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Was kostet ein Liter Blut?

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Der menschliche Körper ist eine wichtige „Rohstoffquelle" für die High-Tech-Medizin geworden. Doch was im medizinischen Alltag profitabel praktiziert wird, wirft eine Reihe ungelöster rechtlicher Fragen auf.

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Der menschliche Körper ist eine wichtige „Rohstoffquelle" für die High-Tech-Medizin geworden. Doch was im medizinischen Alltag profitabel praktiziert wird, wirft eine Reihe ungelöster rechtlicher Fragen auf.

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Der Mensch ist zum wichtigsten Roiistoff der modernen High-Tech-Medizin geworden. Als Lieferant von heilenden Enzymen und lebensrettenden Organen verbirgt er auch den Code zu seiner eigenen Heilung. Mit dem rasant fortschreitenden Wissen über den Körper hat sich ganz unmerklich ein Wandel vollzogen: Der Leib hat einen Markt wert erhalten. Doch darauf ist das Menschenbild des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches nicht vorbereitet. Ein Beispiel zeigt, warum.

Ganz im Dienst der Gesundheit und gleichzeitig ganz im gesetzlosen Baum steht Forschung mit abgetriebenen Embryonen und Föten. Embryonale Gehirnteile werden in Gehirne von Parkinson- und Alzheimerpatienten verpflanzt, fetale Lebern, Knochenmark und Bauchspeicheldrüsen werden aufgrund ihrer fehlenden Immunabwehr nicht abgestoßen und lassen sich daher in Menschen ebenso gut einpflanzen wie in Mäuse. Auch im Bereich der Diagnostik ist der Griff nach den Früchten der Abtreibung vielversprechend:' Aus Embryonalgewebe lassen sich Zellkulturen entwickeln, auf denen zum Beispiel Tollwut oder Hepatitis-A-Viren angesiedelt werden können. Bückschlüsse auf das Verhalten dieser Viren im Menschen sind so möglich.

Welche Paragraphen könnten in diesem Labor die Hausordnung sein und festlegen, was gemacht werden darf und was nicht? Vielleicht Bestimmungen aus dem laichen- und Bestattungsgesetz? Mal sehen. Das Leichen- und Bestattungsgesetz bezieht sich auf Ieichen, worunter auch totgeborene oder fehlgeborene Früchte verstanden werden. Aber ist eine Abtreibung mit einer Geburt gleichzusetzen? Die Verneinung dieser Frage hat zur Folge, daß ein abgetriebener Embryo mit einer medizinisch und juridisch einwandfreien Leiche nicht gleichzusetzen und das Bestattungsgesetz ergo auch das falsche Instrument zur Regelung experimenteller Praktiken ist.

Um nichts besser wäre die Be-' jahung dieser Frage. Sie hat zur Folge, daß ein abgetriebener Embryo gleich behandelt werden müßte wie eine Leiche: Totenbeschau, Meldepflicht und Bestattung - auf wessen Kosten auch immer. Dann würde er, noch dazu, in den Geltungsbereich des Krankenanstaltengesetzes fallen, das gleichzeitig Transplantationen regelt. Damit wäre allerdings die begriffliche Konsequenz des Transplantationsrechtes in Frage gestellt. Bisher nämlich bezieht es sich auf Organe von Verstorbenen. Doch „versterben" im Sinne des Gesetzes kann nur wer geboren wird, und zwar lebend.

Angesichts der geschilderten medizinischen Experimente wäre die Einordnung von Abgetriebenen in das Transplantationsrecht vielleicht naheliegend. Juridisch unsauber bliebe die Angelegenheit dennoch: Wo bleiben dann die schon derzeit umstrittenen Kriterien 'Todeszeitpunkt und -feststellung, Widerspruchsrecht und Wahrung der Pietät?

Auch die nicht-medizinische Verwertung von Föten und Embryonen wirft Fragen über Fragen auf. Junge Zellen regenerieren alte Zellen. Die Kosmetikindustrie hat das längst erkannt und wirbt ungeschminkt mit dem Verweis auf Thymusdrüsemund Placenta-Extrakte. Weltweit geschätzte 30 Millionen Abtreibungen jährlich liegen sozusagen brach. Aber wem gehört das, was dabei herauskommt? Und wer könnte -rein theoretisch - dafür kassieren?

These Nummer eins - der abtreibende Arzt. Die vorgeschriebene Beratung wäre damit ad absurdum geführt. These Nummer zwei - die Frau, die abtreiben läßt. Die logische Folge: die kommerzielle Nutzung des Körpers als Maschine, die ein Produkt erzeugt, das verkauft werden kann.

