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Das ungeborene Leben

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Unheilvolle Verwirrung hat die nationalsozialistische Weltanschauung nicht nur in allen materiellen Bereichen hinterlassen, sondern eine noch größere in allen geistigen. Es wird harte und mühsame Kleinarbeit kosten, bis die während der sieben Jahre herangewachsene Generation wieder sittlich denken und urteilen lernt. Wie wenig galt doch ein Menschenleben! Ich denke jetzt gar nicht an die Kriegsoperationen, an die Gefängnisse und Konzentrationslager — ich habe die Ungeborenen und erblich belasteten Neugeborenen Vor Augen. Der Grundsatz: „Was schwach und krank ist, ist lebensunwert“, diese eisern in die Gehirne besonders der jungen Menschen gehämmerte These wird noch lange unbewußt Denken und Tun dieser Generation bestimmen wollen. Was jahrelang mit allem nur möglichen Nachdruck als richtig und wissenschaftlich hingestellt wird, ist wie eine chronische Krankheit, die schleichend, oft ohne beunruhigende äußere Symptome den Körper vergiftet, wenn nicht energische und zielbewußte Behandlung einsetzt.

Was not tut, um diese verwirrten und verirrten Anschauungen wieder in rechte Bahnen zu leiten, sind klare, verantwortungsbewußte Grundsätze. Grundsätze, hinter denen reine, lebenswerte Ideale stehen. Ideale, von denen wir wissen, daß wir mit aller Selbstdisziplin sie erstreben müssen, wenn wir sie auch selten oder vielleicht nie erreichen. Sie sind da, damit wir uns immer wieder an ihnen orientieren können in den verschiedenen Lagen des Lebens, wo Ichsucht, kleinlicher, zermürbender Alltag und Leidenschaft unser inneres Auge trüben, oft sogar blind machen wollen. Dabei gilt: Du sollst nicht hart sein gegen den, der fehlt, du sollst ihn sachte bei der Hand nehmen und ihm wieder helfen zur klaren Sicht auf das Ideal und zu neuem Streben danach. Denn wer garantiert dir, daß du nicht selber fällst und die Hand des Bruders, der Schwester brauchst?

Unter diesen Gesichtspunkten hier ein Wort über das Leben des Ungeborenen. Jenes zarten Lebens, das unter dem Herzen der Mutter geschützt und geborgen ruht und mit wachsender Lebensfähigkeit immer energischer ans Licht strebt. Ein Wesen, das atrf Gedeih und Verderben ausgeliefert ist dem) Wollen und den Entschlüssen seiner Umgebung. Und nicht immer fand und findet diese kleine, hilflose Leben die Hilfe, die zia erwarten seins gutes Recht ist.

Die vergangene Epoche kannte neben der medizinischen Indikation eine sogenannte „eugenische“ zur Unterbrechung der Schwangerschaft aus Gründen angeblicher erblicher Belastung. Mit Bezug auf letztere wurde auf dem 44. deutschen Ärztetag in Leipzig 1925 erklärt: „Die sogenannte eugenische Indikation bewegt sich auf einem ärztlich biologischen Fragengebiet, dessen Forschungsergebnisse noch zu dürftig sind, um schon jetzt dem praktischen Handeln als Stütze zu dienen.“ Ob die Wissenschaft bis zum-Jahre 1938 solche Fortschritte gemacht hatte, um Folgerungen von solcher Tragweite zu ziehen, wie es tatsächlich geschehen ist? Vielleicht scheint es manchem Leser überflüssig, zu einer Frage, wie sie in unserer Zeit, wo wieder sittlichere Maßstäbe für das Handeln des einzelnen wie der Gesamtheit Geltung haben, Stellung zu nehmen. Doch ist es meines Erachtens nur nützlich, wenn wir uns einmal klar werden über Wert und Unwert dessen, was hinter uns liegt. So verschwinden am ehesten die versteckten und noch nachwirkenden Wenn und Aber in den Köpfen der einzelnen.

In weitaus den meisten Fällen wissen wir nach dem Stand unserer Wissenschaft gar nicht, ob gerade dieses Kind als erblich belastet bezeichnet werden muß. Sicher können wir bei bestimmten Krankheiten oder Erscheinungsformen aus dem näheren oder entfernteren Verwandtenkreis sagen, daß das eine oder andere Kind dieser Eltern erbkrank sein wird. Doch ist es fast nie möglich, zu sagen, welches der Kinder das verhängnisvolle Erbe mitbekommen wird, ob es das erste, dritte oder wievielte sein wird. Wer wollte und dürfte die Verantwortung auf sich nehmen, ein Kindesleben durch seinen Eingriff, beziehungsweise durch seine Erlaubnis dazu, auszulöschen, das vielleicht ein tüchtiger, ja vielleicht ein genialer Mensch geworden wäre?

