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Die systematische Abschaffung des Menschen

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Fazit nach der Entscheidung wichtiger bioethischer Fragen im Europarat und im EU-Parlament: Wirtschaftliche Interessen verdrängten ethische Aspekte.

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Fazit nach der Entscheidung wichtiger bioethischer Fragen im Europarat und im EU-Parlament: Wirtschaftliche Interessen verdrängten ethische Aspekte.

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Am 16. Juli hat das Europa-Parlament in Straßburg einen großen Schritt in Richtung systematische Vermarktung der gesamten Schöpfung gemacht: Gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere gelten in Zukunft als „Erfindungen” und können patentiert werden. Noch be-' merkenswerter ist allerdings, daß es auch Patente auf „Bestandteile” des menschlichen Körpers, etwa Zellen, geben soll und zwar dann, wenn sie duch gentechnische Verfahren isoliert, identifiziert oder vermehrt wurden. Sobald man darlegen kann, daß Teile des menschlichen Erbgutes gewerblich genutzt werden können, soll ihre Patentierbarkeit gegeben sein.

Schlimm genug, daß man nach dem Vorbild der USA nunmehr auch in Europa Lebewesen patentfähig macht. Wirklich katastrophal aber ist, daß die Menschenwürde wirtschaftlichen Interessen geopfert, Teile des Menschen und damit der Mensch selbst, also die Krone der Schöpfung, das nach dem Ebenbild Gottes geschaffene Wesen, zum Gegenstand erklärt wird: Die Bioethik verkommt zum inhaltsleeren Schlagwort.

Diese Entscheidung im EU-Parlament ist vom selben Geist geprägt wie die „Bioethik-Konvention” des Europarates vom vergangenen November (siehe Furche 9/1997). Auch sie trägt weniger ethischen Aspekten als den Interessen von Wirtschaft und Forschung Rechnung, gestattet sie doch

■ fremdnützige Forschung an Personen, die selbst nicht einwilligungsfähig sind, und

■ Forschung an in vitro erzeugten Embryonen ebenso wie deren Auslese nach verschiedenen Kriterien (mit Ausnahme dem des Geschlechts).

■ Auch schließt sie die Weitergabe von Informationen, die in Gentests enthalten sind, nicht eindeutig aus.

Welcher Geist die Debatten in den entscheidenden Gremien prägt, illustrieren etwa Wortmeldungen, die beim 3. Symposion des Leitungsausschusses für Bioethik des Europarates geäußert wurden (siehe info-dienst-bio-ethik 2/97). Dieses Treffen diente der Vorbereitung eines Zusatzprotokolls „Über den Schutz des menschlichen Embryos und Fötus”, das die Bioethik-Konvention ergänzen soll.

In der Frage der Rechtsstellung des in * vitro erzeugten Embryos wurde das französische Gesetz vom 29.7.1994 als Vorbild erwähnt. Es beantwortet die Frage, ob das ungeborene Kind als Person oder als Objekt zu gelten habe, nicht direkt, trifft aber Regelungen, die es de facto zur Sache machen. So gestattet es Eltern, tiefgefrorene ungeborene Kinder bestimmten, staatlich zugelassenen Institutionen für Forschungszwecke zu überlassen.

Dazu die französische Zeitung „L'Homme nouveau”: „Alle, die in Kenntnis der Sachlage für diesen Text gestimmt haben,... haben ein Gesetz beschlossen, das den Embryo zu einer Sache macht. Sie haben im Verwaltungsweg Experimente mit Menschen organisiert. Sie haben damit zwar nicht den totalitären und triumphalen, sondern einen schleichenden Nationalsozialismus begründet, der scheinbar die staatliche durch eine private Eugenik ersetzt!”

Frau Broekhysen-Molenaar, eine holländische Referentin, vertrat bei dem erwähnten Symposion die Ansicht, Embryonen seien Objekte im besonderen Eigentum der Eltern. Trennten sich diese von den Embryonen, sei die Zerstörung dieser „Objekte” notwendig. Unausgesprochen versteht auch die Bioethik-Konvention des Europarates den Embryo als Sache, wenn sie in Artikel 18 von „Erzeugung” von Embryonen und nicht von deren „Zeugung” spricht.