Man mag einwenden, daß „Abfall" aus Abtreibungen gemäß herrschendem Gesetz als medizinischer Sondermüll gelten und fachgerecht entsorgt werden muß. Dem ist entgegenzuhalten, daß dies in der Praxis eine ziemlich kostspielige Prozedur ist, die noch dazu jeglicher Kontrollen entbehrt. Zu glauben, daß abtreibende Ärzte - vor die Wahl gestellt, die blutigen Gewebe entweder teuer zu entsorgen oder sie gegen Bares zu verkaufen — sich für erstere Variante entscheiden, ist naiv.

Der hier unterstellten Existenz eines Schwarzmarktes ist zumindest mit dem Strafrecht nicht beizukommen. Denn seine Paragraphen kennen als Obje"kt nur den Menschen, dessen Existenz mit den Wehen beziehungsweise einem Kaiserschnitt beginnt, mit dem Hirntod endet und damit den Embryo nicht „trifft".

Die Embryonenverwertung für medizinische und kosmetische Zwecke eignet sich hervorragend zur Darstellung jener Probleme, die der Nutzung von Körpermaterial, gleichgültig welcher Art, auf den Fuß fol gen. Es geht - erstens um die Qualität des Mensch-Seins," präziser um die gesetzliche Definition von dessen Anfang und Ende. Die Pestschreibung dieser Definition hat sich von der sinnlichen Wahrnehmbarkeit längst verabschiedet und gehorcht heute medizintechnischen Möglichkeiten, wofür die Debatte um den Hirntod beispielhaft ist.

Es geht - zweitens - um die Frage des Wertes von Körpermaterial, die Hand in Hand mit dessen Nutzung einhergeht. Relevant wird die Frage des Wertes spätestens dann, wenn jemand auf gerichtlichem Wege Schadenersatzansprüche stellt. Viele Anlässe sind denkbar: Man spendet Blut oder Knochenmark im Glauben, es kommt Kranken zugute. In Wirklichkeit wird es verkauft oder für ethisch umstrittene Forschungsmethoden verwendet. Oder ein Spender einer Niere stellt fest, daß sein Organ nicht einem Empfänger eingepflanzt wurde, sondern als Basis für ein pharmazeutisches Produkt herhalten mußte. Spätestens hier muß ein Bichter über die Frage urteilen: Wieviel Schilling ist ein Liter Blut wert? Wieviel eine Niere?

Der Körper ist - juridisch gesehen Sitz der Person, nicht mehr und nicht weniger. Er und seine Bestandteile sind keine Sache. Wären sie eine solche, dann dürfte man sie vielleicht verkaufen, verpfänden, vermieten oder was auch immer. Erst durch Ab trennung wird ein Körperteil zu einer Sache, was nicht nur für Blut gilt, sondern auch für Herz, Lunge, Finger und eben auch für abgetriebene Föten. Werden diese „Sachen" zugunsten des Menschen urbar gemacht, entstehen Bedarf und Markt, der sich über Geld definiert. Was nicht a priori abgewertet werden darf. Oder würde es jemand wagen, dem Phar-ma-Unternehmen Immuno einen Vorwurf daraus zu machen, daß es einen Großteil seines Gewinns aus Menschenblut erwirtschaftet?

Damit wären wir - drittens - bei der Frage, wer sozusagen einen legitimen Anspruch auf die Profite aus Körpersubstanzen hat. Die Väter des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches dürften eine dunkle Ahnung der medizinischen Zukunft gehabt haben, als sie festschrieben, daß man an seinem Körper kein Eigentumsrecht hat. Man darf, so das ÄBGB vereinfacht wiedergegeben, seine Haut nicht zu Markte tragen, weil sie einem nicht gehört. Die entsprechenden Paragraphen sind beispielhaft dafür, daß ein Gesetz immer moralische Grund haltungen festschreibt auch, wenn sie nicht auf ersten Blick sichtbar sind.

Auf der anderen Seite wird aber die Haltung, daß Pharmaunternehmen „zum Wohle des Menschen" aus der Verwertung des Leibes einen Gewinn abschöpfen dürfen, der Produzent und Lieferant des Bohstoffes - das einzelne Individuum also hingegen nicht, wohl schwer zu argumentieren sein.

Die Gesetzgebung lief dem medizinischen Fortschritt immer schon hinterher. Denn nicht zuletzt werden mit neuen Gesetzen auch neue Menschenbilder etabliert. So hat die Nutzung des Körpers den Begriff des Menschen gespalten, ihn mit einem Heilungsanspruch ausgestattet und gleichzeitig zum reinen Material degradiert. Heilung, 1 ,ebensverlänge-rung und -Verbesserung auf der einen Seite impliziert eben das Wühlen in den eigenen Eingeweiden auf der anderen Seite. Und erst, wenn sich die Gesellschaft an dieses „doppelte" Selbstbild gewöhnt hat, läßt es sich in Paragraphen festschreiben.

Die Autorin ist

ORF-Redakteurin und Sozia lunssetischaftcriti.

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