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Abtreibung - eine Gefahr für uns alle

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Ich bin immer mehr davon überzeugt, daß in der Frage der Abtreibung und des Schutzes des Lebens nur eine sehr breite und fortdauernde gute Aufklärung der Menschen imstande sein wird, dieses zur Zeit stattfindende Massentöten zu bremsen. Die Menschen müssen begreifen und immer besser erfahren, müssen verstehen lernen, daß unser aller Leben eben nicht erst mit der Geburt beginnt, und auch nicht erst nach den ersten drei Schwangerschaftsmonaten.

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Ich bin immer mehr davon überzeugt, daß in der Frage der Abtreibung und des Schutzes des Lebens nur eine sehr breite und fortdauernde gute Aufklärung der Menschen imstande sein wird, dieses zur Zeit stattfindende Massentöten zu bremsen. Die Menschen müssen begreifen und immer besser erfahren, müssen verstehen lernen, daß unser aller Leben eben nicht erst mit der Geburt beginnt, und auch nicht erst nach den ersten drei Schwangerschaftsmonaten.

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Es muß zum selbstverständlichen Wissensgut gehören, daß jedes menschliche Sein mit der Vereinigung der Keimzellen zu sein beginnt unddaßerdas eben begonnene Leben fortsetzen möchte, wie Du und ich.

Es muß klar sein, daß jeder Mensch ein natürliches und ein göttliches Recht hat auf dieses einmal begonnene Leben und daß jeder, der einem solchen Leben sein Recht streitig macht und es sogar zerstört oder zerstören läßt, sich ins Unrecht setzt, auch dann, wenn ein gegen dieses Grundrecht des Menschen verstoßender Gesetzgeber ein Gesetz erläßt, das eine solche Untat für erlaubt erklärt. Es besteht für mich kein Zweifel, daß hier der Gesetzgeber schwer im Unrecht ist. Man kann nur hoffen, daß die Politiker im gesetzgebenden Nationalrat diese Tatsache doch einmal einsehen werden und dann auch den Mut haben, dies auch einzugestehen und zu ändern. Das „Jahr des Kindes" wäre eine gute Gelegenheit dazu gewesen.

Es hätte eine unvorstellbare Signalwirkung gehabt, wenn der Gesetzgeber eines kleinen, neutralen und - wie behauptet - christlichen Landes, die „Fristenlösung" aufgegeben und Gesetze geschaffen hätte, aus denen man hätte erkennen kön-

nen, daß es dieser Staat mit dem Schutz des menschlichen Lebens, auch dem des ungeborenen Kindes, so wie es auch in den internationalen Deklarationen über das „Recht des Kindes" festgehalten ist, ernst meint Man würde auch glaubwürdiger sein, wenn man Nachbarn darauf verweist, daß sie etwa die Schlußakte der Konferenz von Helsinki nicht einhalten.

Die schönsten Reden zum „Jahr des Kindes" gelten wenig, wenn man sich nicht entschließt, dem guten Geist einer solchen Deklaration nachzuleben. Und in einem christlichen Staat oder genauer gesagt in einem Staat, in dem die Mehrheit der Bürger christlich Getaufte sind, - sogar die sozialistische Mehrheit stellt, wenn sie es für günstig hält, diese Tatsache fest - müßte man ja wohl erwarten dürfen, daß ein so grundlegendes Gebot christlicher Ordnung und christlichen Lebens - und Menschenverständnisses, wie das Recht zu leben, geachtet wird und auch in einem weltlichen Gesetz seinen Niederschlag findet.

Das schließt, gerade in christlicher Sicht, nicht nur nie aus, sondern verlangt es geradezu, daß einer Schwangeren in Not unbedingt geholfen

werden soll, aber niemals damit, daß diese Schwangere zu einer Frau gemacht wird, die sie im Grunde gar nicht sein will, einer Frau nämlich, die, nachdem schon der Kindesvater an ihr und dem Kind schäbig gehandelt hat, auch noch das eigene Kind im Stich läßt, mehr noch, zu einer Frau, die jemanden dafür dingt, daß er dieses Kind heimlich beseitigt.

Eine für das Kind, die Mutter und den Kindesvater gerechte Lösung ihren Niederschlag in einem guten Gesetz finden zu lassen, wäre wahrscheinlich eine der bedeutendsten juristischen Leistungen unserer Zeit. Eine solche gute Lösung dürfte keine Kompromiß- und damit auch keine Indikationenlösung sein, weil keine der in der Praxis bestehenden diesbezüglichen Modelle dem Kind wirklich Gerechtigkeit widerfahren läßt.

Jede dieser Lösungen, die Anspruch darauf erhebt, nicht nur ein Gesetz zu sein, sondern auch ein auf Gerechtigkeit beruhendes Recht, muß zuerst als Grundlage den Schutz des Lebens des Kindes garantieren und zwar nicht von irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens an, sondern eben von seinem Beginn, d. h. bei dem Stand der Wissenschaft in dieser Frage eben von der Empfängnis an, ein Umstand, der ja nicht zufälliger-

weise auch im Zivilrecht aus der genau gleichen Überlegung sehr wohl Berücksichtigung findet.

