Auf tönernen Füßen

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Es wäre eine falsch verstandene Ökumene, würde die evangelische Kirche der katholischen Bioethik-Position mit ihren absoluten Handlungsverboten folgen.

Wenigstens biopolitisch ist in Österreich die katholische Welt noch in Ordnung. Im November 2001 appellierte die Österreichische Bischofskonferenz, in Österreich müsse "jede entgeltliche oder unentgeltliche Verwertung' von lebenden oder absichtlich getöteten menschlichen Embryonen" verboten bleiben, also auch jede Gewinnung und Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen. Mit mahnendem Unterton fügten die Bischöfe hinzu: "Es wird sich zeigen, inwieweit die österreichische Bundesregierung bereit ist, in wesentlichen Grundsatzfragen mit einer gewissen Unabhängigkeit von Mehrheitsverhältnissen in der EU und von den Wirtschaftsinteressen mancher einen ethisch verantwortbaren, eigenständigen Weg zu gehen."

Die Gelegenheit, Prinzipientreue unter Beweis zu stellen, bot sich rasch, stand doch in den folgenden Monaten die Entscheidung über das sechste Rahmenprogramm der EU zur Forschungsförderung für die Jahre 2002 bis 2006 an. Dieses sieht unter anderem die Förderung für Forschungsarbeiten mit embryonalen Stammzellen vor, was bei der zuständigen Bundesministerin Elisabeth Gehrer aus ethischen Gründen auf Ablehnung stieß. Diese Haltung konnte sich am Ende politisch durchsetzen. Daher hat Österreich schließlich als einziges Land gegen das Rahmenprogramm gestimmt.

Hauptsache Flagge zeigen

Österreichs katholische Bischöfe können also zufrieden sein. Zwar wird Österreichs Nein die europäische Forschung mit embryonalen Stammzellen nicht verhindern. Hauptsache jedoch aus katholischer Sicht, man hat in Brüssel Flagge gezeigt. Gerhard Leibold, Professor für christliche Philosophie an der katholisch-theologischen Fakultät Innsbruck, brachte es in einem Gastkommentar in der "Presse" (5/6/2002) auf den Punkt: "Die Entscheidung von Brüssel ist falsch. Der österreichische Widerstand ist richtig." So einfach kann Bioethik sein.

Es ist allerdings inkonsequent, wenn sich die Kritiker nicht gleichzeitig für ein entsprechendes gesetzliches Forschungsverbot im eigenen Land einsetzen. Das haben erstaunlicherweise weder die Vertreter der Minderheitenposition in der Bioethikkommission des Bundeskanzlers getan, (die gegen die Förderung der Forschung an embryonalen Stammzellen votierten, Anm. d. Red.), noch die katholisch-theologischen Fakultäten Österreichs, die sich im Februar 2002 in einem eindringlichen Appell gegen das sechste Rahmenprogramm ausgesprochen haben.

Bereits im November 2001 veröffentlichte das Fakultätskollegium der katholisch-theologischen Fakultät Innsbruck eine "Stellungnahme zum uneingeschränkten Schutz des menschlichen Lebens gegenüber Präimplantationsdiagnostik und verbrauchender Embryonenforschung". Die "Forschung an und mit Embryonen" wird für "ethisch verwerflich" gehalten, weil mit der Tötung von Embryonen "eine Grenze überschritten" werde, "die der Mensch nicht überschreiten darf, wenn er sich als moralisch handelndes Subjekt verstehen will".

Starke Worte, fürwahr, die aber auf fragwürdigen Prämissen beruhen und theologisch anfechtbar sind. Sie ersticken jeden vernünftigen Dialog mit Andersdenkenden, ehe er überhaupt begonnen hat. Solange die biopolitischen Folgen bzw. die Folgenlosigkeit solcher Appelle nicht bedacht und verantwortungsethisch reflektiert werden, erscheint es mir doch ein wenig vollmundig, wenn man sich - wie Helmut Schüller in einer Furche-Kolumne (Nr. 22) - auf den prophetischen Auftrag der Kirche beruft. Wer die realpolitischen Folgen anderen überlässt, denen dann noch attestiert wird, sie hätten sich durch ihre Verantwortungsübernahme "grundlegend kompromittiert", mag sich in der Rolle gefallen, "die Wahrheit über Entwicklungen beim Namen zu nennen", freilich um den Preis der Doppelmoral.

Überhaupt ist die österreichische Entscheidung weniger auf die Kraft ethischer Argumente zurückzuführen als auf politisches Kalkül und den Einfluss der österreichischen Bischofskonferenz. Diese hat bislang kaum das Gespräch mit der Öffentlichkeit oder den anderen Kirchen gesucht, sondern es vorgezogen, zugegebenermaßen erfolgreich, politisch im Hintergrund zu agieren.

Der Konflikt ethischer Positionen, darin hat Helmut Schüller durchaus recht (vgl. die Furche Nr. 24), fällt nicht mit dem konfessionellen Gegensatz der Kirchen zusammen. Die Fronten verlaufen quer durch die Konfessionen. Tatsächlich gibt es hinter vorgehaltener Hand auch unter katholischen Moraltheologen abweichende Meinungen. Öffentlich traut sich dies aber keiner zu sagen - aus Angst vor kirchlichen Repressalien. Und das ist - Schüller möge mir verzeihen - heutzutage leider "typisch katholisch" und erschwert das ökumenische Gespräch.

