Debatte um das Absolute

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Der Theologe Michael Hölzl und der Atheist Niko Alm über Religion im öffentlichen Raum, | die Notwendigkeit eines Religionsunterrichts sowie über gute und schlechte Theologie.

Die Gruppe der Konfessionslosen wird auch in Österreich größer und sichtbarer. Einzelne Vertreter machen immer öfter ihren Standpunkt klar und kritisieren die "hinkende Trennung" von Staat und Kirche. Für viele Theologen ist dies ein weiteres Indiz dafür, dass die Religion wiederkehrt.

DIE FURCHE: Herr Hölzl, Sie forschen u. a. zur "neuen Sichtbarkeit" von Religion. Helfen Sie uns auf die Sprünge: Erleben wir aktuell eine Wiederkehr der Religion oder eine Wiederkehr des Atheismus?

Michael Hölzl: Dass Religion wieder ein öffentliches Thema ist, sieht jeder, der die Zeitung aufschlägt. Ich unterscheide da aber jene, die daraus schließen, dass Religion in ihrer bisherigen Form tatsächlich wieder erstarkt. Auf der anderen Seite gibt es jene, die sagen, Religion ist zurückgekehrt, aber sie hat sich stark verändert.

DIE FURCHE: Was genau hat sich verändert?

Hölzl: Vor allem der Institutionenbegriff. Früher war man beispielsweise Parteimitglied, heute macht man auf Facebook spontan Solidaritätsbekundungen. Es ist flexibler, flüssiger geworden und weniger starr. Das gilt auch für die Religion. Sie taucht in einer neuen, aber veränderten Form auf. Die Säkularisierung war da ein Motor, der Religion nicht ausgelöscht, sondern verändert hat.

DIE FURCHE: Herr Alm, Sie sind Sprecher der "Laizismus-Initiative" und zugleich bekennender Atheist. Worum geht es in Ihrer Kampagne - um Atheismus oder Laizismus?

Niko Alm: Unser Gegner ist der Staat, nicht der Gläubige, insofern geht alles, was wir tun, auch ohne Atheismus. Wir kämpfen für die Gleichstellung. Wir haben ja in Österreich immer noch keine ordentliche Trennung von Staat und Kirche. Es gibt 14 staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften, und diese verfügen über gewisse Privilegien - zum Nachteil jener, die keiner Religion angehören.

DIE FURCHE: Diese hinkende Trennung von Staat und Kirche hat ja eine historische Wurzel, man dankt damit den Kirchen und Religionsgemeinschaften auch etwas.

Alm: Aber sie ist nicht mehr relevant und daher möchte ich sie kappen. Nur weil etwas schon lange besteht, heißt es nicht, dass es richtig ist.

Hölzl: Was heißt das konkret? Zielen Sie auf eine Verfassungsänderung ab oder geht es um eine Art Kulturrevolution?

Alm: Ein Revolutionär bin ich sicher nicht. Revolution ist nie gut, Evolution ist mir lieber. Wir verfolgen ein langfristiges Ziel, am Ende wollen wir eine neue rechtliche Situation - und dazu müssen wir dann auch über die Verfassung reden. Mit der Buskampagne wollten wir z. B. ausloten, wie weit man in der Öffentlichkeit in Österreich gehen kann. Und wir haben gesehen: Es haben sich kaum Menschen darüber aufgeregt - anders als es das mediale Echo suggeriert hat.

Hölzl: Der Skandal wäre größer gewesen, wenn Sie die Staatsoper zugesperrt hätten ?

Alm: Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass eine Ungleichheit besteht. Ein zweiter Schritt wäre nun, dass sich die Leute als Konfessionslose "outen". Immerhin machen wir 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung in Österreich aus.

Hölzl: Aber halten wir die Dinge doch auseinander. Auf der einen Seite geht es um Kritik an der Institution Kirche und das vertraglich im Konkordat geregelte Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Das kann man als unfair betrachten und als Benachteiligung für andere Gruppen. Aber das hat ja mit Atheismus absolut nichts zu tun.