Ich halte daher die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes über die Klage des Bundeslandes Salzburg nicht zuletzt wegen dieser ungleichen Behandlung des „nasciturus" im Zivilrecht einerseits und im Strafrecht anderseits für mehr als unverständlich.

Man kann vielleicht noch jene verstehen, die aus Unwissenheit meinen, daß beim Schwangerschaftsabbruch kein Menschenleben auf dem Spiel steht; daß aber jene, die als Politiker für sich in Anspruch nehmen, das Volk zu führen, diese ihre Verantwortung nicht auf klare Fakten stützen, ist unentschuldbar.

Meine Besorgnis betrifft außerdem nicht nur die biologische Tatsache, daß unserem Volk bald eine halbe Million Kinder fehlen wird, weil wir es zuließen, daß sie in den letzten fünf Jahren als unerwünscht grausam um ihr Leben gebracht wurden, mindestens ebenso schwer wiegt die Schuld, die wir damit auf uns laden und daß wir mit dieser Schuld umgehen und mit ihr leben, als gäbe es sie nicht. Diese Haltung zerstört nicht

nur das Leben ungeborener Kinder, sondern auch das eigene innere Leben und damit das des Volkes. Das ist keine pessimistische Aussage, das ist lediglich eine Feststellung von sehr ernsten Tatsachen, die jeder, der schauen kann, auch sieht.

Wir würden deshalb die Situation in der Frage der Abtreibung und des „Schutzes des Lebens" nicht richtig einschätzen, wenn wir uns, so wichtig es ist, nur ein Lösung von einem staatlichen Gesetz erwarten. Ich bin überzeugt, daß nur die sittliche Festigung der Menschen, ihre bessere Einsicht in die Zusammenhänge und eine gerechte und wenigstens faire Einstellung zum Kind, eine richtige Entscheidung herbeiführen kann.

Das Strafgesetz ist nur eine Stütze und ein gewisser Schutz. Noch ist der Schwangerschaftsabbruch auf die Mithilfe von mehreren Leuten angewiesen und damit nur halb anonym, weshalb noch gewisse Hemmungen bestehen, diese Untat durchzuführen. Auch die Brutalität des Eingriffes selbst laßt manche Frau davor zurückschrecken, ihn durchführen zu lassen; ebenso die Tatsache der Nebenwirkungen bei rund einem Drittel solcher Schwangerschaftsabbrüche.

Was aber wird sein, wenn diese Anonymität total ist, wenn das Prostaglandin-Vaginalsuppositorium zu haben sein wird, an dessen allgemeiner Verfügbarkeit man intensiv arbeitet. Steht es einmal zur Verfügung, wird sich jede Frau ohne Wissen Dritter sich sozusagen im Selbstbedienungsverfahren ihre vermeintliche oder sichere Schwangerschaft abbrechen können. Man überlege sich, wie groß die Belastung für die Frau sein wird.

Ich bin gewiß, man wird diesen Tag als den Tag der definitiven Befreiung der Frau feiern, obschon er der Ausgangspunkt einer neuen, noch schummeren Knechtschaft sein wird. Man stelle sich vor, was hier die einzelne Frau als Verantwortung auf

sich nimmt! Wenn es nicht gelingt, die Persönlichkeitsbildung der Frau so verantwortungsbewußt zu gestalten, die Frauen für diese Stunde so gut vorzubereiten, daß sie imstande sind, die jeweils richtige und gerechte Entscheidung zu treffen, sind die daraus entstehenden Konsequenzen unvorstellbar ernst und schlimm.

Diese Feststellungen sollen Sie nicht verzagt machen, sie sollen nur aufzeigen, wo wir stehen und wie es wahrscheinlich weitergehen wird. Sie sollen uns helfen, Vorkehrungen zu treffen und unsere Anstrengungen zu intensivieren auf allen Ebenen: auf der politischen, der zwischenmenschlichen, der christlichen Ebene; jeder, wo er kann und soviel er kann. „Rettet das Leben" heißt das Leben der vielen in Lebensgefahr befindlichen ungeborenen Kinder zu erhalten versuchen. „Rettet das Leben" heißt aber auch, und das wollte ich hier mit dem Gesagten aufzeigen, zu versuchen, das Leben der schon geborenen, der Verantwortung tragenden Erwachsenen zu retten, das eigentliche Leben, das mehr ist als bloß sein Körper; es geht wirklich in einem viel tieferen Sinn um Leben und Tod. Wenn wir das nur begreifen würden.

(Diese Ausführungen stellen einen Auszug aus einem Vortrag dar, den Univ.-Prof. Berger am23.11.1979vor „ßettet das Leben" - Tirol in Innsbruck gehalten hat.)

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