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Gegen die Würde des Menschen

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Einer Gruppe italienischer Ärzte unter Leitung von Professor D. Petrucci ist es gelungen, menschliche Eier außerhalb des mütterlichen Körpers mit männlichen Samenzellen zu befruchten und die Frucht im günstigsten Falle 29 Tage lang am Leben zu erhalten. Während der Dauer des Versuches wurde der menschliche Keimling in einem auf Körpertemperatur gehaltenen Gefäß mit Fruchtwasser, das von einer schwangeren Frau stammte, umspült. Dann zogen es die italienischen Forscher, „beeindruckt von der Monstrosität des entstehenden Gebildes“, vor, den Versuch abzubrechen; mit anderen Worten, den Keimling zu vernichten.

Die künstliche Befruchtung von Eizellen des Menschen, die den Follikeln menschlicher Eierstöcke entnommen worden waren, ist in den letzten Jahren auch anderen Wissenschaftlern, vor allem Dr. L. B. Shettles an der Columbia-Universität in New York, geglückt. Dieser konnte das befruchtete Ei jedoch nur wenige Tage in vitro am Leben erhalten; es entwickelte sich in 72 Stunden zu einer aus ungefähr 32 Zellen bestehenden Morula.

Das menschliche Ei ist nach gängiger Auffassung nur innerhalb weniger Stunden nach der Ovulation, seiner Entlassung aus dem Eierstock, durch Zerreißen des Follikels, in dem es herangereift ist, befruchtungsfähig. Unter normalen Bedingungen wird das Ei bei Gegenwart lebenskräftiger Spermien in einem dem Eierstock benachbarten Abschnitt des Eileiters befruchtet. Im Verlaufe von etwa sieben Tagen wandert nun das befruchtete Ovum durch den Eileiter in die Gebärmutter, wobei es Furchungen, die ersten Zellteilungen der Keimentwicklung, durchmacht. Die innere Auskleidung der Gebärmutter ist mittlerweile, unter hormonellem Einfluß umgestaltet und in einen geeigneten Nährboden für die Frucht verwandelt worden. In diesen nistet sich der Keimling ein. Damit setzt„ die, neun Monatcanduergj Sypifaiose von Mutter und Kind. ein.. Während aus. dem Eujįfycrhiusten,. einem Häufchen von Zellen im Innern des Keimlings, im Laufe der weiteren Entwicklung der eigentliche Embryo hervorgeht, stellt die äußere Zellschicht den der Ernährung der Frucht dienenden Trophoblasten dar. Dieser frißt sich unter mächtiger Wucherung während der ersten zwei Wochen nach

der Einnistung der Frucht gewissermaßen in das mütterliche Gewebe hinein, bringt dieses zur Einschmelzung und verwertet es zur Ernährung des Keimlings. Im späteren Verlaufe der Schwangerschaft bilden Trophoblast und mütterliches Gewebe gemeinsam die Placenta, den Mutterkuchen, aus; in diesem Organ werden Zotten fötalen Gewebes unmittelbar von mütterlichem Blut umspült und entnehmen diesem die für die Frucht erforderlichen Nährsubstanzen und Sauerstoff.

Die schon im freischwimmenden Keimling eingeleitete Entwicklung führt nach seiner Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut rasch zu immer reicherer morphologischer Differenzierung. 29 Tage nach der Ovulation ist der normal entwickelte Embryo, nunmehr durch den Nabelstrang mit dem ernährenden Gewebe verbunden, bereits etwa sieben Zehntel Zentimeter lang. Die erste Anlage von Rückenmark und Gehirn hat sich gebildet. Der Kopf beginnt sich abzuheben. Die Urwirbel haben sich differenziert. Ein embryonaler Blutkreislauf versorgt die Gewebe der Frucht mit den aus dem mütterlichen Blut stammenden Nährstoffen. Ein großer Herzbeutel wölbt sich vor. Die Extremitäten deuten sich an.

Es ist leicht einzüsehen, daß dieses normale Entwicklungsstadium im Experiment der italienischen Wissenschaftler nicht erreicht worden ist und nicht erreicht werden konnte. Dem embryonalen Gebilde fehlten nicht nur Nährsubstanzen und Wirkstoffe, . die unter normalen Verhältnissen der mütterliche Organismus dem kindlichen zukommen läßt und für die ein einfacheres Nährmedium schwerlich Ersatz bieten kann; es konnte auch eine normale morphologische Ausgestaltung des Keimlings bei Fehlen der Wechselwirkung mit mütterlichem Gewebe nicht erwartet werden. Auf eine regelrechte Entfaltung des Tropho- : Elasten bestand nur wenig Aussicht, da in Ge- ,,bSriritteryęh.įeijp?MUt ausgeschlossen . wįur. Äuch- Star „die Ausbildung eines i normal funktionierenden embryonalen i Blutkreislaufes kaum zu erwarten, wenn die Nährsubstanzen und Sauer-

Stoff nicht mit seiner Hilfe aus der : Placenta durch den Nabelstrang zu

transportieren waren, sondern aus dem

Nährmedium aufgenommen werden mußten. Wenngleich das Ausmaß der

Monstrosität des in Bologna 29 Tage lang gezüchteten embryonalen Gebildes nicht bekannt ist, muß es sich um eine arge Entartung gehandelt haben. Die Versuche der italienischen Forscher lieferten also keinen Beitrag zur normalen Entwicklungslehre des Menschen, sondern bestenfalls zur Mißbildungslehre.

Gegen die Experimente erheben sich schwere Einwände. Denn es ist genuines menschliches Leben, das durch solcherlei Versuche zum Gegenstand willkürlicher Manipulation wird. Wenn der Zellkern einer menschlichen Eizelle mit dem Zellkern eines Spermatozoons im Rahmen des Be- fruchtungsprozesses verschmilzt, entsteht ein neuer Mensch. Die Ei- und Samenzellen unterscheiden sich vom Menschen selbst in biologischer Hinsicht grundlegend dadurch, daß sie nur einen einzigen Chromosomensatz (und nicht zwei) besitzen; ihnen ist nur eine halb so große Zahl von Erbfaktoren eigen wie den Körperzellen. Die Geschlechtszellen sind für sich allein in der Regel nicht auf die Entwicklung zu ganzen Individuen angelegt. Wenn sich jedoch bei der Befruchtung ein Erbfaktorensatz mütterlicher mit einem

Satz väterlicher Herkunft zu einer neuen Kombination vereinigt, dann ist neues menschliches Leben mit seinen besonderen Potenzen konstituiert. Wer im grundlegenden Ereignis der Befruchtung nicht den Anfangspunkt der Geschichte des menschlichen Individuums sieht, wird schwerlich überhaupt einen Zeitpunkt finden, von dem ab dem Keimling menschliche Natur zugesprochen werden soll; dann liegt es nahe, den Menschen niemals, auch nicht nach der Geburt, mit der seine Entwicklung noch keineswegs abgeschlossen ist, als solchen anzuerkennen. Es widerspricht dem ärztlichen Ethos, einen Menschen mutwillig, unter Umgehung der natürlichen Gegebenheiten, ins Leben zu setzen, ihn in seinen embryonalen Stadien, ohne Not der Geborgenheit des mütterlichen Leibes entzogen, auf- züziehen, ihn mißbildenden Entwicklungsbedingungen auszusetzen und sein Leben durch „Abbruch des Experiments“ wieder auszulöschen. Dem Arzt und Wissenschaftler müssen natürliches Ethos und Achtung vor dem menschlichen Leben es verbieten, illegitime Wege des Erkenntnisstrebens und der Erkenntnisverwertung zu gehen. Erkenntnis, so hoch sie an sich einzuschätzen ist, steht ohne Rechtfertigung da, sobald sie sich an der Würde des menschlichen Lebens vergreift.

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