Endlich Gott spielen

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Fragen der Biotechnologie und deren Anwendung auf den Menschen bewegen die Gemüter. Zurecht. Die heftigen Debatten um die Aussagen von Peter Sloterdijk (siehe Seite 17) beweisen es.

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Fragen der Biotechnologie und deren Anwendung auf den Menschen bewegen die Gemüter. Zurecht. Die heftigen Debatten um die Aussagen von Peter Sloterdijk (siehe Seite 17) beweisen es.

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Tatsächlich spielt sich in diesem Forschungsbereich ja Atemberaubendes ab. Mitte September waren rund 470 Millionen der 3,2 Milliarden "Buchstaben" der menschlichen Erbinformation laut Internet-Information des Europäischen Laboratoriums für Molekulare Biologie entziffert: beachtliche 13,7 Prozent. Das internationale "Human Genome Project" könnte somit schon 2001 die gesamte menschliche Erbinformation entschlüsselt haben. Das wirtschaftlich motivierte Wettrennen der Konzerne trägt entscheidend zu dem Fortschritt bei. Ertragreiche Patente stehen in Aussicht.

Rasante Fortschritte auch auf dem Gebiet des Klonens: Als Karl Illmensee 1981 berichtete, er habe Mäuse geklont, hieß es, dieser Technik käme nicht wirklich Bedeutung zu. Und alle waren sich einig: Niemals würde man das bei Menschen anwenden. Auch als Ian Wilmut 1997 sein Klon-Schaf "Dolly" vorstellte, beeilte man sich zu beteuern, eine Anwendung der Technik auf Menschen käme nicht in Frage. Klonen sei "unethisch, moralisch abstoßend ..., eine schwere Verletzung grundlegender Menschenrechte, die unter keinen Umständen gerechtfertigt oder zugelassen werden kann ..." So das Europaparlament.

Solche Erklärungen halten Forscher aber nicht davon ab, weiterzumachen wie bisher. Klar, der erwartete Nutzen solchen Tuns ist ja enorm. Und wirksame Verbote gibt es nicht. Zwar verbietet das Klon-Zusatzprotokoll des Europarats das Klonen von Menschen, erlaubt es aber für Embryonen. So einfach geht das!

Und genau das geschah heuer: Im Juni gaben Forscher des "Advanced Cell Technology-Instituts" im US-Bundesstaat Massachusetts bekannt, sie hätten einen menschlichen Embryo nach einem ähnlichen Verfahren wie bei "Dolly" geschaffen. Damit eröffne sich die Perspektive, menschliche Stammzellen zu züchten. Sie gelten als mögliche Heilsbringer für die Medizin von morgen, besitzen sie doch die Eigenschaft, sich zu jeweils benötigten Organen zu entwickeln: Nerven, Herzen, Nieren, Lebern ...

Damit sind dem "Body-Shopping" von morgen, dem Handel mit menschlichen Ersatzteilen, Tür und Tor geöffnet. In nicht allzu ferner Zukunft wird man Ersatzorgane in Auftrag geben können: Eigene Hautzellen liefern dann die benötigte Erbinformation. Sie wird auf eine Eizelle übertragen, die sich zu einem Embryo entwickelt, dessen Zellen, die Stammzellen, man dann etwa zu einer Niere mit der Erbinformation des Patienten weiterzüchtet. Ideal für Transplantationen. Was soll daran verwerflich sein?, fragen die Forscher. Wieviel Leiden könnte gelindert werden!

Was soll man auf so erdrückende Nützlichkeitsargumente antworten? Früher oder später entscheiden sie alle Ethik-Debatten zu ihren Gunsten, sind sie doch die einzigen Argumente, die heute zählen. Eine Welt, die sich keiner transzendenten Wertordnung verpflichtet fühlt, ist dazu verurteilt, der unerbittlichen Logik der Nützlichkeit zu folgen.

Und genau das geschieht vor unseren Augen: Die durch keinerlei Tabus behinderte und von wirtschaftlichen Interessen angetriebene Biotechnik schafft laufend neue Möglichkeiten. Demnächst verfügen wir über Verfahren, "ganz besondere Menschen zu schaffen, die nach einem detaillierten Plan entworfen sind, oder aber existierende Menschen - als Fötus oder auch erst später - zu verändern, um Menschen mit ausgewählten genetischen Eigenschaften hervorzubringen." (Die Zeit 38/1999) Auf Neues reagiert die Öffentlichkeit zunächst schockiert. Es folgen beruhigende, relativierende Bemerkungen und "sachliche" Diskussionen, die Pro und Kontra erläutern. So findet das bisher Undenkbare Eingang ins öffentliche Gespräch. Erste Gewöhnungseffekte treten auf. Man beginnt mit den in leuchtenden Farben gemalten Vorteilen der Errungenschaft zu liebäugeln.

Pro und Kontra werden vor allem auf der Ebene der Nützlichkeit abgehandelt, mögliche Schäden und Vorteile gegeneinander ins Treffen geführt. Da die Vorteile unmittelbar einleuchten, die Schäden aber langfristig und hypothetisch sind, liegt das Ergebnis der Abwägung auf der Hand: Was technisch machbar ist, wird gemacht. Schließlich wurde ja schon viel Geld investiert.

Zu bedenken ist jedoch: Nützlichkeit ist kein objektiver Maßstab. Es taucht ja sofort die Frage auf: Nützlich für wen? Nützlich auf welchen Zeithorizont hin? Nützlich in welchem Raum? Bei näherer Betrachtung erkennt man: Nützlichkeit wird im Hinblick auf jene definiert, die ihre Vorstellungen durchsetzen können. Sie ist ein Rezept für die Mächtigen: Für die Geborenen gegenüber den Ungeborenen, für die Gesunden gegenüber den Behinderten, die Industrie- gegenüber den Entwicklungländer, für die Großkonzerne ... Die Nützlichkeit drückt Vorlieben bestimmter Gruppen aus. Sie kann nicht den endgültigen Maßstab für Entscheidungen, die mehr oder weniger uns alle betreffen abgeben. Sie weiß nichts von Gut und Böse.

"Die falsche Angst, Gott zu spielen", lautet der Titel des erwähnten Zeit-Artikels. Hier sind wir bei der eigentlich entscheidenden Frage: Darf sich der Mensch anmaßen, auf das Wesen des Menschen selbst zuzugreifen, aus ihm ein Produkt, eine Medizin zu machen? Für den Wiener Gynäkologen Johannes Huber etwa ist die Antwort klar: "Wenn man zur Heilung eines erwachsenen Menschen einen Frühembryo benötigt, der nur aus vier Zellen besteht, so würde ich das in Güterabwägung als zulässig ansehen." (Furche 4/1998) Genau das heißt es, Gott zu spielen: Leben zuzuteilen und zu nehmen, Menschen zu töten, um anderen zu helfen. Das tut die Biotechnologie. Sie degradiert den Menschen in seiner allerersten Lebensphase zum Material - ein fundamentaler Verstoß gegen das Lebensrecht, von dem es in den Urteilen des Hadamarer Euthanasie-Prozeß 1947 noch geheißen hatte, kein Staat habe das Recht, gegen die Heiligkeit des Lebens zu verstoßen.

Die Generationen nach uns werden uns vorhalten, daß wir 50 Jahre später von dieser Wahrheit Abschied genommen haben.

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