Keinen Staat mit Kirchen machen?

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Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften ist in Diskussion: Was für die Kirchen legitim und essenziell ist, wird von Gegnern als "Privilegien“ gebrandmarkt.

Das Gespräch moderierte Otto Friedrich

Die Debatte ist längst im Gang: Wie positioniert sich der Staat vis-à-vis den Religionen? Das aktuelle kirchenkritische Volksbegehren ist ein weiterer Ausdruck dieser Auseindersetzung. Eine FURCHE-Kontroverse zu diesem Thema.

Die Furche: Zur Osterzeit war heuer von Umfragen zu lesen: Ein neuer Papst ist da, Aufschwung für die Kirche!? Ist jetzt nicht gerade der falsche Zeitpunkt für das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien?

Eytan Reif: Das Timing kann man schwer beeinflussen. Man sollte diese Fragen losgelöst davon behandeln. Da gibt es die etwas ältere Gallup-Umfrage, nach der sich deutlich weniger als 50 Prozent der Österreicher als religiös bezeichnen. Das ist ein Faktum, das längst besprochen werden sollte. Das Thema Volksbegehren hat eine starke politische Komponente. Ich persönlich möchte gar nicht über Religion sprechen. Denn unser Anliegen ist primär ein politisches. Doch diese Komponente fehlt mir im Diskurs. Das Volksbegehren wird nicht massiv politisch unterstützt. Auf der anderen Seite wird die Anti-Volksbegehrens-Apologetik ausgerechnet von den Kirchen, genauer: hauptsächlich von der katholischen Kirche getragen. Das Volksbegehren ist aber in den Medien, und von daher ist der Zeitpunkt gut.

Die Furche: Frau Schweighofer, Sie arbeiten an der Katholisch-Theologischen Fakultät einer staatlichen Universität, und das Volksbegehren will diese abschaffen.

Teresa Schweighofer: Die Frage nach den Theologischen Fakultäten gibt es ja schon länger. Ich bin trotzdem froh, dass es sie gibt, weil ich darin einen möglichen Kritikraum sehe, der nicht direkt von der Kirche abhängt. Das gibt mir die Freiheit, darüber zu forschen, was wichtig ist. Zu Studien wie den zitierten: Es ist da sehr schwierig das Feld Religion in wissenschaftlich gute Items umzusetzen. Da gibt es viele Vorannahmen, die wenig offengelegt werden. Die Europäische Wertestudie etwa zeigt, dass christliche Religiosität abnimmt, aber bei Weitem nicht so dramatisch, wie Sie sagen …

Reif: … und da haben wir schon ein österreichisches Spezifikum: Das ist eigentlich eine EU-weite Studie, dessen österreichischer Teil vom VP-Innenministerium an Professor Zulehner delegiert wurde, der wiederum Vertreter einer Religionsgemeinschaft ist. So eine Studie hat an einer katholischen Fakultät aber nichts verloren. Zulehner unternimmt alles, um nicht sagen zu müssen, dass Religiosität zurückgeht, sondern er verwendet das Codewort "Verbuntung“.

Schweighofer: Auch andere Studien, etwa der Religionsmonitor, vertreten die These einer Pluralisierung von Religiosität!

Die Furche: Die Hauptlinie der Auseinandersetzung verläuft zwischen den Verfechtern des Volksbegehrens und der katholischen Kirche, aber dennoch richtet sich dieses gegen alle Religionsgemeinschaften an sich.

Bischof Michael Bünker: Es greift zu kurz, das als österreichisches Thema zu behandeln. Es geht um den europäischen, vielleicht sogar globalen Kontext und um die entscheidende Frage, wie moderne Verfassungsstaaten mit dem Phänomen Religion umgehen. Eine sensible Frage in ganz Europa, was man schon daran ablesen kann, dass zentrale Fragen im zum Umgang mit Religion mittlerweile vor allem in Straßburg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt werden. Natürlich ist die heutige Situation in Europa von der fortschreitenden Säkularisierung geprägt. Auch wenn die Menschen sich als religiös einstufen, verlieren die organisierten Religionen Mitglieder. Dazu kommt die zunehmende Pluralisierung von Religion bis hin zu dem, was Paul Zulehner die Verbuntung nennt. Und da ist die Grundfrage, welche Stellung die Religionen gegenüber dem Staat einnehmen. Darum geht es ja dem Volksbegehren. Für die evangelische Kirche, die nach dem jahrhundertelangen Herrscherwillen der Habsburger in diesem Land ja gar nicht mehr vertreten sein sollte, stellt die derzeitige religionsrechtliche Lage einen Freiheitsgewinn dar. Das Beispiel einer freien Kirche in einem freien Staat wurde gerade am Protestantengesetz 1961 durchexerziert. Für mich ist dieses viel mehr als das viel gescholtene Konkordat das Modell für das Orthodoxen- und das Orientalengesetz, auf das Israelitengesetz und das noch zu novellierende Islamgesetz. Diese quasivertraglich mit den Religionsgemeinschaften geschlossenen Regelungen sollte man nicht leichtfertig in Frage stellen. Mich erinnert das Volksbegehren auch in seinem österreichischen Binnenblick stark an den Kulturkampf des 19. Jahrhunderts.

