7122554-1996_43_01.jpg
Digital In Arbeit

Ungeborene als Spielbälle

19451960198020002020

Nun sind sie also alle tot, die Achtlinge, die Mandy Allwood aus Sollhull in den englischen Westmid-lands austragen wollte -allerdings gegen eine beachtliche Stange Geld ...

19451960198020002020

Nun sind sie also alle tot, die Achtlinge, die Mandy Allwood aus Sollhull in den englischen Westmid-lands austragen wollte -allerdings gegen eine beachtliche Stange Geld ...

Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Story hatte sie um rund 17 Millionen Schilling an die Sonntagszeitung „News of the World” verkauft. Nachdem diese Vereinbarung im August weltweit Schlagzeilen gemacht hatte, ist vorige Woche auch die Beerdigung der Kinder als Medienrummel über die Bühne gegangen. In kleinen Särgen wurden sie publicitywirksam zu Grabe getragen. Schön, man hat sie wenigstens beerdigt - eine Form der Ehrerbietung, die ja den Millionen abgetriebenen Ungeborenen nicht zuteil wird.

Was mit den englischen Achtungen geschah, illustriert ebenso wie die im August in England erfolgte Vernichtung von 3.300 tiefgekühlten Embryonen, in welchem Maß ungeborene Kinder zu Spielbällen verschiedenster Interessen geworden sind. Enorme „Fortschritte” der Wissenschaft haben Alpträume zu Alltagsrealitäten werden lassen: Weltweit tausende tiefgekühlte, in der Betörte „erzeugte” Kinder ohne Chance je eingepflanzt zu werden, vorgeburtliche Diagnose verschiedenster Merkmale (insbesondere Geschlecht und Behinderungen) mit anschließender Abtreibung zur Beseitigung der unerwünschten Kinder, verbrauchende Forschung an Embryonen, Verwendung von „embryonalem Gewebe” für pharmazeutische Zwecke (etwa Gehirnzellen von zehn Föten zur Bekämpfung von Parkinson)...

1992 ging die Meldung um die Welt, an der Washington University sei es gelungen, Menschen zu „klonen”, also durch Teilung zu duplizieren. Dieses in der Tierzucht gängige Verfahren könnte nun beim Menschen die „Erzeugung” genetisch identischer Kopien ermöglichen. Dahinter steht die Idee, tiefgekühlte „Duplikate” im Embryonalstadium könnten einem Menschen später im Leben als Organlieferanten für Transplantationen dienen.

Mit der modernen Biotechnik läßt sich politisch einiges bewegen. So beschloß China ein Gesetz, „über den Gesundheitsschutz von Müttern und Säuglingen”, das die Tötung „abnormaler Föten” vorsieht und geistig Behinderten zu heiraten verbietet. Man darf sich durchaus an Methoden im Dritten Beich erinnert fühlen.

Unmenschlichkeiten aber nicht nur im fernen, kommunistischen China: Im Westen wird ähnliches zwar nicht verordnet, aber praktiziert. Präsident Bill Clintons Veto gegen das von der republikanischen Mehrheit im Capitol durchgesetzte Verbot der „partial-birth-abortion” (Abtreibung durch Teilgeburt) zeigt, welcher Horror zum westlichen Alltag gehört: Bei Schwangerschaften in der Spätphase (das Kind ist schon lebensfähig) wird eine Frühgeburt (meist nach diagnostizierter Behinderung) ausgelöst. Dabei soll das Kind zuerst mit den Füßen zur Welt kommen, aber nicht ganz. Der Kopf bleibt im Inneren der Gebärmutter. Man saugt das Gehirn ab und bringt das tote Kind zur Welt, noch kein Mord, „nur” eine Abtreibung!

