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Das Baby aus der Retorte

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Das erste „Retortenbaby” liefert den Zeitungen in der Sommerhitze willkommene Schlagzeilen. Gruselgefühle von Alchimistenküche und Homunculus mischen sich mit Hoffnungen kinderloser Eltern, doch noch zur Erfüllung ihrer Wünsche zu kommen. Stehen wir am Beginn eines neuen Abschnittes der Menschheitsgeschichte? Stehen wir an der Tür zu Huxleys „Schöner neuer Welt”, in der die Menschen grundsätzlich nur mehr im Labor gezüchtet werden?

Zunächst: ein Homunculus, ein künstlich erzeugtes Wesen, ist das Mädchen aus Oldham nicht. Auch sie entstand aus der Vereinigung von Ei und Samen ihrer Eltern, lediglich der Befruchtungsvorgang wurde im Reagenzglas von einem Wissenschaftler vorgenommen. Hier liegt der entscheidende Punkt, der die Geburt dieses Mädchens vom Entstehen jener künstlichen Menschen in utopischen Romanen unterscheidet, der aber auch die Frage berechtigt erscheinen läßt, ob der Kaiserschnitt in der Vorwoche als ein Markstein in der Geschichte der Biologie und der Gynäkologie anerkannt werden muß.

Der gelungene Vorgang ist zweifellos ein epochaler Erfolg der Wissenschaft - auch er ist mit in dem Auftrag begründet: „Macht euch die Erde untertan”, wenn wir daran glauben, daß auch das faustische Suchen nach der Wahrheit gottgewollt und gottgeleitet ist. Aber gerade in diesem Fäll müß der Erfolg zugleich auch die Mahnung an den Forscher enthalten, sich der Folgen seines Tuns, seiner Verantwortung gegenüber der Menschheit bewußt zu sein.

Nicht ohne Grund haben in den vergangenen Jahren etliche andere Forscher ähnliche Experimente am menschlichen Keim abgebrochen, bevor sie noch zu einem Ergebnis gekommen waren, weil sie sich plötzlich dieser Verantwortung bewußt geworden waren. ,Gerade heute, wo die zunächst wertfreien Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung sehr rasch ihren Stellenwert in der wirtschaftlichen und politischen Gesamtplanung erhalten, kann und darf der Forscher die Folgefrage nach der Wertung seiner Ergebnisse nicht von sich weisen. Hierbei brauchen im gegebenen Fall die Phantasien gar nicht so weit zu spielen, daß sie bei Aldous Huxley münden. Machtsysteme, die die Psychiatrie zur Beherrschung ihrer Untertanen mißbrauchen, werden sich auch nicht scheuen, die Genetik in ihren Dienst zu stellen.

Aber bietet nicht der Erfolg von Oldham bei Manchester auch große Hoffnungen für alle jene Eltern, die sich dringend ein Kind wünschen und aus ähnlichen Gründen wie in diesem Fall keines bekommen können? Kann ihnen nun nicht Hilfe gebracht werden, Hilfe in einer scheinbar völlig einwandfreien Weise, ohne Beiziehung fremder Ersatzeltem, nur’ durch die verantwortungsvolle Hand des Biologen?

Diese Frage ist zweifellos berechtigt und wird wohl auch von manchen Eltern, von manchen Ärzten positiv beantwortet werden. Trotzdem muß der Christ nein sagen. Wenn auch zum gegebenen Fall noch kaum Kommentare von kirchlicher Seite vorliegen, ist das Nein der Kirche hierzu doch schon bei früheren Anlässen eindeutig ausgesprochen worden.

Auch wenn die Kirche heute nicht mehr ausschließlich die Zeugung von Nachwuchs als das legitime Ziel des ehelichen Aktes anerkennt, bleibt für sie doch das Entstehen^neuen Lebens an diesen Augenblick höchster gegenseitiger Hingabe zweier Menschen gebunden. Eine Loslösung auch nur für Ausnahmsfälle, das Wissen um die Möglichkeit dieser Loslösung, müßte das Bewußtsein um die ideelle Kraft des ehelichen Einswerdens noch stärker verblassen lassen, als es heute bereits zu verblassen droht. In diesem Zusammenhang gerät auch die gerade vor zehn Jahren verkündete und so stark befeindete Enzyklika „Humanae vitae” in ein neues Licht. Nicht die Frage, ob und wie weit sich das kirchliche Lehramt veränderten Normvorstellungen anpassen sollte, stand dä- mals wie heute für die Kirche zur Diskussion, als die Aufgabe, den Anfängen zu wehren, den Anfängen der Auflösung, die schon lange keine Anfänge mehr waren.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß die Kirche auch die bisher schon vielfach praktizierte Methode der Samenübertragung vom Ehegatten auf die Frau bei nachfolgender normaler Befruchtung aus derselben Überlegung abgelehnt hat. Daß es heute in den USA bereits tausende Menschen gibt, die diesem Vorgang ihr Leben verdanken, ändert nichts an dieser Feststellung.

Das Nein der Kirche wird jenen Eltern, die hier ihre Hoffnung keimen sahen, wenig Trost bieten. Auch wenn wohl manche Biologen zögern werden, die nun einmal erprobte Methode weiterzuverfolgen, werden sich andere finden, um jenen zu helfen, denen das Wort der Kirche gleichgültig ist.

Christliche Eltern aber, denen Kindersegen gegen ihren Willen versagt geblieben ist, sollten darin nicht ein ungerechtes Schicksal sehen, sondern das Kreuz auf sich nehmen, das ihnen bestimmt ist. Sie werden es vielleicht leichter tragen können, wenn sie jenes ihrer Mitmenschen mitzutragen helfen, etwa indem sie eines jener Kinder adoptieren, das von seinen Eltern auf natürlichem Wege gezeugt und empfangen worden ist, aber nicht gewollt wird.

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