6874671-1978_39_16.jpg
Digital In Arbeit

Die Mauer des Schweigens

Werbung
Werbung
Werbung

Vor nunmehr dreieinhalb Jahren ist in Österreich die Fristenlösung in Kraft getreten. Die Forderungen des Volksbegehrens, das viele FURCHE-Leser unterschrieben haben, wurden im Parlament niedergestimmt. Dazu hörte man noch einige Wochen lang mehr oder weniger gut begründete Kommentare -seither aber ist es um das Thema still geworden.

Abtreibungsgegner leben mit dem Gefühl ungestört weiter, getan zu haben, was möglich war. Sie spenden gelegentlich noch ein kleines Sümmchen, um ihr Gewissen total einzuschläfern. Von dem, was sich vor unseren Haustüren abspielt, ahnen wir alle nichts. Die Wenigen, die darüber Bescheid wissen, schweigen beharrlich. Sie schweigen, weil sie fürchten, das Elend sonst nur noch zu vergrößern. Sie schweigen, weil sie davon überzeugt sind, mit Reden nichts auszurichten. Sie schweigen aber auch, weil sie resigniert haben und keine Lösung sehen. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß sie sich mit jedem Wort der Empörung um ihre eigene Karriere bringen.

Die Regierungspartei hat bei Beschluß der Fristenlösung beteuert, daß auch sie gegen die Abtreibung sei und alles tun werde, um diese überflüssig zu machen. Seither ist so gut wie nichts geschehen. Offizielle Informationen über die Abtreibung gibt es nicht, ja selbst über die Rechte, die den Müttern gesetzlich zustehen, werden diese kaum in Kenntnis gesetzt. Den staatlichen Beratungsstellen stehen weder Zeit noch etwa Mittel zur Verfügung, um wenigstens materielle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.

Jede Form von Registrierung der Abtreibungen wurde unter dem Druck von Ärzten abgelehnt. Warum? Nur, weil manche von ihnen für dieses dreckige Geschäft wenigstens gut und unversteuert verdienen wollen. Das tun sie denn auch -mehr als je zuvor.

Das wahre Problem ist so gut unter den Teppich gekehrt, daß niemand mehr wissen will, warum sich Frauen überhaupt gezwungen sehen, immer wieder eine Prozedur über sich ergehen zu lassen, die ihnen in der Seele zuwider ist. Dennoch geht sie auch jenen unter die Haut, die sich erfolgreich um die Frage des Lebens schrauben.

Eine vom zuständigen Boltz-mann-Institut durchgeführte qualitative Untersuchung hat sich mit der Frage befaßt, warum Frauen sich gegen das Leben ihrer Kinder entscheiden. Daraus geht klar hervor, daß als Motiv für den Schwan-

gerschaftsabbruch hauptsächlich Außenfaktoren, d. h. sozialer Druck wie die Berufssituation, die Ausbildungssituation sowie die finanziellen Verhältnisse der Frau, relevant sind. Lauter Gründe, die schwieriger zu beseitigen sind als ein ungeborenes Kind.

Die Frauen - konfrontiert mit für sie absolut unlösbaren Problemen und unter massivem Druck ihrer Umwelt-fügen sich und schweigen auch. Wie es ihnen dabei ergeht, interessiert die männliche Umwelt nicht, sie hat sich das Problem vom Halse geschafft.

Den Männern entgeht freilich auch, daß sich in jüngster Zeit der Wind plötzlich dreht. Es gibt Frauen, die sich den Druck nicht mehr gefallen lassen. Es werden sogar im Fernsehen Filme gezeigt, die sich mit diesem Frauenproblem befassen.

Eine der ersten, die wenigstens darüber gesprochen hat, auch wenn sie die Möglichkeit der Auflehnung noch nicht erkannte, war Magda Dennes in Amerika. Sie ist eine Befürworterin der Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs. Eigene Erfahrungen aber brachten die Psychologin dazu, sich dennoch mit dem Thema näher auseinanderzusetzen.

Monatelang stellte sie Fragen an Ärzte, Schwestern, Angehörige und Patienten eines Spitals. Das erschütternde Resultat ihrer Recherchen ist nun, ausgezeichnet ins Deutsche übertragen, bei Styria erschienen.

Erwarten Sie keine katholische Werbeschrift! Die Autorin ist auch am Ende ihrer Erfahrung nicht gegen die Abtreibung - schlechten Gewissens, aber nicht in der Lage, andere Hilfe anzubieten. Was sie jedoch einigen katholischen Werbeschriften voraus hat, ist die Liebe zu denMenschen.SiegestandamEnde, daß die beste und leider gleichzeitig schlechteste aller Möglichkeiten darin bestehe, ein Mensch zu sein.

Das Buch ist denn auch eines geworden, das nur zum Teil von Abtreibungen handelt Es geht nicht nur um mechanische Abläufe, weil diese von den Tragödien, die dahinter stehen, nicht zu trennen sind.

Wir entnehmen diesem Buch die Schilderung mehrerer Szenen, die sich genau so täglich in Wien abspielen - oft unter weit übleren Umständen, denn in Österreich wird im Rahmen der Fristenlösung bis zur 17. Woche der Schwangerschaft abgetrieben.

Schuld daran sind am allerwenigsten die Mütter. Wer sich von uns allen frei von Sünde fühlt, werfe den ersten Stein!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung