch das hat seinen Stellenwert. Es markiert einen Prozeß. Wohin wird er führen?

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