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Religion ist keine Privatsache

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Eigentlich hätte ich nicht gedacht, daß man sich über die Rolle der Religion und der Kirchen in der Gesellschaft in Österreich noch einmal auseinandersetzen muß - und zwar um Schaden zu verhindern. Es ist das zweifelhafte Verdienst von Heide Schmidt, diese Frage politisch wieder aktualisiert zu haben. Leider ist man sich öffentlich zu wenig der Konsequenzen bewußt, ja ein ganz eigenartiges Medienklima fördert zwar die Auseinandersetzung um Glaube, Religion und Kirchen, geht aber angesichts der „Einschaltziffern-, Auflagen- und Seitenblickegesellschaft” an der Wirklichkeit vorbei.

Warum ist es so eigenartig, sich überhaupt darüber unterhalten zu müssen? Die These, daß Religion Privatsache sei, ist in der kommunistischen Wirklichkeit des Marxismus hinreichend abgehandelt worden und war Restandteil aller entsprechenden vom Marxismus beeinflußten Verfassungen. Die „Gott ist tot” -Philosophie hat eigentlich keine Anhänger mehr, wobei nicht gesagt ist, daß sich der Mensch nicht dafür entscheiden kann, daran kein Interesse zu haben, die Frage nach den letzten Dingen und dem Woher und Wohin als nicht für wichtig zu erachten und für sich eine Entscheidung zu treffen.

Es ist auch Frau Schmidt unbenommen, für sich persönlich eine Entscheidung zu treffen und aus der Kirche auszutreten; warum sie gerade den jetzigen Zeitpunkt der öffentlichen Diskussion um den Erzbischof von Wien gewählt hat, ist mir persönlich unverständlich. Wenn sie sich an historischen Persönlichkeiten der katholischen Kirche reiben wollte und eine Regründung für ihren Schritt gesucht hätte, hätte sie sich eher an den Ror-gia-Papst und ein paar andere Figuren halten sollen. Außerdem ist es eher peinlich, wenn auf diese Weise sichtbar wird, was Heide Schmidt bisher von Glaube, Religion und Kirche verstanden hat. Das soll man niemandem vorwerfen, wer aber Anspruch auf eine gewisse Intelligenz und ein Wissen erhebt, sollte doch selbstkritischer mit sich umgehen.

Ich verstehe auch nicht, warum diese Dinge in der Öffentlichkeit nicht richtig diskutiert werden. Auch die furche hat meines Erachtens hier in Befragung und Kommentar der Heide Schmidt versagt. Bei aller gegenwärtigen Schwäche der Kirche - von einem Blatt mit der Tradition der Furche darf man sich mehr Selbstbewußtsein und Überzeugungskraft erwarten.

Warum kann also in Österreich Religion nicht Privatsache und die christlichen Kirchen auf keinen Fall eine Anhäufung verschiedener Vereine sein? Man könnte nun oberflächlich argumentieren und darauf verweisen, daß wir in einer Landschaft leben, die historisch kulturell und ideell wesentlich vom Christentum geprägt ist. Einwand: die abnehmende Redeutung. Dagegen kann man allerdings sagen, daß selbst Gegner ihre Argumentation aus der Auseinandersetzung mit dem Christentum beziehen; daß Aufklärung, Menschenrechte und Demokratie nicht möglich gewesen wären ohne den bestimmenden Stellenwert des Menschen in der Schöpfungsgeschichte. Wer am Sinnfälligen haften bleibt, der sei auf den kulturellen Reitrag verwiesen, der deutlich sichtbar unsere Landschaft prägt - über Kirchen, Stifte, Dreifaltigkeitssäulen et cetera.

Es darf doch nachdenklich stimmen, wenn sich das Rild eines Dorfes, einer Stadt, ja Wiens, vom Mittelpunkt der Kirche her bestimmt. Das sind nicht museale Reste, sondern Zentren - gerade in einer Zeit, wo in anderen Teilen der Welt durch eine gerade nicht erfreuliche fundamentalistische Strömung Religion als ein kampfesorientiertes Politikum verstanden wird, sollten diese Zeichen nicht übersehen werden.

Es ist ja kein Zufall, daß etwa neben der Nationalbibliothek in Sarajewo gerade Kirchen und Moscheen beliebte Objekte militärischer Schießübungen sind. Nicht um die Treffsicherheit unter Reweis zu stellen, sondern um den Gegner kulturell zu treffen. So wie auch andere Symbolwerte (Rrücke von Mostar) Zielpunkte einer Zerstörungswut sind.