Kein Schulterschluss

Anders als in der Bundesrepublik, wo sich die katholische Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gemeinsam gegen die embryonale Stammzellforschung ausgesprochen haben, gibt es in Österreich in dieser Frage keinen ökumenischen Schulterschluss. Die Position der EKD ist innerhalb der eigenen Kirche nicht unwidersprochen geblieben. Abweichend ist auch die Haltung der evangelischen Kirchen in Österreich. In ihrer international beachteten Denkschrift zu Fragen der Biomedizin vom Oktober 2001 verweisen sie darauf, dass sich auf der Basis eines gemeinsamen christlichen Ethos in strittigen Fragen der Bioethik unterschiedliche Positionen vertreten lassen. Die Forschung an embryonalen Stammzellen lehnen sie nicht grundsätzlich ab. Das aber nicht etwa deshalb, weil sie sich opportunistisch einer gesellschaftsfähigen Mehrheitsposition anpassen wollen, sondern im Gegenteil, weil sie der Ansicht sind, dass es sich die römisch-katholische Kirche wie auch die EKD mit ihren apodiktischen Urteilen zu leicht macht.

Die Frage des ontologischen und moralischen Status von Embryonen ist komplizierter als es uns die katholische Redeweise von "embryonalen Menschen" glauben machen will. Selbst wenn man Embryonen als werdende Menschen betrachtet, entgeht man im Fall von überzähligen Embryonen, die bei der In-vitro-Fertilisation anfallen, nicht dem Dilemma der Güterabwägung. Das wissen auch Moraltheologen wie Werner Wolbert (Salzburg), der jedoch befürchtet: "Vielleicht hat ja die Art, wie wir mit Embryonen umgehen, Auswirkungen darauf, wie wir als Menschen miteinander umgehen (vor allem mit Behinderten und Nicht-Zustimmungsfähigen) oder auf den Respekt vor uns selbst." Solche Slippery-slope-Argumente ("erst sind die Embryonen an der Reihe, dann die Behinderten") halte ich für kurzschlüssig und gefährlich. Im Streit um die Embryonenforschung geht es offenbar gar nicht mehr um den Schutz des einzelnen Embryos, sondern um anderweitige Sorgen und Ängste bzw. um die Verteidigung allgemeiner Prinzipien.

Dass es aber auch eine moralische Verpflichtung gegenüber Kranken gibt, welche die Pflicht zur medizinischen Grundlagenforschung einschließt, tritt dabei in den Hintergrund. Dem wird entgegengehalten, die Forschung an ethisch unbedenklichen Stammzellen sei erfolgversprechender und medizinisch völlig ausreichend. Den fachwissenschaftlichen Streit sollte man meiner Einschätzung nach jedoch der scientific community überlassen. Das ethische Urteil kann sich nicht vom Hin und Her konkurrierender Forschungsansätze abhängig machen. Beispielsweise wurden Sensationsmeldungen über neu entdeckte "ultimative" adulte Stammzellen, die weitere Forschungen an embryonalen Stammzellen überflüssig machen würden, von ernstzunehmenden Wissenschaftlern umgehend relativiert. In Wahrheit geht die Wissenschaft international weiterhin zweigleisig vor. Sie forscht sowohl an adulten wie an embryonalen Stammzellen und hält sich alle Optionen offen.

Apodiktische Positionen

Der evangelische Theologe Hartmut Kreß (Bonn) bemängelte kürzlich bei einer ökumenischen Fachtagung, die römisch-katholische Moraltheologie verlasse bewusst die Tradition der Güterabwägung zugunsten der Ausweitung absoluter Handlungsverbote. Die evangelische Kirche sollte ihr darin nicht folgen. Das wäre eine falsch verstandene Ökumene. Der offene Disput über unterschiedliche Sichtweisen bioethischer Probleme dient der Glaubwürdigkeit der Ökumene letztlich mehr als apodiktische Positionen, die auf tönernen Füßen stehen.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Systematische Theologie an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien sowie Mitglied der Bioethik-Kommission der österreichischen Bundesregierung.

Zum Thema: Bioethik und Ökumene

Die politischen Würfel sind vorerst gefallen: Als einziges Land hat Österreich das sechste EU-Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung (2002 bis 2006) abgelehnt, weil darin auch die Förderung embryonaler Stammzellenforschung vorgesehen ist. Vorangegangen war ein heftiges Ringen innerhalb der Bioethikkommission der Bundesregierung. Aber auch zwischen Vertretern christlicher Kirchen - so auch zwischen den Furche-Kolumnisten Helmut Schüller und Michael Bünker - war eine Kontroverse über die ethische Legitimität embryonaler Stammzellforschung und die Rolle der Kirchen in dieser herausfordernden Situation entbrannt (vgl. die Furche-Ausgaben Nr. 22 bis 24). Als Zwischenbilanz erläutern nun Ulrich Körtner und Matthias Beck nochmals "die katholische" bzw. "die evangelische" Position und beurteilen die Bioethik-Debatte aus ökumenischer Sicht. DH

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