Im Grunde genommen derselben Logik folgte die Vertreterin der Internationalen Vereinigung unfruchtbarer Eltern. Sie forderte einen Qualitätstest für Embryonen vor deren Einpflanzung.

Auf derselben Linie lag das mehrfach geäußerte Plädoyer, Forschung an Embryonen zuzulassen. Da sind die unterschiedlichsten

Argumente recht, um diese genetisch eindeutig als Glieder der Menschheit erkennbaren Wesen ihrer Menschlichkeit zu entkleiden. Professor Mauron aus Genf ging sogar so weit, zu behaupten, Gegner solcher Forschung hätten nicht das Recht, anderen etwas vorzuschreiben. In der liberal-demokratischen Gesellschaft gebe es keine rationalen Gründe, diese Forschung zu verbieten.

Damit sind wir zum Kern der heute gängigen Bioethik-Debatten vorgedrungen: Sie scheitern am Wertpluralismus der modernen Gesellschaft. In ihr läßt sich kein Konsens darüber herstellen, was das menschliche Leben ausmacht, was sein Sinn ist. Sie behandelt das Leben als biologisch-physikalisch-chemischen Prozeß. Man schlage im Lexikon unter dem Schlagwort „Leben” nach. Und diesen Prozeß versucht man nach verschiedenen Kriterien zu optimieren.

Dieser Ratlosigkeit, wenn es um die Person des Menschen geht, steht ein festgefügtes Tabu gegenüber: Die Freiheit der Wissenschaft als quasi absolutes Recht. Dazu die durchaus wissenschaftsfreundliche Zeitschrift

„The Futurist”: „Die Wissenschafter werden getrieben von ihrer Neugier, ihrem Ehrgeiz und ihrem Machtstreben. Sie wollen auch der Menschheit dienen - jedoch in einer Weise, die sie selbst definieren, oder von der sie zumindest annehmen, daß sie einen Fortschritt' darstellt. Die Wissenschafter sehen die Befragung

Hpr OffpntlirVikpit alc ptwas nicht Erstrebenswertes an. Sie befürchten möglicherweise Einschränkungen für ihre Forschungstätigkeit. Für viele Wissenschafter ist die Freiheit der Forschung heilig.”

Klar, daß diese großzügig von Staat und Wirtschaft geförderte Wissenschaft laufend neue Erkenntnisse liefert, über Lebensvorgänge und deren Steuerung. Vieles davon läßt sich technisch nützen. Da kann man sich ausrechnen, was herauskommt im Zeitalter mächtiger Wirtschaftslobbys („Der Druck der Biotech-Industrie war zu groß,” stellte die SP-Abgeord-nete im Europaparlament Maria Berger nach der Abstimmung im EU-Parlament laut Standard vom 17. Juli fest). Heute, wo die Nützlichkeit Maßstab menschlichen Handelns ist, kommt die Ethik unter die Räder. Sie wird auf die Rolle reduziert, Argumentationshilfen zu liefern für das, was ohnedies gemacht wird.

Wer unter diesen Voraussetzungen für die Unverletztlichkeit des Menschen ab dem Moment der Verschmelzung von Ei und Samenzelle in den Kampf zieht, wird rasch als Fundamentalist abgestempelt, als Fortschritts-, Wissenschafts- und Wirtschaftsfeind. Man hält ihm eine Reihe von mehr oder weniger plausiblen Argumenten entgegen, die das Ausbeuten von Mensch und Schöpfung zulässig erscheinen lassen. Wo kein Konsens über Wesen und Bestimmung der Schöpfung besteht, ist eben lies möglich.

