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Abtreibung: In 50 Jahren - Österreichs Bevölkerung fast halbiert?

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Bestürzende Prognosen nach drei Jahren Fristenlösung.

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Bestürzende Prognosen nach drei Jahren Fristenlösung.

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Spricht man über die „Grundwerte“ menschlichen Lebens und Zusammenlebens heute mehr als in den vergangenen Jahren, weil sie gefährdeter sind als früher? Man könnte es vermuten. Psychologen würden vielleicht daraufhinweisen, daß es da tiefe, unbewußte Zusammenhänge geben könnte. Jede Generation muß auch ihre eigenen Beziehungen zu den Grundwerten gewinnen. Auch in Österreich. Aber wird in diesem Lande nicht genug getan, um die Verwirklichung der Grundwerte zu gewährleisten? Manche Entwicklungen lassen befürchten, daß das nicht der Fall ist. Etwa die Frage der Fristenlösung, die zwar seit mehr als drei Jähren gesetzlich geregelt, jedoch in all ihrer Problematik heute weit davon entfernt ist, als gelöst betrachtet werden zu können. Eine „Reform“ des Gesetzes sollte bewirken, daß die Tötung der Ungeborenen legal, sauber, angstfrei und billig durchgeführt werden könnte.

Heute, drei Jahre nach der gesetzlich erlaubten Tötung Ungeborener, weiß man es genau: Die Fristenlösung war ein Fehlschlag und bleibt ein Fehlschlag. Obwohl von führenden Sprechern der Regierungspartei immer wieder und bei allen Gelegenheiten versprochen wurde, man werde entsprechende Maßnahmen setzen, um wenigstens die ärgsten Wunden, die das Gesetz schlug, zu versorgen, wurde - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - nichts unternommen, um die Härten der Fristenlösung zu beseitigen oder wenigstens zu mildern.

Da wurde zuerst eine Motivenuntersuchung über die Abtreibung versprochen. Es sollte untersucht werden, warum Frauen abtreiben lassen. Man hätte, wenn man die Gründe für die Abtreibung gekannt hätte, Frauen, die sich zur Tötung ihres Kindes entschlossen hatten, besser beraten und sie zu einer positiveren Sicht ihrer Probleme leiten können. Aber nichts derlei geschah: von einer Motivuntersuchung zur Fristenlösung sind wir heute ebenso weit entfernt wie vor drei Jahren.

Da wurden „flankierende Maßnahmen“ zur Fristenlösung versprochen: Man posaunte in die Öffentlichkeit hinaus, man werde künftig mehr Geld für Beratungsstellen abtreibungswilliger Frauen zur Verfügung stellen und eine wissenschaftliche Untersuchung über die gesundheitlichen Gefahren von Abtreibungen durchführen lassen. Wieder geschah nichts.

Die Unglaubwürdigkeit von Politikern wurde damit ebenso zum Symptom wie die mit sozialistischer Mehrheit im Parlament beschlossene Fristenlösung selbst: denn ein Gesetz, das die Tötung menschlichen Lebens bis zum 90. Tag nach der Empfängnis legalisiert, ist ein nicht übersehbares Zeichen allgemeiner Abwertung menschlichen Lebens, ein Zeichen für die Kinderfeindlichkeit der Gesellschaft, in der wir leben, und nicht zuletzt ein Zeichen für den Egoismus, der weite Schichten der Gesellschaft prägt, in der wir heute leben.

Das Gesetz über die Fristenlösung hat sich in der Praxis als völlig unbrauchbar erwiesen. Die SP-Regie-rung und ihre führenden Funktionäre scheuen jedoch noch immer vor einer Zurücknahme oder Novellierung des Gesetzes zurück. Und dies, obwohl uns immer zahlreichere und alarmierendere Meldungen erreichen, daß Frauen, die einmal abgetrieben haben, ihr Schuldgefühl nie mehr los werden, daß Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, aus Schuldgefühlen zu Alkoholikern werden. ,

Die Zahl der Abtreibungen konnte nach Aussagen namhafter Wissenschafter bis heute nicht gesenkt werden. Im Gegenteil, die Fakten sprechen ein deutliches Bild: Bekannt ist der Geburtenknick ab 1975, dem Jahr der Einführung der Fristenlösung in Österreich. 97.430 Geburten des Jahres 1974 stehen nur mehr 85.095 Geburten im Jahre 1977 gegenüber. In der österreichischen Bundeshauptstadt hat man heuer bereits mehr Abtreibungen als Geburten registriert. Eine geradezu unfaßbare statistische Aussage, die das ganze Ausmaß der bevölkerungspolitischen Auswirkungen der Legalisierung der Abtreibung deutlich macht.

