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Gegen die Menschenrechte

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Die FURCHE setzt ihre Auseinandersetzung mit dem Fragenkomplex künstliche Befruchtung fort. Imfolgenden eine kritische Stellungnahme aus der Sicht eines Rechtswissenschafters.

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Die FURCHE setzt ihre Auseinandersetzung mit dem Fragenkomplex künstliche Befruchtung fort. Imfolgenden eine kritische Stellungnahme aus der Sicht eines Rechtswissenschafters.

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Es gibt wenige Themen, die so umstritten sind wie die In-vi-tro-Fertilisation (IVF). Das überrascht nicht, werden doch so grundlegende Aspekte der menschlichen Existenz, wie das Lebensrecht, die Menschenwürde, die Familie, die Wissenschaftsfreiheit und die Aufgabe der staatlichen Rechtsordnung all dem gegenüber berührt...

Die ethische Diskussion wird weitgehend von einer rechtspolitischen (im Sinne der „Praktikabilität“) und einer ästhetisch-emotionalen Diskussion verdrängt. Das zeigt sich schon oft in den sprachlichen Formulierungen, in denen das eigentlich Unsagbare beschönigend beschrieben wird, ohne zu bemerken, daß unser Kulturkontext verlassen wird.

So etwa der Beschluß des 56. Deutschen Juristentages, „verwaiste Embryonen seien ihrem Schicksal zu überlassen“. „Verwaist“ ist ein Kind nach unserem Sprachgebrauch, wenn es schicksalhaft beide Eltern verliert. Hier hat es Vater und Mutter, ist jedoch für diese „überzählig“, „nicht zu gebrauchen“,.... „Schicksal“ ist ein vom menschlichen Willen unbeeinflußtes, naturnotwendiges Ereignis oder eine Ereigniskette. Hier jedoch werden Embryonen durch menschliches Handeln ins Leben gesetzt und sind in ihrem Sein oder Nichtsein von ihm abhängig.

Das bisher höchstens im Mythos der Märchen Ausgedrückte wird plötzlich Wirklichkeit. Das nur schaudernd Erdenkbare ist nun unversehens Regelungsgegenstand des Gesetzes geworden, und, um den psychologischen Aufprall zu mindern, wird die Wirklichkeit verschleiert. Man redet von einer „neuen Ethik“ und meint, man könne durch das Abschaffen von Ver- und Geboten das Böse aus der Welt entfernen.

Die Folge ist bloß ein immer tieferes Absinken in einen alptraumartigen, neurotischen Zustand: Die Wirklichkeit wird verdrängt, und das Unrechtfertigbare wird rechtlich verbrämt. Dazu müssen Rechtsbegriffe zuerst sinnentleert und dann umgedeutet werden.

Sehr bedenklich dabei ist, daß gerade das Fundament unserer Gesellschaft, das Lebensrecht, der Mensch in seiner Einmaligkeit und Unersetzbarkeit, unmittelbar betroffen ist. Es gibt beim Lebensrecht keine Kompromisse, man kann sich diesbezüglich nicht „in der Mitte“ treffen. Entweder man vertritt das Lebensrecht und die

Würde des Menschen als Mensch (und das heißt ausnahmslos) oder man tut dies nicht.

Allerdings befinden sich weite Teile der Gesellschaft des europäischen Kulturkreises in einem „Narkosezustand“: Durch die weitgehende gesetzliche Freigabe der Abtreibung ist das Rechtsbewußtsein so verschüttet, daß diese Veränderungen gleichsam unbemerkt und vor allem schmerzlos vor sich zu gehen scheinen.

Aufkommende Zweifel werden durch rechtliche Scheinargumente rasch beseitigt. Befindet sich der Embryo in der Retorte und wird er durch ein entsprechendes strafbewehrtes Gesetz geschützt, so verliert er - was offensichtlich widersprüchlich ist - diesen Schutz bei den geltenden Abtreibungsgesetzen wieder bei Implantation. Die Versuchung mag nahe liegen, aus diesem Umstand zu schließen, daß auch der extrakorporale Embryo nicht zu schützen sei.

