"Es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind"

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Das Klonen von Menschen rückt in die Reichweite der Biotechnik. Das löst heftige Debatten über die Zulässigkeit solcher Zugriffe auf menschliche Wesen aus. Im Folgenden ein Gespräch mit Robert Spaemann, einem der profiliertesten Exponenten des Lebensschutzes.

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Das Klonen von Menschen rückt in die Reichweite der Biotechnik. Das löst heftige Debatten über die Zulässigkeit solcher Zugriffe auf menschliche Wesen aus. Im Folgenden ein Gespräch mit Robert Spaemann, einem der profiliertesten Exponenten des Lebensschutzes.

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die furche: In der Diskussion um das therapeutische Klonen wird die Güterabwägung ins Spiel gebracht. Ist es ethisch vertretbar, Embryonen zu töten, um möglicherweise Krankheiten zu heilen?

Robert Spaemann: Alle unsere Handlungen unterliegen der Güterabwägung. Aber es gibt Unterlassungen, die immer geboten sind, weil es bestimmte Handlungen gibt, die nie erlaubt sind. Wenn einer mir zum Beispiel von einem KZ erzählt, in dem Menschen gefoltert werden, dann brauche ich nicht mehr zu fragen: Wer wird gefoltert und zu welchem Zweck?, sondern ich kann von vorneherein sagen, dass das, was hier geschieht, schlecht ist. Wenn wir davon ausgehen, dass Embryonen Menschen sind, dann ist klar, dass es keine Gründe geben kann, auf sie zurückgreifen, sie zu verbrauchen, um anderen Menschen zu helfen. Es gibt eine Reihe von Leuten, die behaupten, einem Embryo komme keine Menschenwürde zu.

die furche: Was berechtigt, auf Geistigkeit und damit auf personale Würde beim Embryo rückzuschließen?

Spaemann: Die Erfahrung, dass jeder Mensch so angefangen hat. Wenn die Welt einerseits nur aus erwachsenen Menschen bestünde, die nie Embryonen waren und andererseits aus Embryonen, die nie erwachsen werden, dann könnten wir sagen: "Embryonen können wir beseitigen. Sie haben offensichtlich nicht diese Anlage in sich, sich zu geistigen Wesen zu entwickeln." Nur, so ist es eben nicht. Wir sind als biologische Wesen immer schon geistige Wesen. Jeder sagt: "Ich wurde dann und dann geboren." Und die Mutter erzählt dem Kind, wie es war, "als du in meinem Bauch gestrampelt hast". Für jene Leute, die das Personsein erst mit dem Selbstbewusstsein anfangen lassen, wäre das eine ganz falsche Redeweise. Sie müssten sagen: "Damals wurde ein organisches Wesen geboren, dass das Substrat eines späteren Selbstbewusstseins war, nämlich des meinigen." Alleine an dieser Redeweise merken wir, wie künstlich alle Zweiteilungen von Leib und Seele ist. Man tut so, als ob da zuerst eine geistlose Maschine ist, in die irgendwann der Geist hineinfährt.

die furche: Sie haben der These des deutschen Kulturministers Nida-Rümelin heftig widersprochen, der die Würde des Menschen an seine Fähigkeit zur Selbstachtung geknüpft hat ...

Spaemann: Wenn man so, wie Herr Nida-Rümelin argumentiert, müßte man zu der konsequenten Meinung kommen, dass der Mensch, auch wenn er geboren ist, noch kein Menschenrecht besitzt. Denn auch da hat er noch kein Selbstbewusstsein und ist der Selbstachtung nicht fähig. Man müsste auch noch einjährige Kinder töten dürfen. Einige haben vorgeschlagen, als Grenze die Geburt anzunehmen. Mein Gegenargument lautet: Was ist dann mit einer Frühgeburt? Ist dann das gleiche sieben Monate alte Kind im Mutterleib nicht schützenswert? Dann wäre der gefährlichste Ort für einen Menschen der Mutterleib, und man könnte nur allen empfehlen, möglichst als Frühgeburt auf die Welt zu kommen. Das ist pervers.

die furche: Noch ist die Präimplantationsdiagnose, verboten, wird aber befürwortet. Gibt es ein Recht auf ein gesundes Kind?