Der Angriff auf das Konkordat und die Rechtsstellung der Kirchen in Österreich hat zwar nicht diese Rruta-lität, aber schon eine grundsätzliche Redeutung. Wenn das Staatsgrundgesetz von 1867 die Existenz der Kirchen und Religionsgemeinschaften anerkennt, wenn eine vorbildliche Gesetzgebung zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Kirchen, aber auch etwa der Kultusgemeinde und des Islams, in Österreich zur guten kulturpolitischen Tradition zählen, dann darf man darüber nachdenken, warum Religion doch eine öffentliche Sache ist. Der Staat hat nämlich ein direktes Interesse an der Orientierungsfunktion der

Kirchen und Religionsgemeinschaften. Er weiß, daß durch deren Tätigkeit den Menschen Ordnungsgebäude fürs Leben vermittelt werden, die wieder die staatliche Aufgabe, eine Gemeinschaft nach Innen und Außen zu erhalten, erleichtern, denn ohne ein Minimum an Übereinstimmung und prinzipiellen Verhaltensweisen ist dies nicht möglich. Darin liegt die Begründung der Förderung für eine Demokratie und Republik heute, nicht etwa in einem längst vergangenen Naheverhältnis von Thron und Altar.

Da ist dann immer die Rede von den „Privilegien” - etwa der Finanzierung der Privatschulen, wobei dann noch der untaugliche Vergleich zu den Waldorfschulen gezogen wird. Zunächst einmal haben sich die privaten Schulerhalter mit Öffentlichkeitsrecht der österreichischen Schulgesetzgebung unterworfen, was die Rudolf-Steiner-Schulen aus gutem Grund nicht tun. Zum zweiten aber nehmen gerade diese Schulen heute angesichts der familiären Situation dem Staat Sorgen ab. Es muß ja einen Grund haben, warum es eine ungeheure Nachfrage gibt. Gerade in einer Zeit der „Ellbogengesellschaft” sollte man um jene Einrichtungen besorgt sein, die weniger von den Ellbogen als von der Nächstenliebe, der Caritas und dem Gemeinschaftssinn reden. Gerade in der Frage der Asylgesetzgebung undderRehandlungder Fremden und Gastarbeiter haben etwa Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht nur materiell, sondern auch ideell mehr geleistet, als es das ständige Gerede der Frau Schmidt in dieser Frage tut.

Ein wenig Polemik sei gestattet: Was ist das Liberale am Liberalen Forum? Der Rückgriff auf den Kirchenkampf des 19. Jahrhunderts? Oder eine nach der Reliebigkeit orientierte Orientierungslosigkeit, die versucht, im Medienzeitalter irgend ein Thema zu finden, das wieder bei bestimmten Journalisten Interesse erregt?

Es sei aber auch in eine andere Richtung polemisiert. Den Kirchen und Religionsgemeinschaften ist empfohlen, auf ihre öffentliche Rolle mehr zu

achten, sich damit auseinanderzusetzen und sich auch mehr Rechenschaft über ihre Wirksamkeit zu geben. Mit einer vorgebrachten Kritik hat man sich auseinanderzusetzen, auch mit der von Heide Schmidt. Die Auseinandersetzung verlangt aber nicht jene unsägliche Art der österreichischen politischen Kultur, über einen Konflikt hinwegzusteigen und achselzuckend zu meinen, daß es ohnehin nicht so arg sei. Es kann aber auch nicht Aufgabe der furche sein, solchen Ideen noch mehr Podium und Forum zu bieten. Wem nützt es, das Konkordat anzugreifen beziehungsweise es auch nicht entsprechend zu verteidigen? Der Rischofskonferenz wäre anzuempfehlen, sich nicht ständig nur mit inneren Angelegenheiten zu beschäftigen, sondern auch die formale Vertretung nach außen stärker in Anspruch zu nehmen.

Religion kann nicht Privatsache sein, sondern geht uns in ihrem Stellenwert allgemein an. Wer kann schon europäische Gesellschaft, Idee und Geschichte erklären, ohne Minimalkenntnisse von Glauben, Religion und Kirchen zu haben? Angesichts einer starken Inhaltsentleerung muß ohnehin schmerzlich festgestellt werden, daß allzu wenig junge Menschen sich noch mit diesen historischen Fundstellen unserer Gesellschaft beschäftigen. Ich habe viele Ratlose in europäischen Museen erlebt, die mit biblischen Darstellungen so gut wie nichts mehr anfangen können. Wie kann man aber dann noch europäische Kultur verstehen und gestalten wollen?

Hätte die Kritik der Frau Schmidt hier angesetzt, wäre ich ihr beigesprungen. Denn selbst meine geliebte, leidende und nicht gerade in ihrer stärksten Zeit lebende katholische Kirche hat bisher mehr für die Gemeinschaft der Österreicher getan und tut es täglich, als es selbst ein blühendes Liberales Forum könnte.

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