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Wie ernst ist uns das Recht des Kindes?

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Im „Jahr des Kindes“, in dem sich eine UNO-De-klaration positiv mit den Rechten des Kindes beschäftigt, ist es nur billig und notwendig, der Viertelmillion Kinder zu gedenken, die in diesem Lande seit 1975 als Rechtlose aus unserer, ach so sozialen Gesellschaft verstoßen wurden, die als unerwünscht erklärten und deshalb abgetriebenen Kinder.

Es ist schlimm genug, daß es Abtreibung gibt, eine vom Gesetzgeber grundsätzliche Billigung der Abtreibung aber ist ein gesellschaftlicher Skandal. Seit 1. Jänner 1975 gibt es in unserem Rechtsstaat zweierlei Recht für ungeborene Kinder: ihren Schutz im Zivilrecht (z. B. im Erbschaftsrecht) und ihre Schutzlosigkeit in den ersten drei Lebensmonaten im Strafrecht. Diese Ungeheuerlichkeit wird dadurch nicht kleiner, daß der Verfassungsgerichtshof daran nichts auszusetzen hatte - im Gegenteil.

Die Situation im Lande wird auch dadurch nicht besser, daß man meint, man solle, nachdem das Gesetz der „Fristenlösung“ einmal existiert, um des lieben Friedens willen das Problem endlich ruhen lassen. Es darf nicht ruhen, wenn wir vor uns und den Kindern bestehen wollen, denn mit diesem Gesetz wird diesen Kindern schweres Unrecht zugefügt. '

Unerträglich ist es, daß die Beseitigung von täglich schätzungsweise 200 Kindern und mehr in einem Lande erfolgt, in dem mehrheitlich getaufte Mitchristen Verantwortung tragen. Nun ist es wohl richtig, daß fast eine Million wahlberechtigter Österreicher für die Erhaltung des Lebens dieser Kinder in einem Referendum ihr „Nein“ zu einem so ungerechten Gesetz, wie es die Fristenlösung ist, gesagt haben. Die sozialistische Regierungspartei hat aber dieser Willensäußerung nicht

Rechnung getragen - dieselbe Partei, die behauptet, daß auch in ihren Reihen mehrheitlich Christen seien und die religiösen Gefühle eines jeden von ihnen - so steht es in ihrem Parteiprogramm - geachtet würden.

Demnach hätten sich alle Mitchristen in der SPÖ für das Gesetz der Fristenlösung, d. h. gegen das Leben dieser Kinder ausgesprochen, was allerdings unwahrscheinlich ist - oder aber sie wurden von ihren Genossen im Parlament nicht mitvertreten, ihre Meinung mißachtet, da bei der entscheidenden Abstimmung alle SPÖ-Nationalräte für die Fristenlösung gestimmt haben.

Alle politischen Kräfte, die sich in den verschiedenen Ländern auf diese Weise gegen das Kind, gegen sein Recht zu leben, ausgesprochen haben, haben sich meiner Meinung nach eine schwere historische Schuld aufgeladen. Die Rechnung dafür wird ihnen von eben dieser Geschichte noch präsentiert werden. Auch uns, die wir nicht stark genug waren, diesen Kräften mit ausreichendem Erfolg zu widerstehen. So haben uns diese ungeborenen Kinder, die nichts anderes wollten, als weiterleben zu dürfen, demaskiert und beschämt und sie werden es weiter tun, bis wir zur Besinnung kommen.

Wenn im Vorfeld der Nationalratswahlen der Obmann der ÖVP - einer Partei, deren Nationalräte sich einstimmig gegen die Fristenlösung aussprachen - meinte, daß über die Beseitigung dieses Gesetzes in Zukunft nur eine Volksabstimmung entscheiden werde, dann hört sich dies zunächst als sehr plausibel an. Ich möchte jedoch zu bedenken geben, daß man ein Gesetz, das über das Sein oder Nichtsein Tausender Menschen entscheidet, nicht zum Gegenstand einer Volksabstimmung machen kann. Dagegen spricht auch nicht die eindeutige Ablehnung der Fristenlösung durch die Volksabstimmung der Eidgenossen.

Die politische und gesetzgeberische Entscheidung gegen die Fristenlösung muß aus der Gerechtigkeit gegenüber den Kindern, aus dem Staatsgrundrechtsgedanken und den Menschenrechten fallen, wonach jedes menschliche Leben Anspruch' auf den Schutz des Gesetzes hat - auch das des ungeborenen Kindes und auch dann, wenn es unerwünscht sein sollte.

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