Der Feind des Rechts und sein Stammtisch

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Vertrauen in den Staat herzustellen, ist eine Aufgabe, die die Politik hätte, vor allem die Regierung eines Landes. In Österreich setzt sie hingegen alles daran, die Fundamente des Menschen- und Asylrechts zu untergraben. Eine anwaltliche Streitschrift.

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Vertrauen in den Staat herzustellen, ist eine Aufgabe, die die Politik hätte, vor allem die Regierung eines Landes. In Österreich setzt sie hingegen alles daran, die Fundamente des Menschen- und Asylrechts zu untergraben. Eine anwaltliche Streitschrift.

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Ich bin gebeten worden, ein paar Worte zur Frage zu verlieren "Wenn der Staat Vertrauen verliert " Ja, was passiert dann? Ich könnte Sie jetzt mit der Antwort abspeisen, für die wir Anwältinnen und Anwälte berüchtigt sind: "Das kommt darauf an". Präzisieren Sie doch bitte Ihre Fragestellung: Welcher Staat? Welches Vertrauen? Wessen Vertrauen? Was genau, bitte, heißt verlieren? Wenn Sie das alles sagen können, machen Sie doch einen neuen Termin, mein Honorar für heute zahlen Sie bitte draußen im Sekretariat.

Aber um Ihr Vertrauen in die Anwaltschaft nicht nachhaltig zu ruinieren, möchte ich doch noch ein paar Sätze sagen zum Vertrauen in den Staat, in dreierlei Hinsicht: in den Staat als Akteur auf der internationalen Bühne; in den Staat als Staat als Garant von Menschenrechten; und zur Frage, worin wir eigentlich vertrauen, was wir uns also erwarten von diesem "Staat".

Staaten als Akteure, als Völkerrechtssubjekte sind ein eigenes Kapitel. Vor Jahrzehnten hat mir mal ein Politologe gesagt: Das Handeln von Staaten untereinander wird zwar von erwachsenen, zumeist akademisch gebildeten Menschen gesteuert. Aber aus der Distanz betrachtet folgt es den Regeln eines Kindergartens. Staaten verhalten sich zueinander wie drei- bis sechsjährige Kinder. "Du doch auch!"."Du warst böse zu meiner Freundin, jetzt bin ich böse auf dich!"."Mit dir spiele ich nicht mehr!"- und so weiter.

Und just dann, wenn es Meinungsverschiedenheiten und Krisen gibt, wenn also erwachsene, vernünftige Menschen noch intensiver miteinander reden würden, um Missverständnisse auszuräumen, tun Staaten das genaue Gegenteil: sie schmollen, sie rufen ihre Botschafter zurück, sie brechen am Ende Beziehungen ab. Das lässt sich aktuell am Umgang mit der Flüchtlingsfrage schön beobachten, und es führt zu zwei ernüchternden Schlussfolgerungen: erstens ist das Bild vom Kindergarten zumindest für Amateure äußerst brauchbar, um das Handeln von Staaten vorherzusagen. Und zweitens gibt es, gemessen daran , wie Staaten sich untereinander verhalten, wenig Grund, ihnen überhaupt zu vertrauen.

Schutzfunktionen

Schon gar nicht im Sinne jenes Urvertrauens, das Neugeborene zu ihren Müttern haben: Du wirst mich schützen, du wirst mich nähren, und du wirst mir niemals wehtun. Auf den ersten Blick scheint es lächerlich, diese Urform des Vertrauens an sich auf Staaten umlegen zu wollen. Und dennoch: gerade das ist die Kernaufgabe von Staaten, wie sie von Völker- und Menschenrechtlern angenommen wird: der eigenen Bevölkerung Schutz zu gewähren, ihr zu allererst das Über-Leben zu ermöglichen - und sie nicht zu misshandeln.

Staaten sind in ihrer Existenz seit Jahrhunderten hartnäckig, aber: wenn ein Staat diese Erwartung gar nicht mehr erfüllen kann, wenn er dieses Vertrauen gänzlich verspielt, dann sprechen wir von einem failed state. Ein failed state wird aufgegeben, von seinen eigenen Bürgerinnen und Bürgern wie von der Staatengemeinschaft.

Der moderne, aufgeklärte Staat des 21. Jahrhundert ist freilich, das hoffen wir wenigstens, ein Stück weiter. Die Erwartungen, die wir an ihn richten, bräuchten schon ein paar Sätze mehr: Du wirst mich nicht nur schützen und leben lassen, du wirst mich auch nicht erniedrigen. Du wirst meine Freiheit achten. Du wirst mich erst anhören und fair behandeln, bevor du mich bestrafst. Du wirst nicht mein Zimmer oder mein Handy durchstöbern und nicht mein Tagebuch lesen. Du wirst akzeptieren, wenn ich meine Meinung, meine Religion, meine Freunde, meinen Beruf und meinen Partner oder meine Partnerin frei wähle und mich überhaupt so entfalte, wie es mir gefällt.

Das sind Sätze, wie sie ein reiferes Kind an seine Eltern richten würde, bis hinauf ins hohe Alter. Damit sind wir aber beim zweiten Aspekt: beim Staat als Garant von Menschenrechten. Denn diese Sätze sind nichts anderes als eine Um-Schreibung der europäischen Menschenrechtskonvention. Dieser Text, bei uns in Österreich Bestandteil unserer Verfassung, definiert also auch ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen reifen Menschen - Bürgern, die sich ihrer selbst bewusst sind - und einem reifen Staat. Dieses Verhältnis ist nicht konstant. Es erfährt Irritationen.

