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Nicht fixiert sein auf Verhütung

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Altbischof Paulus Rusch trat kürzlich in der FURCHE für ein Überdenken der kirchlichen Lehre zur Empfängnisregelung ein. Ihm antwortet im folgenden ein erfahrener Arzt.

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Altbischof Paulus Rusch trat kürzlich in der FURCHE für ein Überdenken der kirchlichen Lehre zur Empfängnisregelung ein. Ihm antwortet im folgenden ein erfahrener Arzt.

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Was die Familie betrifft, so wurde uns Christen testamentarisch vermacht und gesagt, wie wir in unseren Familien leben sollen. Es heißt da, wir sollen uns „in der Ehrfurcht Christi einander unterordnen“, was einfach meint, daß wir einander in Liebe dienen sollen. Der Apostel Paulus wollte uns das dadurch noch anschaulich machen, daß er die Ehefrauen mit der Kirche vergleicht und die Ehemänner mit Christus, dem Haupt der Kirche, und er meint, wir Männer sollen unsere Frauen lieben, wie Christus die Kirche liebt, ja sich für sie hingegeben hat.

Gewiß ist dies ein hoher Anspruch an ein christliches Ehepaar, aber er ist großartig gültig und auch realisierbar, zumindest der Intention nach und in vielen seinen Teilen. Wir dürfen nur eines nicht tun, zu sagen, er stimme nicht, könne nicht stimmen, weil wir ihn nicht immer oder sogar nur selten zu erfüllen imstande sind. Das ist unsere gefährlichste Versuchung, der heute sogar Moraltheologen erliegen.

Was im Grunde von uns verlangt wird, ist die uns jeweils größtmögliche Liebe zueinander in einer Beständigkeit und Treue, wie sie im Verhältnis zwischen Christus und seiner Kirche besteht. Das mag eine Welt, die nur sich selbst kennen will, und Christus und seine Kirche bestenfalls als ein historisches Ereignis abtut, und die menschliche Liebe aus ihrer Vorliebe für Banalitäten nicht oder kaum mehr anders zu sehen versteht als geschlechtlich, ablehnen. Aber damit lehnt sie eben den hohen Wert der Ehe und Familie ab.

Christliche Familienplanung muß daher anders aussehen als die nichtchristliche Familienplanung, einfach deshalb, weil auch die Familie des Christen anders aussieht — jedenfalls möchte er, daß sie immer ähnlicher der Familie werde, die Christus möchte. Im Grunde eine einfache Formel, die zu verwirklichen aber immer als so schwer hingestellt wird. Letztlich gelingt es nur durch das Opfer.

Es ist schon klar, daß mit dem Thema Familienplanung nicht so sehr diese grundlegenden Feststellungen gemeint sind, sondern wegen der Not unseres Alltages, sehr konkret die Frage, wie viele Kinder denn ein christliches Ehepaar haben soll bzw. verantworten darf und wie es eine Beschränkung der Kinderzahl in der Praxis verwirklichen kann.

Im Grunde beginnt die Vorbereitung einer solchen Antwort bereits vor der Ehe, bei der Suche und der Wahl des Partners. Damit sind etwa folgende Fragen gemeint: Wie stark ist seine Persönlichkeit, wie tief sein Glaube, wie groß seine Opferbereitschaft in ernsten Lebenslagen, wie tragfähig seine Liebe und seine Treue, wie geordnet seine Sexualität, wie bedeutend sein Aufeinander-Rücksichtnehmen-Können?

Glaubt man der Statistik, würden 25jährige Frauen bei normalem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr nach einem Monat zu 31 Prozent, nach vier Monaten zu 50 Prozent und nach acht Monaten in

70 Prozent der Fälle schwanger werden. Bei 30- bis 40jährigen Frauen vermindert sich diese Häufigkeit auf 50 bis 60 Prozent nach einer Zeit von zwölf Monaten.

Weil dem so ist, versteht die Mehrzahl der Menschen unter Familienplanung eigentlich nur die bewußt herbeigeführte Verhinderung einer Befruchtung, also die Schwangerschaftsverhütung. Die Verantwortung, die hinter dieser Fragestellung und der zu treffenden Entscheidung steht, ist sehr groß, umsomehr, als heute eine Vielzahl verschiedener Methoden angeboten werden, die das Ehepaar nicht nur hinsichtlich ihres Erfolges, sondern auch hinsichtlich ihrer moralischen Vertretbarkeit ernst zu prüfen hat.

So kann ein christliches Ehepaar eine Abtreibung zum Zwek-ke einer Familienplanung auf keinen Fall akzeptieren, weil jede vorsätzliche Tötung eines Mensehen, natürlich auch eines ungeborenen Kindes, zutiefst unmenschlich, menschenunwürdig, zutiefst unchristlich ist. Trotzdem verlieren auch im christlichen Österreich Zehntausende ungeborene Kinder pro Jahr auf diese Weise ihr Leben.

Dasselbe gilt aus gleichen ; Gründen auch für die Anwendung der „Spirale“, des Intrauterinpessars, die neben der nicht allzu seltenen Verletzung der Gebärmutter die Einnistung des schon etwa eine Woche alten Kindes in die Schleimhaut der Gebärmutter verhindert, was einer frühen Abtreibung gleichkommt.

Ebenso trifft dies für die von den meisten Frauen schlecht vertragene, .Pille nachher“, die „af ter morning pill“ und andere medikamentöse Methoden zu, die noch in Erprobung stehen. Die Ablehnung solcher Mittel verlangt von der Frau, die oft die Entscheidung allein trifft, ganz besondere Charakterstärke. Den Medizinern wäre zu sagen, daß auch sie diese Methoden nicht so leichtfertig empfehlen sollten, denn sie tragen die Verantwortung für die Entscheidung der Frau mit, oft in noch höherem Ausmaß!