Als klares Beispiel vor allem der aufgezeigten und kritisierten Argumentationsweise, die mit Scheinschlüssen einen Kompromiß zu erreichen sucht, muß das Problem der überzähligen Embryonen angeführt werden... Bezüglich der „Verwendung“ der übriggebliebenen Embryonen wird verschiedentlich vertreten, daß an und mit ihnen innerhalb der ersten 14 Tage für bestimmte Zwecke geforscht werden dürfe. Der Bericht der IVF-Kommission der Österreichischen Rektorenkonferenz führt aus:

24 medizinische Forschungen an Embryonen, deren Transfer wegen erheblicher Schädigungen nicht verantwortet werden kann oder die unter den vorliegenden Umständen aus anderen Gründen keine Überlebenschance haben, dürfen vorgenommen werden, soweit dies in sorgfältiger und verantwortungsbewußter Weise geschieht.

In Regel 24 wird ausgesprochen, daß es unverantwortlich wäre, Embryonen mit erkennbaren Schädigungen am Leben zu lassen. Der Begriff der Verantwortung wird in einen ästhetisch-emotionalen Sinn umgedeutet: Gemeint ist, daß die Eltern ein gesundes Kind wollen und ihnen daher ein behindertes nicht zugemutet werden könne. Dabei wird aber die objektive Verantwortung des Arztes für die Erhaltung des kranken Lebens außer Betracht gelassen.

Ebensowenig stimmt es, daß Embryonen prinzipiell und von vornherein keine Überlebenschance haben, es wird ihnen vielmehr keine gegeben. Daß die Tötung von Embryonen in sorgfältiger und verantwortungsvoller Weise zu erfolgen habe, mutet nur mehr als zynisch an.

Die Argumente, die zur Begründung der Freigabe überzähliger Embryonen genannt werden, sind folgende:

Wenn Embryonen übrigbleiben, deren Schicksal unweigerlich darin besteht, zu zerfallen, dann ist es sinnvoller, ihre Existenz für die Allgemeinheit zu nützen. Es stünde also die Vernichtung einerseits oder das Experimentieren andererseits zur Alternative. Das Lebensrecht in seiner Funktion als vitale Basis der Rechtsordnung bleibe erhalten, da ja die Experimente ihrerseits wieder dem Leben anderer Menschen dienen.

So plausibel dieses Argument auf den ersten Blick scheinen mag, erweist es sich doch bei näherer Überlegung als unhaltbar. Es ist nämlich zuerst die Frage nach der Zulässigkeit der Methode zu stellen, dann erst jene nach der juristischen Lösung ihrer Folgen.

So gesehen besteht der juristische Ansatzpunkt darin, daß Embryonen überhaupt nicht „naturnotwendig“, schicksalhaft“ übrigbleiben. Sie werden von Menschen in diese Risikosituation gebracht. Das „Problem“ der übriggebliebenen Embryonen ist ein selbstgeschaffenes Problem, das leicht beseitigt werden kann.

Werden alle befruchteten Eizellen in einem multiplen Transfer übertragen, so verhindert diese Methode ein Experimentieren und eine willkürliche „Todesselektion“. Allerdings stimmt bedenklich, daß die zwei bis vier Embryonen, die nicht „anwachsen“, als „Starthelfer“ verwendet werden, die eine größere hormonelle Stimulierung der Uterusschleimhaut bewirken sollen, als „Material“, das die Wahrscheinlichkeit einer Einnistung aufbessert. Auch darin liegt eine Fremdverzweckung und damit eine Verletzung der Menschenwürde und des Lebensrechts.

Schutzgut ist in erster Linie das Leben des Embryos. So gesehen gibt der Arzt nicht allen die gleiche Chance, sondern er gefährdet sie alle in gleicher Weise! Und das ist ihm als Herrschaft eines Menschen über Menschen verwehrt.

