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In der Biomedizin stößt die Rechtsprechung sehr bald an ihre Grenzen, muss sie doch in Zeiten pluraler Ethosformen allgemeingültige Normen definieren. Im Furche-Gespräch zeigt sich der Wiener Rechtsphilosoph Gerhard Luf illusionslos: Dieser Bredouille ist nicht zu entkommen.

Europa hat salomonisch entschieden - und flüchtet sich einmal mehr in ein Moratorium: Bis Ende 2003 soll die Förderung der Forschung an neuen embryonalen Stammzellen ausgesetzt werden. Darauf hat sich der EU-Rat für Wettbewerbsfähigkeit Ende September in Brüssel geeinigt. Von den Forschungsgeldern in der Höhe von 17,5 Milliarden Euro erhalten also Projekte, bei denen neue Embryonen vernichtet werden müssten, keinen Cent. Anders die Haltung der EU zu bereits bestehenden embryonalen Stammzellen: Ihre Beforschung wird gefördert - falls dies nicht im Widerspruch zu nationalen Gesetzen stünde. Bis Anfang 2004, so der Wunsch von EU-Forschungskommissar Philippe Busquin, sollten sich aber alle Mitgliedsländer auf eine gemeinsame Gangart einigen.

Wenig neue Argumente

Für Gerhard Luf , Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie und Rechtstheorie an der Universität Wien und Mitglied der Bioethik-Kommission der österreichischen Bundesregierung, ein kaum zu erreichendes Ziel: "Ich glaube nicht, dass das realistisch ist", zeigt er sich im Gespräch mit der Furche ernüchtert: "Die ethischen Argumente sind im Wesentlichen ausgetauscht. Es könnten nur von medizinischer Seite neue Erkenntnisse kommen." Wie kurzlebig jedoch vermeintliche Durchbrüche in diesem Bereich sind, konnte man in den letzten Monaten erkennen: Berichte, wonach die (ethisch unbedenklichen) adulten Stammzellen der Wandlungsfähigkeit embryonaler Stammzellen in nichts nachstehen würden und gleichfalls "Alleskönner" seien, wechselten sich beinahe im Wochenrhythmus mit relativierenden Meldungen ab.

Was bleibt, ist die Grundsatzfrage, weiß Gerhard Luf - nämlich jene nach dem moralischen und rechtlichen Status des Embryos. Im Unterschied zur evangelischen Ethik, die eine Unbestimmbarkeit des Lebensanfangs ortet und sich bei der Forschung an bestehenden Embryonen im Zweifelsfall für eine Güterabwägung ausspricht, plädiert die katholische Lehre für den unbedingten Schutz des Embryos ab dem Zeitpunkt der Befruchtung. Dies führt nicht selten zum Vorwurf des Biologismus. Gerhard Luf weist diesen freilich zurück: "Es geht ja nicht nur um den biologischen Prozess, sondern um einen ethischen Zusammenhang, der sich natürlich auf biologische Phänomene beziehen muss."

Philosophisch werden zur Begründung des Embryonenschutzes ab der Befruchtung grundsätzlich drei Argumente vorgebracht, so Luf: jenes der Potenzialität (der Embryo vermag sich zu einem Menschen zu entwickeln), jenes der Kontinuität (es ist kein Zeitpunkt in der menschlichen Entwicklung auszumachen, bei dem sich "biologisches Material" zu einem Menschen wandeln würde) und jenes des Tutiorismus: Demnach sei der Embryo in den Grauzonen des Menschseins eher mehr als weniger zu schützen.

Das Recht steckt auf Grund der unterschiedlichen ethischen Positionen in einem Dilemma, dem es nicht entkommen kann, erklärt Luf, der am 25. Oktober im Rahmen der "Mariazeller Gespräche" (siehe Hinweis unten) das Thema Biomedizin aus juridischer Sicht beleuchten wird: "Das Recht muss Stellung beziehen hinsichtlich einer bestimmten ethischen Orientierung - und Fragen entscheiden, die entweder noch nicht ausdiskutiert sind oder so divergent beantwortet werden, dass das Recht in seiner Legitimität zumindest geschwächt wird." Die Entwicklungen in der modernen Biomedizin würden somit die "überkommenen moralischen Routinen" überfordern, meint der Rechtsphilosoph.