Fundamentale Entscheidungen werden verharmlost: „Der Akt der Patenterteilung ist moralisch neutral und sollte es auch weiterhin bleiben”, erklärt etwa William H.Duffey, Patentanwalt des US-Chemiegiganten Monsanto in der Zeitschrift ,Science”. Es wäre ,falsch, den Schutz für )iotechnische Erfin-lungen zu beschränken, nur weil es Einwände jener Gruppen gibt, die die emotionalen Komponenten einer aufblühenden Forschung hochspielen.” Fragt sich nur: Worüber darf man sich denn dann überhaupt noch ereifern? Was kann denn wesentlicher sein als die Frage, ob Teile des Menschen patentfähig sind oder nicht? Sobald dies nämlich geschieht, bekommt das wirtschaftliche Interesse absolut Vorrang vor der Menschenwürde.

Eigentlich müßte helle Empörung in Europa herrschen. Nur sind wir leider längst in diesen Fragen abgestumpft. Denn Jahr für Jahr wird unser Widerstand ein bißchen mehr untergraben. Was einst grotesk, verrückt, unmenschlich und undenkbar erschien, wird langsam normal. Erst hat man utopische Perspektiven ä la Huxley mit Schaudern gelesen, aber doch auch belächelt. Das wird es nie geben. Im weiteren Verlauf nahm man erstaunt zur Kenntnis, was bei Einzellern, später bei höheren und zuletzt bei Säugetieren alles möglich ist, ließ sich aber stets dadurch beruhigen, daß beim Menschen alles ganz anders laufen werde. Und auf einmal, nachdem uns die Experten die vielen Vorteile der Manipulationen und die technische Einfachheit der Methoden in leuchtenden Farben geschildert haben, nimmt man das ursprünglich Undenkbare zur Kenntnis,

Und vor lauter Staunen darüber, was menschlicher Geist alles zu verwirklichen vermag, übersehen wir, daß der Mensch als Person unter die Räder kommt, daß der Mensch abgeschafft wird, wie es der Schriftsteller GS. Lewis vorhersah: „Es ist der Handel des Magiers: Gib deine Seele her, gewinne dafür Macht. Nur - sobald unsere Seelen, also wir selbst, aufgegeben worden sind, gehört uns die übertragene Macht nicht mehr. Wir werden nämlich die Sklaven und Puppen von dem werden, dem wir unsere Seele gegeben haben. Es liegt in der Macht des Menschen, sich als bloßes natürliches Objekt' und seine eigenen Werturteile als Rohmaterial für beliebige Veränderungen durch wissenschaftliche Manipulationen zu betrachten... Der wahre Einwand dagegen liegt darin, daß, wenn der Mensch beschließt, sich als Rohmaterial zu betrachten, er auch dazu wird: Allerdings ein Rohmaterial, das nicht - wie er beglückt dachte - von ihm selbst manipuliert wird...” („The Abolition of Man”).

Heute wird international sanktioniert, was seit der Legalisierung der Abtreibung längst praktiziert wird: Ärzte und Wissenschafter verfügen über den „Rohstoff” Mensch. Welch tiefe Zäsur in unserem Rechtsdenken. Noch gut erinnere ich mich an die Aussage von Ex-Justizminister Harald Ofner: In einem Interview (furche 14/1985) stellte er nüchtern fest, man könne den Embryo in vitro nicht besser stellen als den im Mutterleib. Warum sollte man an Wesen, die man mit drei Monaten umbringen darf, nicht in den ersten 14 Tagen herumexperimentieren? Und warum nicht auch an Personen, von denen man meint, sie merkten es nicht (an komatösen Patienten, an hirnlos geborenen Kindern)? Und wenn man solche Experimente durchführen darf, warum sollte man das teuer erworbene Wissen nicht durch Patente schützen, damit es die Investitionen hereinspielt? Und wenn das Nützlichkeitskalkül am Beginn des Lebens gestattet ist, warum sollte man es nicht auch an dessen Ende anstellen? Die einmal getroffene Fehlentscheidung zeugt laufend neue Unmenschlichkeit.

Da wir es bei dieser Entwicklung aber nicht mit Naturgesetzen, sondern mit Denkzwängen zu tun haben, hindert uns eigentlich nichts daran, den Kurs zu ändern und der Ethik den Stellenwert zu geben, der ihr zukommt: Verhalten zu steuern und nicht im nachhinein zu rechtfertigen.

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