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Das Recht auf Leben ist das einfachste aller Menschenrechte

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„Das Recht auf Leben ist das einfachste aller Menschenrechte.” So sprach einmal kein Geringerer als der Friedensnobelpreisträger, Vorsitzende der SPD und ehemalige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt. Er hatte vollkommen recht. Nur schließt leider für viele seiner Parteigenossen dieses „einfachste aller Menschenrechte” das Lebensrecht für Ungeborene nicht ein, denn sie befürworten die Freigabe des Schwangerschaftsabbruches. In der weltweit angekurbelten Menschenrechtsdebatte, die nächstes Jahr, durch den 30. Jahrestag der UNO-Menschenrechtsdeklara- tion, neue Nahrung erhalten dürfte, wurde diese heikle Thematik bisher ausgeklammert. Das soll nun - zumindest in Österreich - anders werden. Dieser Tage begann in der Wiener Universität eine Wanderausstellung (sie soll im kommenden Jahr mit Woche für Woche wechselndem Standort in ganz Österreich gezeigt werden), die „Das Menschenrecht auf Leben” für die Ungeborenen propagiert.

Veranstalter sind der Soziale Arbeitskreis der Katholischen Hochschulgemeinde Wien und die Fraktion Theologie in der österreichischen Hochschülerschaft. Der Soziale Arbeitskreis machte heuer bereits am 11. Mai von sich reden, als er anläßlich der endgültigen Ablehnung des Volksbe-

gehrens der „Aktion Leben” eine „Denkschrift an die Mandatare der SPÖ” von der Besuchergalerie flattern ließ, die vor allem das Fehlen der geringfügigsten Kompromißbereitschaft seitens der sozialistischen Mandatare kritisierte und die Abgeordnete Offenbeck zitierte: „Daß nichts geändert wird, das ist ein Prestigestandpunkt.”

Besonders beklagten die Verfasser der von Dr. Alfred Racek und Agnes Schweighofer, den, zwei Hauptorganisatoren der angelaufenen Ausstellung, unterzeichneten Denkschrift, daß einige vom Arbeitskreis gemachte und bei einigem guten Willen für die Sozialisten durchaus akzeptable Vorschläge völlig ignoriert wurden:

• Anonyme statistische Erhebungen zum Schwangerschaftsabbruch,

• personelle und zeitliche Trennung von Beratung und Durchführung des Schwangerschaftsabbruches,

• Propagandaverbot für Abtreibung.

Aber der Kampf gegen die Abtreibung geht nun weiter. Muß weitergehen und mit allen legalen und demokratischen Mitteln geführt werden, weil es dabei nicht, wie die Befürworter des freiem Schwangerschaftsabbruches meinen oder zumindest behaupten, „nur um ein religiöses Gebot” oder „um eine Rückkehr zum Paragraphen 144”, sondern um ein grundlegendes Menschenrecht geht. Wer den Begriff „Menschenrechte” nur mit Dissidenten, Meinungsfreiheit oder dergleichen in Verbindung bringt, übersieht - mit oder ohne Absicht-, daß die 1948 erfolgte Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen in ihrem wesentlichsten Punkt auch in Österreich mißachtet wird.

Denn im Artikel 3 dieser Konvention heißt es eindeutig: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.” Und der Artikel 30 ergänzt: „Keine Bestimmung der vorliegenden Erklärung darf so ausgelegt werden, daß sich daraus für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht ergibt, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu setzen, welche auf die Vernichtung der in dieser Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten abzielen.”

Wer den naturwissenschaftlich völlig unhaltbaren Standpunkt vertritt, menschliches Leben beginne ausgerechnet 90 Tage nach der Empfängnis oder gar erst mit der Geburt, die Fristenlösung aber sei „human” („Lieber helfen, statt strafen”), sollte die Ausstellung, die bewußt schockieren will, nicht versäumen. Denn dort erfährt er durch Bilder, die keinen normalen Menschen unberührt lassen können, was Abtreibung wirklich bedeutet. „Positiv-Photos” zeigen geborene Kinder (darunter ein fröhliches behindertes Baby); ihnen werden als Kontrast detaillierte Beschreibungen der gängigsten Abtreibungsmethoden und entsprechendes Bildmaterial gegenübergestellt.

Den Befürwortern der legalisierten Abtreibung muß das Recht abgesprochen werden, vor diesen Bildern die Augen zu verschließen, sie ebenso nicht zur Kenntnis zu nehmen wie die derzeitige Abtreibungspraxis in Österreich und im speziellen in Wien,

die, da die Hauptbeteiligten üblicherweise schweigen, der Öffentlichkeit kaum transparent ist. Was bekannt wird, was ja auch nach dem Wunsch der aus dem Boden geschossenen „Abtreibungsagenturen” bekannt werden soll, sind deren Werbemaßnahmen, etwa Inserate in Zeitungen oder Rundschreiben an Ärzte mit der Bitte um Vermittlung abtreibungswilliger Frauen.