Auch der Rückzug auf eine höhere Abstraktionsebene - jene der Menschenwürde - öffnet nach Meinung Lufs keinen Weg aus der Bredouille: "Dazu müsste man abklären, was Begriffe wie Menschenwürde oder Lebensrecht überhaupt bedeuten." Philosophen wie Franz Josef Wetz von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd wagen deshalb die Flucht nach vorn und wollen die Frage nach der Wesenswürde des Embryos aus dem öffentlichen Recht auslagern und in die Privatsphäre des Einzelnen verlegen. Eine Gangart, die Gerhard Luf nicht akzeptieren kann: "Natürlich wird das Problem auf dieser höheren Ebene noch komplexer, denn hier kommt es zur Frage: Wer bin ich? Hier ist das Menschenbild angesprochen", gibt er zu bedenken. Diese Fragen einfach auszuklammern, sei dennoch keine Lösung, denn die Folge wäre ein pragmatischer Diskurs, der die Tiefe des Problems nicht erreichen könne: "Außerdem ist die Ausklammerung der Menschenwürde nicht sittlich neutral, sondern selbst eine ethische Position, die sich nur pragmatisch gibt."

In der Diskussion über die Beforschung überzähliger Embryonen, wie sie etwa nach einer künstlichen Befruchtung anfallen, werden solche Überlegungen virulent: Während die einen argumentieren, dass sie nach dem in Österreich geltenden Fortpflanzungsmedizingesetz ohnehin nach einem Jahr verworfen werden müssten und es ethisch vertretbarer wäre, an ihnen zu forschen und heilbringende Erkenntnisse zu gewinnen, weisen die anderen auf die unvergleichlichen Rahmenbedingungen hin: So bezeichnet der Wiener Philosoph Günther Pöltner, ebenfalls Mitglied der Bioethik-Kommission und Referent in Mariazell, das Vernichten überzähliger Embryonen nach einem Jahr als "tragisches Geschehen". Ihre Beforschung bedeute hingegen eine Instrumentalisierung - egal zu welchem Zweck.

Es ist Ziel der Bioethik-Kommission, dieses "tragische Geschehen" durch das geplante Embryonenschutzgesetz zumindest hinauszuzögern: So soll die Aufbewahrungsfrist kryokonservierter Embryonen auf fünf Jahre verlängert werden. Auch rechtliche Lücken wil man stopfen - etwa die Frage nach der Zulassung des so genannten "therapeutischen Klonens", von dem sich manche Forscher wahre Wunder im Kampf gegen Parkinson oder Alzheimer erwarten. Zwar gilt es in Österreich als nicht erlaubt, der Wiener Verfassungsrechtler Christian Kopetzki ortet jedoch eine Leerstelle im Paragraphendschungel und geht davon aus, dass diese Technik hierzulande nicht dezidiert verboten ist.

Rechtlicher Lückenschluss

Zu klären ist auch die Haltung Österreichs zu Gentests sowie zur Präimplantationsdiagnostik (PID), bei der im Rahmen einer künstlichen Befruchtung die Embryonen vor ihrer Einpflanzung in die Gebärmutter untersucht und im Zweifelsfall verworfen werden. Noch ist sie in Österreich, wie auch in Deutschland, verboten. Ob es dabei bleiben soll, wird die Bioethik-Kommission in einer ihrer nächsten Sitzungen klären. In der Frage der PID müsse man besonders stark zwischen individual- und sozialethischen Gesichtspunkten differenzieren, weiß Gerhard Luf. "Es ist schon verständlich, dass sich jemand, der durch eine Erbkrankheit belastet ist, eine PID wünscht. Aber gesellschaftlich gesehen ist ein Zug zur Eugenik nicht auszuschließen."

Wie sich die Bioethik-Kommission - und in der Folge auch die (neu gewählte) Regierung - entscheiden wird, wagt Gerhard Luf noch nicht zu prophezeien. Nur eines weiß er schon heute: "Bisher hat sich die Bioethik-Kommission viel zu oft mit pragmatischen Fragen beschäftigen müssen. Spätestens bei der Diskussion um die PID müssen wir nun endlich Grundsatzdebatten führen - das kann man nicht mehr pragmatisch lösen."

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