Reif: Ich bewundere, wie die Bejahung der Sonderstellung von Religionen schleichend zum Minderheitenschutzprogramm wird: Einst reflektierte die Privilegierung eine Machtstellung der Mehrheit, nun werden aber Privilegien zunehmend mit dem Minderheitenschutz begründet. Man kann über einzelne Formulierungen des Volksbegehrens diskutieren. Aber das Grundanliegen, trifft schon einen Nerv, und diese Diskussion wurde über Jahrzehnte unterdrückt. Es handelt sich um einen Emanzipationsprozess von der Zivilgesellschaft, in dem die alten Verbündeten der Politik unter Druck kommen, und dazu zählen auch die Religionsgemeinschaften.

Die Furche: Diskussion ist aber immer gut …

Schweighofer: … aber sie soll sachlicher sein. Es geht um die Positionen, die Religionen im Staat haben sollen. Das führt zur Frage: Welche Werte vertreten wir im Staat? Was ist uns wichtig? Welche Rollen können und sollen Religionen haben? Auch bei der Privilegienfrage gibt es zwei Seiten: Entweder schaffe ich alle Privilegien ab oder ich eröffne anderen auch den Zugang zu diesen Möglichkeiten. Die Unterstützer des Volksbegehren meinen offenbar: Schaffen wir alles ab, was möglich ist. Aber Religionen bringen dem Staat auch etwas. Ich erhoffe mir von meiner Kirche - der neue Papst Franziskus ist da eine Ermutigung - den Einsatz für die, die keine Stimme haben, für die Modernisierungsverlierer usw. Da neben dem Staat eine zweite Stimme zu haben, die ein Global player mit einer guten Vernetzung ist, möchte ich nicht missen.

Reif: Das ist unter uns sicher konsensfähig. Aber ich weise schon darauf hin, dass dies alles zuallerletzt von jener Partei, die am meis-ten mit der Kirche in Verbindung gebracht wird, beachtet wird. Da frage ich mich schon, was in dieser Diskussion schief läuft. Was Sie ansprechen, befindet sich eher im Programm der SPÖ oder der Grünen. Mir kommt vor, dass Sie sich da nur die schönen Teile der Kirche heraussuchen. Die Religionsgemeinschaften werden in Österreich auch auf ideeller Ebene heftigst privilegiert - etwa in der Glaubensvermittlung: Die schaffen die Religionen gar nicht mehr allein! Wenn ich jetzt die staatliche Finanzierung des Religionsunterrichts oder die Kreuze aus den Kindergärten und Schulen wegdenke, dann ist die Glaubensvermittlung am Ende. Was sind das für Religionsgemeinschaften, die die Vermittlung an die nächste Generation nicht mehr aus eigener Kraft schaffen? Sie hängen an der Sauerstoffzufuhr des Staates. Wenn Sie sagen, die Kirche ist wichtig zur Bildung von Sozialkapital, stellt sich aber zwingend die Frage nach dem Preis. Was der neue Papst zur Armut sagt, finde ich richtig. Aber solche Wohlfühlbotschaften begründen keineswegs, dass ich als Steuerzahler den Religionen die Sauerstoffzufuhr finanziere.

Schweighofer: Es mir wichtig, die katholische Kirche als zusätzlichen Player einzubringen, der nicht auf Wahlergebnisse schielen muss. Die katholische Kirche würde auch ohne diese Sauerstoffzufuhr die Glaubensweitergabe schaffen. Aber ich erlebe auch, dass der Religionsunterricht in den Schulen Themen und Fragen offenhält, ja im derzeitigen Schulsystem oft der einzige ist, der Pluralitätsfähigkeit vermitteln kann …

Reif: … aber das ist nicht seine Aufgabe!