Daß massive Propaganda auch eine an sich gar nicht zur Abtreibung bereite Frau umstimmen kann (noch dazu während der psychischen und physischen Umstellung in den ersten Schwangerschaftsmonaten), ist seit Jahrzehnten bekannt. Daß die Fristenlösung auch eine bevölkerungspolitisch vollkommen verfehlte Maßnahme ist - man beachte nur die zusätzlichen Auswirkungen seit 1975 auf den schon bis dahin bedrohlichen Geburtenrückgang -, wird immer deutlicher.

Die Ausstellung vermeidet bewußt das Nennen von Zahlen, denn es geht um ein Prinzip. Offizielle Zahlen liegen bekanntlich auch gar nicht vor, die Schätzung von 65.000 Abtreibungen pro Jahr in Österreich (vom Fristenlösungsvorkämpfer und Chef der Semmelweis-Klinik in Wien, Univ.-Doz. Dr. Alfred Rockenschaub) ist umstritten. Aber es ist ein offenes Geheimnis, daß an einschlägigen Wiener Adressen pro Tag (einschließlich Samstag und Sonntag) bis zu 48 Abtreibungen vorgenommen werden. Welche „Umsätze” (an Menschenleben) da im Laufe eines Jahres zusammenkommen, kann man sich ausrechnen.

Gestützt auf leider weitgehend unbeweisbares Material - Beobachtungen und Aussagen von Personen, die unbedingt anonym bleiben wollen - richteten im Juni die Wiener ÖVP- Gemeinderäte Dr. Marilies Flemming und Gertrude Härtel an den zuständigen Stadtrat, Univ.-Prof. Dr. Alois Stacher, eine Anfrage über die

Schwangerschaftsabbrüche in den Krankenanstalten der Stadt Wien. Vor allem wollten sie wissen, ob in Wiener Beratungsstellen wirklich schon nach wenigen Minuten Abtreibungstermine vergeben werden. Stacher antwortete: „Nach Aussage aller zuständigen Stellen ist das nicht richtig.” Er bestritt auch, daß Abtreibungen - speziell in der Semmelweis-Klinik — ambulant vorgenommen würden und die Kosten für medizinisch nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche in den verschiedenen Wiener Gemeindespitälern unterschiedlich hoch seien.

Immerhin war in Erfahrung zu bringen, daß in den Krankenanstalten der Stadt Wien 1975 5041 und 1976 5597 Abtreibungen vorgenommen wurden, wobei nicht zwischen medizinisch indizierten und anderen statistisch unterschieden wurde - die Privatanstalten und Privatpraxen nicht gerechnet Da aber die medizinisch indizierten Fälle, die manche Ärzte heute großzügiger denn je bestätigen, auf Krankenschein erfolgen, die anderen dagegen nicht, erwägt Dr. Flemming eine weitere Anfrage, um eine statistische Aufschlüsselung zu erreichen.

Ob die anlaufende Kampagne Erfolge zeigt, ob sich vor allem die anderen für die Durchsetzung der Menschenrechte engagierten Gruppen hier anschließen werden, bleibt abzuwarten. Immerhin hat bereits ein namhafter Jurist, Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Waldstein aus Salzburg, seine Unterstützung zugesagt. Waldstein hatte bereits seinerzeit, als das deutsche Verfassungsgerich’t die Fristenlösung ablehnte, der österreichische Verfassungsgerichtshof bei ähnlicher Rechtslage aber umgekehrt entschied, heftige Kritik an diesem politischen Erkenntnis geübt: „Wozu im Parlament die Zweidrittelmehrheit erforderlich, aber nicht erreichbar ist, das wird im VfGH mit einfacher Mehrheit verfassungsrechtlich legitimiert. Damit ist der Weg offen für grundlegende Gesellschaftsverände- rüngen ohne den für die Veränderung der Grundwerte unserer Verfassung erforderlichen Konsens.”

Daß die Sozialisten mit der Fristenlösung einen Graben aufgerissen haben, steht fest. Daß sie vpn den Gegnern dieser Regelung, die diese als rechtspolitisch, gesundheitlich, ethisch und bevölkerungspolitisch völlig falsch ansehen, nicht das Zuschütten dieses Grabens verlangen können, müßte ihnen klar sein. Darum wird die Konfrontation weitergehen. Bis der umfassende Schutz des Lebens gesichert ist. Bis auch den Sozialisten bewußt ist, daß ein allgemein akzeptabler Slogan nicht „Helfen, statt strafen”, sondern „Helfen, statt abtreiben” lauten muß.

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