Alm: An der Wurzel schon, da aus dem Gottesglauben ein ganzes kirchliches Rechtssystem abgeleitet wurde, das innerhalb eines staatlichen Rechtssystems steht. Diese treten aber in Konkurrenz zueinander und es ist die Pflicht des Staates, das andere System in seine Schranken zu weisen.

DIE FURCHE: Ein klassisches Argument des Atheismus ist der Verweis auf das Gewaltpotenzial, das in Religion steckt.

Alm: So weit würde ich gar nicht gehen. Ich würde aber sagen, dass Gewalt eine Folge der Teilung der Menschen ist, an der Religion allerdings teilhat. Das sieht man ja schon im Religionsunterricht, wo Kinder separiert werden. Daher sind wir auch gegen einen konfessionellen und für einen konfessionsübergreifenden Unterricht für Kinder bis 14, z. B. als "Religionen- und Ethik-Unterricht". Dann können sich die Kinder immer noch entscheiden, ob sie konfessionellen Religionsunterricht wollen oder nicht.

Hölzl: Ich glaube, da gibt es einen Fehler in Ihrem Vorschlag. Es führt zu nichts, wenn ich etwa meine Tochter jetzt nicht taufen lasse oder in den Religionsunterricht schicke, sondern sie erst später frage, welche Religion sie gerne hätte. Natürlich bleibt diese Entscheidung durch uns Eltern eine Art Gewaltakt. Aber gerade im Prozess des Erwachsenwerdens kann sich das Kind dann wenigstens bewusst gegen etwas stellen.

Alm: Ich glaube, sie überinterpretieren die Kampagne. Sie richtet sich gegen den Staat, dessen Aufgabe es wirklich nicht ist, religiöse Erziehung in Schulen angedeihen zu lassen.

Hölzl: Sehen sie einen Staat, der diese Frage vorbildlich löst?

Alm: Ich denke, Großbritannien macht das gut. Gibt es da nicht einen überkonfessionellen Unterricht?

Hölzl: Ja, den gibt es. Aber es gibt auch eine Staatskirche mit bestimmten Privilegien. England ist ein interessantes Beispiel, weil es den fortgeschrittensten Multikulturalismus bietet, was aus der Commonwealth-Geschichte resultiert. Allerdings hat nach den Terrorattacken von 2007 eine intensive Debatte über dieses Modell begonnen. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, geht es Ihnen um die Forderung nach einem besseren Unterricht und "bessere Theologie"?

Alm: Ja, denn ein Kritikpunkt der Eltern, die ihre Kinder religionsfrei erziehen wollen, lautet, dass ihren Kindern dadurch vieles an religiösem Faktenwissen fehlt, weil das weder im Geschichtsunterricht noch sonst irgendwo vermittelt wird. Das kann aber nicht die Lösung sein, dass wir die alle in den konfessionellen Religionsunterricht stecken. Deswegen die Forderung nach Ethik- und Religionsunterricht - aber eben nicht in einer indoktrinierenden Art und Weise.

Hölzl: Theoretisch hat dieser Gedanke etwas für sich, vermutlich wird es sich praktisch spießen. Und zwar weil Religionen einen Absolutheitsanspruch stellen. Religion setzt existenziell an, da gibt es keine Wahl.

Alm: Danke für diesen Einwurf. Ich sehe das genauso, dass es daran scheitern wird. Daher auch mein Hinweis: Wenn dieser Absolutheitsanspruch unhinterfragt gestellt wird, dann ist er in der Schule fehl am Platz.

Hölzl: Dennoch möchte ich darauf beharren, dass Religionsunterricht an öffentlichen Schulen aufrecht bleibt - denn gefährlich wird Religion dann, wenn man sie zur Unsichtbarkeit verdammt oder etwa in Sonntagsschulen privatisiert.

DIE FURCHE: Außerdem wird Religionsunterricht in der Schule ja auch staatlich kontrolliert.

Alm: Theoretisch ja, praktisch aber nicht.

Hölzl: Wenn Sie ganz konsequent wären, müssten sie eigentlich dafür sein, alle religiösen Symbole - angefangen beim Stephansdom - aus der Öffentlichkeit zu verbannen.