Die eigentlichen Schwangerschaftsverhütungsmittel bedeuten zwar auch ein Nein zu einem Kind, aber in der Regel nicht die Tötung eines schon gezeugten Kindes. Die Verantwortung ist also eine andere als bei der Abtreibung. Das unter katholischen Christen am meisten diskutierte Verhütungsmittel ist die hormonal wirksame „Antibabypille“. Unter ihrer Wirkung kommt es zu einer hormonellen Umstellung bei deitFrau, ähnlich der, die bei einer Schwangerschaft eintritt, so daß es zu keinem Eisprung, zu keiner Befruchtung kommen kann.

Diese Methode wird deshalb soviel diskutiert, weil unsere Kirche in ihrer Enzyklika „Humanae vi-tae“ diese Art von Schwangerschaftsverhütung untersagt. Wegen der recht großen Sicherheit dieser Verhütungsmittel haben die Interessenten die Entscheidung der Enzyklika nicht verstehen können oder auch nicht verstehen wollen und sie deshalb als lieblos oder verständnislos erklärt. Sogar von theologisch-seelsorgerischer Seite vernahm man ähnliche Äußerungen, zuletzt von Altbischof Paulus Rusch (FUR-

(Foto: Petri)

CHE 38/85). Das ist äußerst bedauerlich, denn die Verwendung der Pille ist in vieler Hinsicht keineswegs harmlos.

Neben den möglichen gesundheitsschädigenden Einflüssen und der biologischen Unverträglichkeit bei manchen Frauen, nennt die Enzyklika noch andere wichtige Gründe: Sie befürchtet, daß damit die eheliche Untreue gefördert würde, daß der Mann die Achtung vor der Frau verlieren und sie als Werkzeug selbstsüchtiger Befriedigung benützen könnte, daß es zu einer allgemeinen Verflachung der Sittlichkeit und zur Promiskuität führen würde, daß junge Menschen wegen ihrer besonderen Verwundbarkeit gerade in diesem Punkt besonders gefährdet werden könnten.

Die Befürchtungen, wie sie Papst Paul VI. in der Enzyklika ausgesprochen hat, sind bereits alle in großem Umfang eingetroffen, die Wirklichkeit ist sogar noch bedeutend schlimmer. Da ist keine Lieblosigkeit oder Ver-ständnislosigkeit,kein,Am-Leben-Vorbeilehren“ in der Enzyklika, kein die Frau oder die Ehepaare Nicht-verstehen-Wollen, sondern redliche Besorgtheit.

Die österreichische Bischofskonferenz hat in dieser Frage gemeint, daß letztlich jeder Gläubige seine eigene Entscheidung in Verantwortung selbst treffen müsse. Das ist sicher richtig, aber bei so ernsten Entscheidungen ist jede Hilfe, gerade auch von der Kirche, notwendig und jede sorgfältige Information von großer Bedeutung. Das will meiner Meinung nach die Enzyklika, und dies mit Recht.

Bleibt die „natürliche Empfängnisregelung“, die die Kirche nicht untersagt, weil mit ihrer Hilfe nur zwischen den fruchtbaren und den unfruchtbaren Tagen einer Frau gewählt wird, was zweifellos als ein natürlicher Weg angesehen werden darf, der alle die Gefahren, die die Anwendung der Pille mit sich bringt, nicht hat.

Mit Hilfe der basalen Körpertemperaturmessung bei der Frau bzw. der Scheidensekretbeurtei-lung lassen sich die wenigen, etwa drei bis vier fruchtbaren Tage zwischen zwei Regelblutungen erkennen. Wie man dies macht, muß man sich im Detail erklären lassen. Bei dieser Methode wird zweifellos gemessen, gerechnet und geplant.

Mehr Freude an Kindern

Ich meine aber, daß, wenn wir den Menschen auch noch als göttlichen Entwurf und Plan sehen würden, eine Empfängnisregelung möglich sein müßte, die den ganzen Menschen und nicht nur seine Geschlechtsorgane sieht. Der natürliche Mensch in seiner Ganzheit verträgt im Grunde die Verkürzung der menschlichen Sexualität auf eine primitiv wiederholte Bettszene gar nicht, er verarmt, sogar an Sexualität.

Im Grunde wehrt er sich gegen die Banalisierung dieser menschlichen Fähigkeit, gerade wegen ihrer menschlichen Größe und vielleicht insgeheim doch auch deshalb, weil in ihm die ergreifende und ergreifbare Möglichkeit zur Zeugung eines neuen Menschen, eines Kindes steckt.

Haben wir doch wieder mehr Freude an Kindern, haben wir mehr Mut und mehr Hoffnung. Haben wir mehr Vertrauen. Manches Mal frage ich mich, ob die Menschen in unserer Gesellschaft nicht gerade deshalb Mut, Hoffnung, Zuneigung und Vertrauen verloren haben, weil es nur mehr so wenige Kinder gibt. Ein Teufelskreis. Mehr Kinder können uns das alles wieder beibringen, weil die Kinder selbst soviel davon haben und uns davon geben möchten. Werden wir wirklich wieder ein wenig wie sie; und damit dies möglich ist, müssen wir sie wieder mehr zu uns kommen und bei uns bleiben lassen.

Der Autor ist Professor für Kinderheilkunde an der Universität Innsbruck.

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