Wechselnde Beliebtheiten

Das muss nicht heißen, dass Vertrauen tatsächlich und unwiederbringlich verloren geht - die Reaktion auf Enttäuschung ist, so wie auch in jeder Eltern-Kind-Beziehung, individuell unterschiedlich. Und die Enttäuschung betrifft oft nur einzelne Aspekte. Dass unser Staat immer wieder erkennen lässt, dass er es mit seinen eigenen Regeln nicht so genau nimmt, oder dass er allzu großes Interesse an unseren Telefonaten und E-Mails hat, muss also nicht notwendigerweise dazu führen, dass wir ihm generell misstrauen.

Andererseits kann ein einziger Polizeiübergriff dazu führen, dass ein einzelner Bürger jedes Vertrauen in den Staat verliert. Und als Anwalt, der auch in solchen Fällen vertritt, kann ich sagen: es kann sehr lange dauern, bis das wieder hergestellt ist.

Es gibt also, und damit sind wir beim dritten Aspekt, ganz unterschiedliche Arten des Vertrauens: das frühkindlich grenzenlose, und das abgeklärt erwachsene.

Erwachsenes Vertrauen bestünde etwa in dem Zutrauen, dass mein Staat jene Regeln einhält, die er sich selbst gegeben und deren Einhaltung er international versprochen hat. Und da scheint es aktuell um die Vertrauenswürdigkeit so gut wie aller EU-Mitgliedsländer -aber auch Österreichs -schlecht bestellt. Die EU-Staaten haben nicht nur die Genfer Flüchtlingskonvention und die EMRK allesamt unterzeichnet, diese Vertragswerke sind auch Kernbestandteil des Unionsrechts. Die darin enthaltenen Versprechungen kennen keine zahlenmäßige Beschränkung, keine Obergrenze. Mehr noch: das Prinzip der Achtung der Menschenwürde -also der Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention -ist notstandsfest. Selbst wenn uns die Aufnahme einer großen Zahl von Menschen tatsächlich so weit überforderte, wäre das Versprechen, in jeder Sekunde die Würde von Schutzsuchenden zu wahren, einzuhalten. So steht es in unserer Verfassung. Die Flüchtlingseigenschaft entsteht, besteht und endet immer nur in Bezug auf das Heimatland. Solange ein Mensch nicht sicher in dieses Heimatland zurückkehren kann, ist er Flüchtling und von der Genfer Konvention geschützt, egal, ob er sich im ersten, dritten oder X-ten sicheren Staat aufhält.Da erzählt man uns, Österreich dürfte Asylsuchende schon an der Grenze einfach zurückweisen, weil doch nach der Dublin-III-Verordnung der Nachbarstaat für sie zuständig wäre. Das ist eine glatte Verleugnung von unionsrechtlichen Vorschriften, die zu genau dieser Frage ein ordentliches Verfahren zwingend vorsehen - zu führen in Österreich.

Da will man uns weismachen, die GFK enthalte in ihrer Präambel praktisch eine Öffnungsklausel für den Fall der Überforderung und dass diese Überforderung eingetreten wäre -das ist gleich doppelt falsch: Präambeln sind völkerrechtlich unverbindlich, und von Überforderung kann in Wahrheit keine Rede sein. Das macht ein einziger Blick auf Staaten wie den Libanon, Jordanien oder die Türkei deutlich. Natürlich hat in Österreich eine große Minderheit, vielleicht sogar die Mehrheit das Gefühl, dass es "genug ist" - das allein ändert aber nichts am geltenden Recht.

Erschreckender ist aber, dass die Bundesregierung im Umgang mit der sogenannten Flüchtlingsfrage zunehmend den Eindruck vermittelt, geltendes innerstaatliches, europäisches und internationales Recht wäre ihr überhaupt egal. Und dass diese Haltung mittlerweile mehrheitsfähig ist.

Die mehrfach wiederholte Ankündigung einer Innenministerin, man werde Asylanträge jahrelang "liegen lassen", versehen mit dem Zusatz, dann gäbe es auch keinen Familiennachzug, wäre vor zwei Jahren noch als Skandal, ja als Anstiftung zum Amtsmissbrauch gewertet worden. Heute scheint sie selbstverständlich. Die Reaktion von Bundeskanzler Faymann auf die Kritik der EU-Kommission: "Juristische Meinungen werden von Juristen beantwortet. Politisch sage ich: Wir bleiben dabei", ist an Brutalität im Umgang mit gesatztem Recht kaum noch zu überbieten. Kein Hahn kräht danach, und die Stammtische applaudieren.

Der Lohn der Enttäuschung

In meinem Vertrauen sehe ich mich gründlich frustriert. Aber das sind meine sehr spezifischen Erwartungen. Menschen, die sich schon durch die bloße Anwesenheit von Flüchtlingen massiv bedroht fühlen, erwarten sich ganz Anderes -und sie sind heute aus ganz anderen Gründen enttäuscht. Noch gravierender womöglich als ich, weil sie die Urfunktion des Staates - die eigenen Bürgerinnen und Bürger zu schützen - in Frage gestellt sehen und deshalb Angst haben. Diese Angst ist zwar objektiv nicht zu begründen. Aber Angst hat immer recht.

Ob, wann und wie weit unser Staat unser Vertrauen verdient, bestätigt oder verliert, hängt davon ab, in welcher Rolle wir ihn begreifen und erfahren: als Beschützer, als Akteur auf den Finanzmärkten, als Rechtsstaat, als Sozialstaat; was konkret wir uns von ihm erwarten oder erhoffen: dass er uns Fremdes und Beängstigendes vom Leibe hält, seine Schulden begleicht, Gerechtigkeit herstellt oder unsere Gesundheitsversorgung garantiert, aber vor allen Dingen: wie reif wir selber in unserem Vertrauen sind: frühkindlich oder erwachsen.

Der Autor ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Asylrecht in Wien

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