Alm: Nein, das will niemand. Das ist eine bösartige Unterstellung. Keiner will Kirchen niederbrennen. Natürlich bin ich nicht der Meinung, dass das Recht auf freie Religionsausübung eingeschränkt werden sollte. Und ich halt auch das Glockengebimmel aus, das sind Kleinigkeiten. Ich respektiere auch die große religiöse Tradition, aber das ganze sollte insofern privat sein, als öffentliche Institutionen da herausgenommen sind.

DIE FURCHE: Um an dieser Stelle kurz einzuhaken: Was einen Richard Dawkins besonders erregt, ist die Situation in den USA, wo Sie genau dies haben: eine prinzipiell ins Private gedrängte Religiosität, die aber - mit privaten Mitteln üppig ausgestattet - aus dem privaten Raum heraus starken Einfluss auf Politik nimmt. Ist da nicht das österreichische kooperative Verhältnis von Staat und Kirche sehr viel transparenter und besser zu kontrollieren?

Alm: Was die USA als Trennung von Kirche und Staat betreiben, ist kontraproduktiv in genau der beschriebenen Art und Weise. Und gegen das kooperative Modell ist ja auch gar nichts zu sagen. Aber Kooperation und Privilegien sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Einmal hat ein bekannter Katholik zu mir gesagt: Wir brauchen gar keinen politischen Einfluss, wir als katholische Politiker wissen eh, wie wir zu handeln haben. Der Ansatz müsste doch genügen aus der Perspektive der Kirche.

DIE FURCHE: Greifen wir noch einmal das existenzielle Moment von Religion auf. Wenn Sie von sich sagen, einen durchaus interessanten Religionsunterricht genossen zu haben, fragt man sich doch, ob es einen "biografischen Knacks" gegeben hat ?

Alm: Die Frage wird oft gestellt. Tatsächlich ist gar nichts passiert. Ich habe nie wirklich geglaubt, weder an Kreation noch an Intervention, schon als Kind nicht. Das hat mich nie weiter gestört, daher bin ich dann auch aus der Kirche ausgetreten. Gewachsen ist aber eine Unzufriedenheit, denn ich habe gesehen, dass diese Institution so viel Einfluss in unserem Land hat. Und dass sie eine Sonderstellung genießt, die mir zuwider ist.

DIE FURCHE: Wie gehen Sie dann mit jenen existenziellen Situationen etwa von Leidenserfahrungen um, die für viele Menschen eine religiöse Dimension bedeuten?

Alm: Ich habe das Glück, dass ich noch nicht in der Situation war, aber ich würde sagen, es gibt genauso auch humanistische Institutionen, die einem in diesen Situationen Hilfe bieten können. Ich habe ein naturalistisches Weltbild, und da sehe ich Glauben nicht als Lösung des Leidensproblems. Aber ich verstehe auch, wenn Menschen da religiös reagieren. Leute glauben ja auch an Homöopathie; dennoch wirkt das Zeug nicht.

Hölzl: Das existenzielle Moment des Glaubens tritt für mich vor allem in Form radikaler Anfechtung in Erscheinung. Das ist übrigens ein starker Traditionsstrang, der die großen Mystiker und Heiligen ebenso betraf wie etwa Mutter Teresa. Sie alle kannten Erfahrungen der Bestreitung. Die ganze Tradition der Religionskritik von Feuerbach an hat daher seine Berechtigung. Denn sie zeigt: Man muss durch diese Kritik hindurchgehen, dann kommt man zu einem geläuterten Begriff - und das meine ich mit "besserer Theologie".

Alm: Aber wie steht es etwa um den Islam? Gibt es da Platz für Religionskritik und Zweifel?

Hölzl: Ja, muss man nur den Mystiker Rumi lesen. Der Islam wird bei uns immer so interpretiert, als wäre er monolithisch, ist er aber überhaupt nicht.

Alm: Aber schlägt sich das irgendwo in der Praxis nieder?

Hölzl: Natürlich, das Problem ist nur, dass wir medial vermittelt eher die Probleme sehen - aber diese repräsentieren nicht die Majorität. Wenn das negative Bild tatsächlich stimmen würde, würde unser Zusammenleben ja gar nicht mehr funktionieren.

Alm: Aber trotzdem gibt es anscheinend im Islam keinen Mechanismus, der die Gewalt hintan halten kann.

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