Spaemann: Es gibt den berechtigten Wunsch nach einem gesunden Kind. Aber Recht auf ein gesundes Kind gibt es nicht. Hier wird mit der Sprache Schindluder getrieben. Man spricht vom Recht auf ein gesundes Kind. Das ist eine Suggestivformel, mit der man so tut, als hätte man die Möglichkeit, jedes kranke Kind gesund zu machen. Das hört sich aufs erste wunderbar an. Die Frage ist aber in Wirklichkeit eine ganz andere: Ist es erlaubt, ein krankes Kind zu töten, um ein gesundes zu haben? Dieses Recht gibt es natürlich nicht.

die furche: Viele argumentieren, durch die Praxis der Abtreibung gäbe es de facto keinen Lebensschutz des Embryos mehr, weshalb man sich nicht auf ihn zu berufen brauche. Wie beurteilen Sie diese Argumentationslinie?

Spaemann: Das deutsche Bundesverfassungsrecht hat einen bis heute gültigen Spruch, nämlich dass das menschliche Leben vom ersten Augenblick seiner Zeugung an geschützt werden muss. Allerdings: in dem was das Verfassungsgericht anschließend an rechtlichen Bestimmungen im Bereich der Abtreibung ausführt, ist diese Absicherung nicht wiederzufinden. Hoerster hat mit Recht auf diesen Widerspruch hingewiesen. Meiner Meinung nach ist es aber unzulässig, diesen Widerspruch als Argument zu verwenden, um abzuleiten, dass man den ersten Satz, nämlich den Lebensschutz, aufgeben muss, weil spätere gesetzliche Bestimmungen nicht damit in Einklang zu bringen sind. Ist es nicht genau umgekehrt? Nicht der Grundsatz des Lebensschutzes ist falsch, sondern die nachfolgenden Regelungen!

die furche: Gerät der Arzt nicht in ein moralisches Dilemma, wenn er bestimmte Therapien verweigert?

Spaemann: Die Frage lautet heute: Als was verstehen sich Ärzte? Halten sie am klassischen Ethos des Arztes fest, der helfen soll, das Leben zu fördern, es aber nicht vernichten soll? Die Rede vom Dilemma ist eine Irreführung. Es stimmt nicht, dass der Arzt so oder so schuldig werden muss. Es gibt kein notwendiges Schuldigwerden. Wenn ich eine Hilfe nicht leiste, die ich nicht leisten kann, dann bin ich nicht schuldig geworden. Wenn ich einem Menschen nur helfen kann, indem ich einen anderen töte, kann ich eben nicht helfen. Dann werde ich aber auch nicht schuldig, wenn ich es nicht tue. Ich bin ja nicht Gott, der für alles verantwortlich ist.

die furche: Es gibt also Ihrer Meinung nach gebotene Unterlassungen?

Spaemann: Ja. In der Geschichte der europäischen Ethik, angefangen von den Griechen, gibt es die Überzeugung, dass der Mensch gewisse Dinge nicht tun darf, dass es Dinge gibt, die keiner Abwägung unterliegen dürfen. Das hat man immer auf die einfache Formel gebracht: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Die verkehrte Denkweise, die sich verbreitet, gründet darauf, dass wir uns einen hypertrophen Verantwortungsbegriff zu eigen gemacht haben, so als wären wir für alles, was geschieht, verantwortlich. Nein, wir sind nur für das Schlimme verantwortlich, was wir selber getan haben oder das wir selber mit erlaubten Mitteln hätten verhindern können.

die furche: Der Ruf nach Ethik ist so laut wie nie. Trotzdem gewinnt man den Eindruck, dass die Ethik immer etwas hinten nach hinkt hinter dem, was sowieso schon passiert ist ...