Kürzlich stellte eine Gruppe von Demographen bei einer Tagung in Linz, an der Vertreter aus der BRD, Schweiz und Österreich teilnähmen, fest, daß in Österreich im Jahre 2030, wenn sich die Geburtenentwicklung nicht ändert, die Bevölkerungszahl von derzeit sieben Millionen Österreichern auf vier Millionen gesunken sein wird. Der Generationenkonflikt wird sich verschärfen - dann, wenn die Jungen von 2000 und 2030 die Pensionslasten der heute Aktiven oder noch in die Schule gehenden Menschen zahlen sollen.

Dabei geht der Trend - und es gibt keinen Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen - zu mehr Abtreibungen: Allein im ersten Quartal des Jahres 1978 wurden im Linzer Allgemeinen Krankenhaus 517 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, eine bisherige Höchstzahl, die eine Prognose von 2000 Abtreibungen allein für das laufende Jahr in diesem Krankenhaus zuläßt.

Eigentlich war es von vornherein klar: Die Devise „Schutz des Lebens durch Beratung“ mußte sich als Bumerang erweisen, wenn der abtreibungswillige Arzt selbst die abtreibungswillige Frau beraten kann. Beweise dafür sind die Abtreibungs-Gesellschaften, die aus der Tötung der Ungeborenen ein gut florierendes Geschäft gemacht haben, mit dem sie Millionen verdienen.

Mediziner, die der SPÖ nahestehen oder ihr angehören, haben ihre Bedenken gegen die derzeit praktizierte Form der Fristenlösung bereits laut und unüberhörbar geäußert. Geburtshelfer und Kinderärzte, Kindergärten und Schulen registrieren mit wachsender Besorgnis den alarmierenden Rückgang der Anzahl der Geburten. Dennoch findet von öffentlicher Hand keinerlei Aufklärung über die mittlerweile wissenschaftlich erhärtete Tatsache der körperlichen und geistigen Folgen einer Abtreibung für die Frau statt. Ebensowenig geht die Bundesregierung auf die immer wieder von Sozialarbeitern und echten Beratern gemachte Beobachtung ein, daß mit der Möglichkeit einer legalen Abtreibung der Druck der Gesellschaft auf schwangere Frauen, ihr Kind töten zu lassen, ins Unzumutbare gestiegen ist.

Noch nie stand eine Frau, die in einem Kreis lebt, der keine Kinder will, so unter Druck wie heute. Der Einfluß der kinderfeindlichen Gesellschaft auf die Frau ist groß wie nie zuvor.

Die Devise „Schutz des Lebens durch Beratung“ klang gut und schön. Wo blieb und bleibt aber der Schutz des Lebens für die Frau, die ihr Kind von der Hand eines jener Ärzte töten läßt, der selbst den hippokratischen Eid vergaß, den er einmal leistete? Eine Abtreibung könnte ohne echtes Risiko für die Frau nur in sterilen Operationsräumen von Fachärzten durchgeführt werden. Nach dem in Österreich geltenden Fristenlösungs-Gesetz kann heute jeder Arzt ungeborenes Leben töten. Psychische und physische Schäden, die Frauen erleiden, sind enorm.

Was können wir Christen aus dem Problemkreis „Fristenlösung“ lernen? Gesetze können in einer Demokratie nur durch die breite Willensübereinstimmung der Bevölkerung verwirklicht werden. Für uns Christen muß es daher gelten, jene moralischen Grundhaltungen, die in Österreich nie verlorengingen, sondern derzeit nur verschüttet sind, wieder zum gültigen Wertmaßstab zu machen: die Diskussion um die Grundwerte des Lebens und damit die Auseinandersetzung mit den Vertretern der Fristenlösung darf in unserem Land nie mehr abreißen.

Die Fristenlösung zerstört das Bewußtsein von der Schutzwürdigkeit des menschlichen Lebens. Wir müssen für eine neue Gesellschaft eintreten. Für eine menschliche Gesellschaft, die zum Leben ja sagt, eine Gesellschaft, in der das Kind nicht als Belastung, sondern als etwas Beglückendes und als Freude empfunden wird. Eine Gesellschaft, die Töten erlaubt, erklärt ihren Bankrott. Schwangerschaftsabbruch ist und bleibt Lebensabbruch, Tötung eines wachsenden Menschen. So kann man Probleme nicht lösen.

Der Autor ist Präsident der Katholischen Aktion Oberösterreichs.

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