Die Legalisierung der Abtreibung hat das ungeborene Kind entmenschlicht und ein Tor geöffnet, durch das vielfältige Interessen drängen. Sie bestimmen den weiteren, unmenschlichen Lauf der Dinge. Was wird wohl herauskommen, wenn die Interessen von Konzernen und Begierungen, die riesige Beträge in die Forschung gesteckt haben und Arbeitsplätze gefährdet sehen, der Erkenntnisdrang von Forschern, die Sensationslust der Medien, der Heilungswunsch von Schwerkranken (denen zum Teil ja wirklich geholfen werden kann) gegen die Menschenwürde des Üngeborenen, den nicht einmal das Strafrecht schützt, stehen?

Eine Welt, die die Nützlichkeit zum Maß aller Dinge macht, die das Leben als physikalisch-chemischen Prozeß mißversteht, ist dazu verurteilt, langsam aber sicher alle Barrieren zum Schutz der Humanität wegzuräumen. Die „Beseitigung unzeitgemäßer Tabus” hajten auch Menschenrechtserklärungen nicht auf, sie taten es übrigens auch nicht im Kommunismus unter Stalin und Breschnew. Die Menschenrechte lassen sich ja nach Bedarf uminterpretieren.

Was kann man nicht alles unter Berufung auf das Grundrecht der Freiheit der Wissenschaft tun! Da konnten etwa die Sexualforscher Masters und Johnson mit elektronischen Meßgeräten bewaffnet, sich kopulierende, menschliche Paare beobachten und „beachtenswerte Ergebnisse” publizieren oder Forscher unbefragt jahrelang zahllose US-Bürger unverantwortbaren Dosen radioaktiver Strahlung aussetzten ...

Wer von der vorstürmenden Wissenschaft die Beachtung der unveräußerlichen Menschenwürde des Ungeborenen einfordert, wirkt wie ein Fossil aus längst vergangener Zeit. Ich habe diese scheibchenweise Nutzbarmachung des Menschen zu lange mitbeobachtet, um mich in dieser Frage Illusionen hinzugeben.

Das Schicksal der „Bioethik-Konvention” des Europarates bestätigt diese Sorge. Am 26. September hat die parlamenta rische Versammlung für den umstrittenen Konventionsentwurf gestimmt. Er vermeidet Embryonen und Föten als Personen anzusprechen, verbietet deren Auslese nur nach dem Geschlecht und unterbindet auch nicht die verbrauchende Embryonenforschung. Damit gibt die Konvention, die internationale Maßstäbe setzen soll, den Interessen der Wissenschaft Vorrang vor jenen des Ungeborenen.

Zu hoffen ist, daß Vizekanzler Wolfgang Schüssel, Österreichs Vertreter bei der endgültigen Beschlußfassung im November, die strengeren Maßstäbe des in Österreich geltenden Bechts einmahnen wird, sind doch hierzulande wenigstens Experimente mit Ungeborenen verboten.

Wie dem auch sei: Ohne geistige Erneuerung, ohne allgemeine Bückbesinnung auf die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens von der ersten Phase seiner Existenz an wird sich die Zahl der Übergriffe mehren.

Das Leben muß wieder zum absoluten Tabu erklärt werden. „Du sollst nicht töten” ist eine in der Transzendenz verankerte Wegmarkierung, die man nicht überschreiten darf. Sie ist nicht begründungspflichtig, sondern unbedingt wegweisend. Sie hat unter den Menschenrechten Vorrang.

Der Pariser Kardinal Jean Marie Lustiger kennzeichnet die Situation so: „In der Auslage stellt man die Menschenrechte groß heraus. Das ist das offizielle Lied. Alle Welt pfeift es nach, sogar jene, die falsch singen oder lügen. Aber hinter dem Ladentisch, was findet man da? Das kalte Universum des beinharten Bechnens. Jede Handlung wird auf die Wirtschaft bezogen, die ganze Wirtschaft auf ihre nackten Zahlen und auf das weltweite Spiel der Börsenerträge. Diese Bech-nung schiebt alles andere beiseite.

Was aber ist dieser ,Best'? Menschen aus Fleisch und Blut, ihr Überleben, ihre familiäre Existenz, ihre Kultur, ihre Geschichte.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung