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„Ich bin dafür, daß man gesetzliche Normen schafft. Ich bin nicht dafür, daß man zuerst ein Gesetz schafft — und dann erst darüber nachdenkt.“ Wissenschaftsminister Heinz Fischer erteilt solcherart allen aktuellen Vorstößen eine Absage, die auf eine rasche gesetzliche Regelung der brennenden Fragen im Zusammenhang mit der künstlichen Humanreproduktion abzielen (FURCHE 42a, 43/1985).

Erst am Ende eines umfassenden Nachdenkprozesses sollen Normen in einem breiten gesellschaftlichen Konsens festgelegt werden, so Fischer gegenüber der FURCHE: „Jede Norm muß begründet werden, nur dann entsteht vernünftiges Recht“.

Nachdenken läßt der Wissenschaftsminister eine Expertengruppe ausgewählter Professoren im Rahmen einer beim Ministerium eingerichteten „Gen-Ethik-Kommission“. Schon der Name läßt vermuten, daß diesem Gremium nicht nur das Ausloten der technisch-wissenschaftlichen Möglichkeiten anvertraut wurde. Die Kommission soll gleichzeitig auch Empfehlungen darüber erarbeiten, was zwar technisch möglich, ethisch aber nicht vertretbar ist.

Der Gesamtkomplex „Biotechnologie und Gentechnik wurde in zwei Themenbereiche geteilt, die auch getrennt diskutiert werden. Während aber jenes Expertenteam, das sich mit der industriell angewandten Gentechnologie befaßt, noch vor der konstituierenden Sitzung unter dem Vorsitz des Wissenschaftsministers steht, ist die Gruppe für „ethische Richtlinien für Genomanalysen, in-vitro-Fertilisation und Embryotransfer sowie Gentherapie beim Menschen auf der Grundlage des gegenwärtigen Standes der Wissenschaft und medizinisch-ethischer Normen“ bereits konkreter geworden.

Medizinisch-ethisch nicht vertretbar sind danach: die Geschlechtsbestimmung vor der Geburt aus anderen als medizinisch-genetischen Gründen, also nur bei schweren vererbten Krankheiten;

Genomanalysen zum Beispiel für Eignungs- oder Einstellungsuntersuchungen, oder gar für Versicherungsabschlüsse; die Retortenzeugung mit nachfolgendem Embryotransfer an andere Frauen als die genetische Mutter; alle Versuche mit menschlichen Embryonen, die nicht der in-vitro-Fertilisation und dem Embryotransfer unter verbesserten Bedingungen dienen; die Selektion von Keimzellen und Embryonen nach anderen als medizinischen Kriterien, etwa bei Entwicklungsstörungen; alle Versuche zur Klonierung, das heißt zur Züchtung von genetisch identen Menschen; alle Versuche zur Gentherapie an menschlichen Keimzellen oder Embryonen.

Nach Ansicht der Kommissionsmitglieder gelten Retortenzeugung und Embryotransfer nur dann als medizinisch-ethisch vertretbar, wenn ansonst gesunde Ehepaare und Paare in eheähnlicher Lebensgemeinschaft auf andere Weise ihren Wunsch nach einem genetisch und physiologisch eigenen Kind nicht erfüllt bekommen können.

Die Richtlinien dieser Mitglieder der „Gen-Ethik-Kommission“ beim Wissenschaftsministerium machen zumindest eines deutlich: die Wissenschafter steuern - was die Fragen in Zusammenhang mit der künstlichen Fortpflanzung anlangt — auf einem vorsichtigen und zurückhaltenden Kurs.

Noch deutlicher geht dies aus den Materialen der Expertenkommission hervor, die der Wissenschaftsminister demnächst allen Abgeordneten zum Nationalrat übermitteln wird.

Darin wird unter anderem verlangt, daß der Arzt bei einer in-vitro-Fertilisation dafür zu sorgen habe, „daß nur die für einen Embryotransfer benötigten Embryonen erhalten werden.“ Werden dennoch mehr Embryonen gezeugt als nach dem Stand der medizinischen Forschung in die Gebärmutter eingepflanzt werden können, dann soll das Konservieren der „überzähligen“ Embryonen durch Tief gefrieren zwar erlaubt sein, jedoch ausschließlich für einen späteren Implantationsversuch bei der genetischen Mutter.

Keinesfalls soll erlaubt sein, daß der betroffene Arzt ohne Zustimmung der genetischen Eltern über den Embryo verfügt. Embryospende und Mietmutterschaft lehnen die Mitglieder dieser Arbeitsgruppe der ministeriellen „Gen-Ethik-Kommission“ schon aufgrund „eventuell entstehender schwerer psychologischer und rechtlicher Probleme und der Möglichkeit einer Kommerzialisierung“ ab.

Was das Verbot der Geschäfte-macherei mit menschlichem Leben anlangt, geht Minister Fischer mit den Vorschlägen der von ihm berufenen Professoren voll konform. Persönlich habe er seinen Nachdenkprozeß allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Vor allem jene Empfehlung, die für eine Retortenzeugung eine aufrechte Ehe oder ein eheähnliches Verhältnis zur Bedingung macht, ist für Fischer noch nicht der Weisheit letzter Schluß.

Der Wissenschaftsminister will jedenfalls nach Abschluß der wissenschaftlichen Diskussion alle gesellschaftlichen Kräfte zu Stellungnahmen einladen.

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