Bünker: Kirche und Staat sind in Österreich institutionell getrennt. Das entspricht ganz auch der evangelischen Tradition. Aber alle europäischen Staaten finden die Religion als Phänomen vor, der Umgang damit ist unterschiedlich. In Österreich gibt es ein kooperatives Modell der Verhältnisbestimmung, das heißt, der Staat ist der Meinung: Ich mache nicht alles selbst. Da kritisiere ich den Unterton des Volksbegehrens, bei dem man den Eindruck haben kann, da sollte überhaupt niemand mehr etwas machen, was Staatsaufgabe sein könnte - im sozialen und kulturellen Bereich, bei der Bildung ... Es geht darum, die Selbstorganisationsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger zu nutzen. Und die sind eben auch religiös geprägt. Sie nehmen die-se Prägung als Ausdruck der Religionsfreiheit auch dadurch wahr, dass sie diese öffentlich und gemeinsam umsetzen wollen. Das ist unstrittig und europäischer Menschenrechtsstandard. Auch den Gegensatz von Kirchen und Zivilgesellschaft hinterfrage ich. Die Kirchen agieren vollkommen so wie andere zivilgesellschaftliche Organisationen. Und der moderne Verfassungsstaat ist gut beraten, diese selbstorganisierten, selbstbestimmten sich zivilgesellschaftlich äußernden Beteiligungsformen seiner Bürgerinnen und Bürger nicht zu privatisieren. Außerdem vertritt der Protestantismus, soweit ich dafür stehe, keinen religiösen Fundamentalismus. Aber genauso möchte ich in dieser Diskussion davor warnen, dass so etwas wie ein "Aufklärungsfundamentalismus“, wie Jürgen Habermas formuliert, entsteht. Manchmal hat man den Eindruck, es geht darum, die religiöse Geprägtheit von Menschen überhaupt zu negieren. Diese Grundtendenz ist ein falsches Signal. Aber wenn nun das Volksbegehren zu neuen gesetzlichen Regelungen führen will: Wie sollen diese ausschauen? Das bisherige religionsrechtliche System soll abgeschafft werden? Was tritt an seine Stelle?

Reif: Volksbegehren sind in Österreich grundsätzlich nicht erfolgreich, wenn man sie an den nominellen Zielen misst.

Bünker: Warum machen Sie dann eines?

Reif: Weil es den öffentlichen Diskurs fördert.

Bünker: Aber den doch gerade nicht! Wir reden darüber, aber nicht die Politiker …

Reif: … aber man muss realistisch sein: Kein Gesetz in Österreich wird durch ein erfolgreiches Volksbegehren abgeändert. Ich finde es auch völlig deplatziert, dass die Kirchen in Österreich Kritik am Volksbegehren äußern. Dass sollte eigentlich die politische Religionspartei, also die ÖVP, tun.

Bünker: Ich finde vor allem den Rückgriff aufs Konkordat ganz unglücklich. Nicht wegen des Konkordats, sondern wegen der Assoziation: Das ist ein Kind des Austrofaschismus. Wir wissen alle, das ist ein historischer Geburtsfehler. Aber die umgekehrte Assoziation, nämlich die Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens, ist Nazi-Ideologie gewesen! Wir müssen das Abarbeiten an der österreichischen Geschichte so gestalten, dass wir wirklich die heutigen Fragen besprechen. Präsident Oskar Deutsch meint etwa, für die Israelitische Kultusgemeinde ist das Volksbegehren existenzbedrohend. Das geht es nicht um ein paar Steuer-Euro von Ihnen, die vielleicht gegen Ihren Willen verwendet werden. Wenn die Kultusgemeinde ihre Schulen oder Altersheime selber finanzieren müsste, wäre es ganz schwierig, das Leben der Gemeinde fortzuführen.

Reif: Auch ich bin gegen diesen Konkordatsfetischismus. Man sollte im Zuge der Gesetzgebung das Konkordat weitgehend ignorieren. Zum zweiten Thema merke ich nur an: Der Staat Österreich verfügt über Instrumentarien, um mit Minderheiten und Volksgruppen umzugehen. Das könnte er gegenüber der Israelitischen Kultusgemeinde anwenden - und sie würde weiter florieren dazu muss man nicht Religionsgemeinschaften grundsätzlich privilegieren.

Die Furche: Was sollen die Kirchen nun tun?

Bünker: Dass die Religion in Diskussion gerät, tut ihr auch selber gut. Zur positiven Einstellung zum modernen Verfassungsstaat und zum Zusammenleben mit einer starken Zivilgesellschaft wollen die Evangelischen weiter ihren Beitrag leisten.

Schweighofer: Auch ich glaube, dass es der Kirche nur gut tut, sich selbst in diese Diskussion hineinzustellen. Es muss aber auch eine grundlegende Antwort gefunden werden, wofür der Staat da ist, was er selbst regeln muss, was er auch auslagern kann und welche Mitspieler er braucht.

Die Diskutanten

Teresa Schweighofer

Die gebürtige Weizerin (Stmk.) studierte an der Universität Graz katholische Religionspädagogik. Seit 2012 ist sie als Universitätsassistentin am Institut für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien tätig.

Michael Bünker

Seit 2008 leitet der gebürtige Kärntner die Evangelische Kirche A.B. als Bischof. Außerdem ist er Generalsekretär der Gemeinschaft Europäischer Kirchen, der beinahe alle lutherischen, reformierten und methodistischen Kirchen Europas angehören.

Eytan Reif

Der in Ramat Gan (Israel) Geborene kam 1992 nach Österreich, um Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte zu studieren. Er ist Vorstandsmitglied der von ihm mitgegründeten laizistischen Initiative von "Religion ist Privatsache“.

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