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„Visier hinauf!”

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Vor kurzem wurde im Österreichischen Fernsehen eine Diskussion abgehalten, die sich mit dem Thema „Die Welt nach dem Konzil” befaßte. Zwei Tage später erschien in zwei Wiener Tageszeitungen eine gleichlautende kritische Stellungnahme zu dieser Sendung. Darin wurde erklärt, „die Feststellung, daß man heute von einer Annäherung zwischen Kirche und Kommunismus sprechen könne, sei ein deutlicher Fehlschuß”. Diese Stellungnahme, und das gibt ihr erst Gewicht, bezog sich ausdrücklich auf „maßgebliche katholische Kreise”.

Nun kann man zu diesem in Frage stehenden Forumgespräch im Fernsehen aus guten Gründen sehr kritisch Stellung nehmen. Man kann Kritik üben an der Diskussionsleitung, man kann Kritik üben an der vielleicht etwas einseitigen Auswahl der Diskussionsteilnehmer, man kann Kritik üben gewiß auch an vielem, was dort gesagt wurde. Eines aber kann man nicht, „eine Feststellung” als „eindeutigen Fehlschuß” bezeichnen, die niemand bei dieser Diskussion gemacht hat. Von keinem der Teilnehmer an diesem Forumgespräch wurde von einer „ideologischen Verständigung zwischen Kirche und Kommunismus” gesprochen. Im Gegenteil, eine ideologische Koexistenz zwischen Kirche und Kommunismus wurde eindeutig abgelehnt.

Es war ein Mißverständnis. Miß verständnisse können Vorkommen. Um sie aufzuklären, ist ja das Gespräch da. Mit wem aber sollte man in diesem konkreten Falle sprechen, wenn sich die Kritik auf „maßgebliche katholische Kreise” beruft? Wer sind diese maßgeblichen katholischen Kreise? Sie sind weder im kirchlichen Schematismus noch im Diözesankalender und auch nicht im Telefonbuch zu finden.

„Die maßgeblichen katholischen Kreise” sind eine der vielen katholischen Anonyma. Niemand kennt sie, niemand weiß, wer konkret damit gemeint ist, aber sie bilden heute noch immer einen Bestandteil der innerkatholischen Diskussion und Argumentation. Neben den „maßgeblichen katholischen Kreisen” gab es und gibt es die „zuständigen vatikanischen Kreise”, auf die sich jedes Gerücht, jede Zweckmeldung, jeder Versuchsballon aus Rom beruft. Da gibt es in Wien den „Stephansplatz”, geheimnisumwittert, mit dem operiert, spekuliert und intrigiert wird, und da sind schließlich „Wir Katholiken”, die, stolzgeschwellt oder erbittert, fordern und protestieren, Vorschläge machen oder Vorschläge ablehnen und sich zu dem und jenem äußern.

Wer sind das, „der Stephanspatz”, die „vatikanischen”, die „kirchlichen Kreise”? Darüber müßte man sich doch eigentlich klar werden, darüber sollten sich vor allem die Katholiken klar werden, denn sie geht es ja schließlich an. Dabei wollen wir vorerst außer acht lassen, daß diese Frage gerade vor Wahlzeiten eine besondere Aktualität erlangt, da erfahrungsgemäß auch dabei mit katholischen Anonyma operiert wird. Es mag für uns kein Trost und vor allem keine Ausrede sein, daß diese Flucht in die Anonymität sozusagen im Zug der Zeit liegt. Auch das Verstecken hinter einer kollektiven Führung ist nichts anderes als eine Flucht in die Anonymität.

Mit Anonyma kann man nicht diskutieren. Wer sich hinter einem Anonym versteckt, weicht dem Gespräch aus. Das Gespräch aber, der Dialog, das hat uns das Konzil gelehrt und auch gezeigt, ist die Grundlage jeder gesunden Weiterentwicklung, ist die Grundlage eines offenen Klimas. Wie wollen die Katholiken ein Gespräch mit der Welt führen, wenn sie nicht imstande sind, ein innerkatholisches Gespräch offen zu führen? Meinungen zu äußern kann nur dann ein fruchtbarer Beitrag zum innerkatholischen Dialog sein, wenn der, der seine Meinung äußert, sich offen deklariert.

Um an das oben erwähnte Beispiel anzuknüpfen: Jeder hat das Recht, eine Fernsehsendung zu kritisieren, und jeder Katholik hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich kritisch mit einer Fernsehsendung katholischer Thematik auseinanderzusetzen, wenn ihm etwas daran nicht paßt. Nur soll er dies bitte offen tun. Er soll sich nicht hinter „maßgeblichen katholischen Kreisen” verstecken, sondern soll sagen, mir, dem Katholiken N. N., gefällt dies oder das nicht, oder uns dieser katholischen Organisation oder diesem katholischen Verband. Dann wird man auch wieder mit ihm offen reden können. Nur dann lassen sich Mißverständnisse aufklären, nur dann kann aus Polemiken, aus Verdächtigungen und Anwürfen eine echte Diskussion werden. Und nur in einer Diskussion können sich Begriffe klären, nur dann kann Sich ein Mindestmaß gemeinsamer katholischer Auffassungen herausbilden.

Die katholische Publizistik in aller Welt hat seit Jahren einen Kampf geführt gegen die stereotype Phrase von den „zuständigen vatikanischen Kreisen”, in deren Namen so viel Unfug gestiftet wurde. Aber was man in Rom, wenngleich nicht immer mit Recht, entschuldigen konnte mit dem Hinweis auf eine gewiß vorhandene restriktive Pressepolitik des Vatikans, kann sich in Österreich auf keinerlei Entschuldigung berufen. Wir haben hier in Österreich, Gott sei Dank, müssen wir sagen, auch innerhalb der Kirche jenes Klima der Liberalität, das ein Verstecken hinter Anonyma nicht notwendig macht.

Das innerkatholische Gespräch kann wie jedes Gespräch nur in Freiheit und Offenheit gedeihen. Wenn wir die Freiheit, die wir besitzen, nicht dazu verwenden, offen miteinander zu reden, könnte es einmal dazu kommen, daß die mangelnde Offenheit auch die Freiheit gefährdet. Dann kann es dazu kommen, daß man vielleicht auch von „maßgeblichen katholischen Kreisen” sprechen muß, weil man es sich nicht leisten kann, offen zu reden, dann kann es dazu kommen, daß man nur andeutungsweise vom „Stephansplatz” spricht, weil man den Bischof nicht nennen kann, ohne ihn in Gefahr zu bringen. Dann kann es sein, daß wir nur flüstern können von „Wir Katholiken”, weil es zu riskant wäre, seinen eigenen Namen preiszugeben.

Heute ist es aber Gott sei Dank nicht so. Heute können wir offen miteinander reden. Heute können wir sagen: die „maßgebenden katholischen Kreise”? Wer ist das, bitte? Hinauf mit dem Visier!

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