Spaemann: Ich halte diesen lauten Ruf nach Ethik selbst schon für gefährlich. Er ist in Wirklichkeit nämlich ein Ruf nach Ethik-Spezialisten. Die sollen sagen, wo es lang geht. Das ist meiner Ansicht nach eine Verkehrung dessen, was wir unter Ethos verstehen. Ein Ethos ist etwas, das einen Mensch prägt und trägt, was eine Gemeinschaft von Menschen trägt. Ein Ethos kann man nicht machen. Es gibt keine absurdere Formel als die von Hans Küng: "Projekt Weltethos". Ein Ethos kann kein Projekt sein, denn man braucht ja schon ein Ethos, um ein Projekt zu machen. Das Problem, vor dem wir heute stehen, ist, dass das traditionelle Ethos aus Handlungsregeln besteht, die angesichts neuer Situationen nicht mehr zu greifen scheinen. In solchen Fällen muss man auf die grundlegende Intuitionen zurückgehen, die unserem Handeln zugrunde lagen. Wir brauchen nicht ein neues Ethos, sondern neue Anwendungsregeln dessen, von dem wir immer schon wussten, ob es gut oder schlecht war. Wir brauchen nicht Ärzte und Moralspezialisten. Wir brauchen moralische Ärzte.

die furche: Sie sind also gegen eine Bioethik als Spezialfach der Ethik?

Spaemann: Die Bioethik kann nichts anderes sein als die Anwendung immer schon bekannter ethischer Grundintuitionen auf komplizierte Sachverhalte. Insofern braucht man Fachleute, natürlich. Aber wir dürfen uns nicht täuschen. Nur weil Leute sich mit Bioethik beschäftigen, müssen sie noch lange nicht wissen, wo es lang geht. Wenn sie nämlich von falschen Voraussetzungen ausgehen, werden sie genauso falsche Schlussfolgerungen ziehen.

die furche: Welche Empfehlungen geben Sie dem Gesetzgeber?

Spaemann: Es gibt ganz schlichte Regeln: Der Gesetzgeber muss daran festhalten, dass menschliche Individuen von Anfang ihrer Existenz an nicht zu dem Zweck getötet werden, damit andere menschliche Individuen besser leben können. Das Argument, dass es dann ja trotzdem im Ausland geschieht, ist fadenscheinig. Aus der Tatsache, dass Schlechtes geschieht, folgt ja noch lange nicht, dass wir es auch tun müssen. Die Würde des Menschen besteht nicht darin, dass er alles, was an Schlechtem geschieht, verhindert, sondern dass er es selbst nicht tut. Darüberhinaus sollte der Gesetzgeber strikte alles unterbinden, was darauf hinausläuft, die Identität künftiger Generationen zu modellieren.

Das Gespräch führte Susanne Kummer Zur Person: Ein Philosoph, der sich aktuellen Fragen stellt Robert Spaemann wurde 1927 in Berlin geboren. Nach dem Studium der Philosophie, Theologie und Romanistik in Deutschland, Frankreich und der Schweiz habilitierte er sich in Münster. Seit 1962 ist er Professor für Philosophie an den Universitäten München, Heidelberg und München sowie Honorarprofessor in Salzburg.

Spaemann greift regelmäßig in die Debatte tagespolitischer Themen ein, zuletzt in der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" zum Thema "Gezeugt, nicht gemacht. Ab wann ist der Mensch ein Mensch?" Im März erschien sein jüngstes Buch "Grenzen. Über ethische Dimensionen des Handelns, Stuttgart 2001", eine Sammlung von Aufsätzen Spaemanns der letzten 40 Jahre, in denen er sich kritisch zu Fragen wie der atomaren Aufrüstung, Sonntagsarbeit, Abtreibung, Euthanasie oder auch dem Kosovo-Krieg zu Wort meldete.

Sein Buch "Moralische Grundbegriffe" (6.Aufl. München 2000) wurde in 14 Sprachen übersetzt.

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