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Nachdenken ist nie vergebens!

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Vielleicht ist das letzte Wort zum Volksbegehren der Aktion Leben noch nicht gesprochen, vielleicht wird das bestehende Gesetz zur Fristenlösung doch noch abgeändert. Abgeändert, aber wie? Daß die Strafbestimmungen nicht wieder eingeführt werden, wird niemand überraschen; alle sagen übrigens, es gehe ihnen gar nicht um Strafen. Aber ob Änderungen anderer Art den Befürwortern und Protagonisten der Aktion Leben genügen würden, weiß man nicht. Natürlich ist dies eine sehr ernste Angelegenheit, natürlich besteht die Gefahr, daß ein sehr beträchtlicher Teil unseres Volkes am Wert demokratischer Willensäußerungen, wie es ein Volksbegehren ist, zweifelt, wenn sich dadurch überhaupt nichts ändert, na türlich besteht die Gefahr, daß es zu einer Demokratieverdrossenheit, zu einer Staatsverdrossenheit, zu einem Aufleben autoritärer, faschistoider Vorstellungen kommen kann. Weil es solche Gefahren gibt, müssen die Christen, gerade solche, die sich als engagierte Christen bezeichnen oder bezeichnen lassęn, diesen Gefahren begegnen.

Das Volksbegehren war nicht nutzlos, die ganze Diskussion nicht in den Wind gesprochen, wenn es auch auf anderen Gebieten als ursprünglich erhofft fruchtbar geworden ist. Zum erstenmal hat sich die katholische Öffentlichkeit ausführlichst mit dem Problem der Abtreibung befaßt. Man mußte sich darüber Gedanken machen, wer abtreibt, warum abgetrie ben wird, wer angeklagt und wer bestraft wurde. Man mußte sich über das bisherige Gesetz und seine Durchführung Gedanken machen, auch über seine Vergeblichkeit und daß es schließlich nur arme Frauen waren, die da vor Gericht gestellt wurden. Man mußte sich darüber Gedanken machen, man hat darüber gesprochen, und zum erstenmal seit Jahrzehnten haben es viele Christen als Schande empfunden, wie dieses Problem bisher behandelt wurde. Es wurde ihnen klar, daß man diesem furchtbaren Problem nicht mit Paragraphen des Strafrechtes, sondern mit mehr Verständnis und vor allem mit mehr Hilfe begegnen müsse.

All das darf nicht vergebens gewesen sein, auch wenn es nicht zu dem gewünschten äußeren Erfolg geführt hat. Nachdenken ist niemals vergeblich! Daher darf es nicht abreißen, das Mithelfen nicht, aber auch nicht das Nachdenken. Nicht nach dem staatlichen Strafrecht zu rufen, ist unsere primäre Aufgabe, sondern unser Verhalten, unser Denken, unser Wollen und unser Handeln als Christen zu ändern. Nicht vom Staat etwas zu fordern, sondern uns selbst zu befragen, warum wir etwas tun oder warum wir etwas nicht tun und was wir selbst tun könnten. Daß eine wirksame Alternative zur Abtreibung nicht in frommen Sprüchen, sondern in der Empfängnisregelung besteht, weiß man zwar, aber wer traut sich das offen zu sagen, auch Rom gegenüber, wo man immer noch Empfängnisverhütung mit Abtreibung gleichstellt

Nein, das Volksbegehren war nicht umsonst und schon gar nicht die Diskussion. So wird auch die Diskussion um ein neues Scheidungsrecht nicht umsonst sein, wenn sie uns zwingt, die eigene Position nochmals zu durchdenken. Wichtiger, als mit dem Staat um Paragraphen zu streiten, wäre es doch, jungen Menschen begreiflich zu machen, warum sie heiraten sollten, wenn sie miteinander leben wollen. Denn das ist vielen von ihnen absolut nicht einsichtig. Liebe ja, aber warum Ehe? Wichtiger als eben durch internationale Verträge verbürgten Religionsunterricht als Geßlerhut aufzuhängen, vor dem sich jedermann in Österreich täglich zu verbeugen hat, wäre es doch, nach den Motiven zu fragen, die den Religionsunterricht für viele fragwürdig erscheinen lassen, zu fragen, warum der Glaube verdunstet, warum die meisten Kinder von zu Hause überhaupt nichts mehr an Glauben mitbekommen. Während wir uns in Positionskämpfen verheddern, verdorrt der Glaube; während wir zur Sammlung blasen und uns auf wirkliche oder vermeintliche Feinde einschießen, vertrocknet unsere Erde. Engagement ist gut - Nachdenken aber auch. Engagierte Christen sollten auch nachdenkliche Christen sein.

Die „Randbemerkungen eines engagierten Christen” geben die Meinung des Autors wieder. Sie muß sich nicht in jedem Fall mit der Linie der FURCHE decken.

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