Bleiben noch jene wenigen Fälle, bei denen wir sicher sind, daß alle Nachkommen belastet sind. Da gilt der unantastbare Grundsatz christlicher Ethik: Die vorsätzliche Tötung eines Unschuldigen ist Mord. Dieses oberste Sittengesetz gilt auch in den Fällen, in denen die nicht christlich gerichtete Wissenschaft aus medizinischen Gründen ein anderes Urteil für erlaubt hält, dem Leben der Mutter das Leben des Kindes opfert. Woher diese Selbstverständlichkeit? Das Lebende im Schoß der Mutter wird nicht als voller Mensch angesehen. Der Mensch besteht jedoch aus Leib und Seele. Alles, was zum Leib eines Menschen gehört, liegt in der befruchteten Eizelle keimhaft verschlossen. Damit hat Gott seine Hand auf dieses keimende Leben gelegt, die Frucht ist also nicht alleiniges Eigentum des Menschen. Der Embryo ist menschliche Person, so wie die Mutter desselben menschliche Person ist.

Es ist eines Arztes unwürdig, das Leben eines Menschen retten zu wollen, indem.er ein anderes preisgibt. Eine an sich unerlaubte Handlung wird nie gut, weil der erstrebte Endzweck gut ist. Wie überall gilt auch hier: Der Zweck heiligt kein Mittel. Und wer sich auf die Straffreiheit vor dem Gesetz beruft, dem muß man sagen: straffrei und ethisch erlaubt sind nicht dasselbe.

Wie ernst bedeutende, durchaus nicht von christlichen Grundsätzen geleitete Geburtshelfer über diese Frage urteilen, geht aus einem Worte eines Facharztes auf diesem Gebiet hervor: „Es muß auf das aller-schärfste betont werden, daß von vornherein keine Schwangerschaftskomplikation die Schwangerschaftsunterbrechung rechtfertigt, und daß prinzipiell die Behandlung solcher Komplikationen unter Erhaltung der Gravidität das Richtige ist.“ Sehr häufig gelingt es, die Komplikation doch zu meistern und zu beseitigen oder wenigstens soweit zu bessern, daß die Schwangerschaft ungestört zu Ende geführt werden kann. In manchen Fällen — ich sage in manchen! — mag der Wunsch der Mutter nach Beseitigung des Kindes eine Komplikation unterhalten, zum Beispiel manche Fälle von unstillbarem Erbrechen gehören hieher, die allen Künsten des Arztes trotzen; ob diese Reaktion der Mutter bewußt ist oder von ihrem Unterbewußtsein aus geleitet wird, spielt keine Rolle. Manchmal hat in solchen Fällen die strikte Weigerung des verantwortlichen Arztes, die Unterbrechung vorzunehmen, und die Gewißheit, sie müsse das Kind austragen, zur Heilung geführt. Dann gibt es Fälle, bei denen die Mutter schon vor der Empfängnis des Kindes in einem Gesundheitszustand war, von dorn man sich sagen mußte, daß er der Belastung der Schwangerschaft und Geburt nicht gewachsen sein wird. Da ist der einzig sittliche, eines Menschen würdige Weg die sexuelle Enthaltsamkeit. Daß diese möglich ist, haben schon genug Fälle dem Eingeweihten bewie-, sen. Freilich darf der Mensch nicht aus eigener Kraft vollbringen wollen, was er nur mit Hilfe der Gnade vermag. Alle anderen Wege, die eine Verhütung der Empfängnis herbeiführen wollen, sind sittlich verwerflich und geben auch nie eine absolute Sicherheit. Alle diese Mittel, welche das neue Leben abweisen, sind deshalb den christlichen Grundsätzen entgegen, weil der Zweck der Vereinigung nach dem Willen des Schöpfers und nach dem Willen des sittlichen Naturgesetzes die Teilnahme an der Schöpferkraft Gottes ist. Wie die Enzyklika „Cast connubii“ erklärt: als objektiv erster Zweck der Ehe ist die „pröereatio atque educatio prolis“, das ist das Werden und die volle Entwicklung des Kindes zu bezeichnen.

Die sogenannte „soziale Indikation“ zur Schwangerschaftsunterbrechung endlich ist auch vom Gesetz nie erlaubt gewesen und der ärztliche Standpunkt dazu muß der sein und ist auch der allgemein geltende: der Arzt kann und darf hier nicht regulierend eingreifen. Denn wirtschaftliche Probleme löst man auf wirtschaftliche Art und nicht durch Tötung.

Nun bleibt noch der eine Fall, daß eine Frau vergewaltigt wird und. auf diese Weise neues Leben ans Licht will. Juristen und Ärzte, soweit sie nicht nach religiösen Grundsätzen orientiert sind, sind in diesen Fällen geteilter und verschiedener Ansicht. Die Verzweiflung, die in diesem Fall so verständlich nach Befreiung ruft, versteht jeder mitfühlende und rechtlich Denkende vollauf. Aber auch hier gilt als oberste Norm: das unschuldige Leben muß geschützt werden.

Ernst sind die Fragen, die hier aufgerollt sind, ernst mußten die Antworten sein. Das Leben hier auf Erden ist nun einmal kein Lustgarten, wir würden uns sonst zu leicht in ihm verlieren.

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