Bleibt also nur die Übertragung eines einzigen Embryos. Auch diesbezüglich ist die Zulässigkeitsfrage zu stellen. Darf der Arzt den Embryo dieser Todesgefahr aussetzen? Muß sich der Arzt wirklich für das Nichteinnisten von Embryonen rechtfertigen, wenn es doch auch bei natürlichem Geschlechtsverkehr zu Aborten kommt?

Gesetze und ethische Normen betreffen als Handlungsnormen nur den freien menschlichen Willen; nur für diesen hat die Kategorie der Rechtfertigung eine Bewandtnis... Die Tatsache, daß bei einem Erdbeben Tausende Menschen sterben, rechtfertigt nicht zur Tötung eben-sovieler, die natürliche Entstehung, menschlicher genetischer Mißbildungen erlaubt nicht die künstliche Herstellung von Monstren durch die Gentechnologie, und so weiter... Letztlich müßte auf Grund des Naturarguments jedes Delikt gegen das Leben abgeschafft werden, da ja jeder Mensch einmal natürlicherweise stirbt!

Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, ob der Arzt nicht doch den Embryo durch die IVF gefährden darf. Das Lebensrecht ist nicht das höchste Recht: Es gibt Situationen, in denen man Recht und Pflicht hat, sein eigenes oder fremdes Leben einem Risiko auszusetzen.

In den Fällen, in denen unsere Rechtsordnung eine solche Gefährdung rechtfertigt, geht es entweder um therapeutische Eingriffe an der Person selbst, die gefährdet wird, oder um die Verteidigung unschuldigen Lebens vor rechtswidrigen Angriffen.

Ein Gefährdungsrecht der ersten Art (Therapie, Nothilfe....) kann der Arzt bezüglich des gefährdeten Embryos nicht geltend machen, es fragt sich, ob es ein Recht gibt, auf das sich der Arzt berufen könnte. Ein solches wäre in einem etwaigen Recht auf ein Kind zu erblicken. Gibt es ein solches?

Zunächst: Die Idee eines Rechtes auf ein Kind ist schon an sich vom Begriff der Menschenwürde her gesehen bedenklich: Es gibt kein Recht auf einen Menschen, da jede Person von ihrer Würde her als Selbstzweck geachtet, also angenommen, akzeptiert werden muß. Recht auf etwas besteht nur gegenüber Sachen. Ethisch gesehen besteht daher ein Recht auf ein Kind nicht und es kann sich der Arzt auch nicht auf ein solches berufen.

Ein Recht auf Kinder im Sinn eines durchsetzbaren Leistungsanspruches gegenüber dem Staat ist wohl undenkbar, so wie aus dem Recht auf Eheschließung kein „Recht auf einen Ehepartner“ oder aus dem Recht auf Achtung der Privatsphäre kein „Recht auf Freunde“ abgeleitet werden kann.

Meistens wird an dieser Stelle eingewandt, daß man bei einer solch restriktiven Haltung auch einem Ehepaar den Geschlechtsverkehr verbieten müßte, da auch dabei Embryonen abgehen. Jedoch unterläuft auch hier ein naturalistischer Fehlschluß: Für den natürlichen Ablauf der, Dinge können die Eltern nicht verantwortlich gemacht werden, so wie sie dies nicht für den natürlichen Tod der geborenen Kinder sind.

Das wirkliche Leid kinderloser Ehepaare soll keinesfalls verkannt werden, allerdings muß an den Anfang unserer Rechtskultur ein Gedanke von Sokrates gestellt werden, den er angesichts des Todes im Gefängnis aussprach, nämlich, daß es besser sei zu leiden, als Unrecht zu tun.

Auszug aus dem Sammelband DER STATUS DES EMBRYOS, Eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Beginn des menschlichen Lebens, IMABE (Hrsg.), Wien 1989,228 Seiten.

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