Ist die Wahrheit eine GEWALTLOSE MACHT?

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Wissenschaft, Ideologie und Politik - das ist eine heikle Mischung, vor allem in Wahlkampfzeiten. Ein Gastkommentar anlässlich der umstrittenen Studie über "islamische Kindergärten" in Wien.

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Wissenschaft, Ideologie und Politik - das ist eine heikle Mischung, vor allem in Wahlkampfzeiten. Ein Gastkommentar anlässlich der umstrittenen Studie über "islamische Kindergärten" in Wien.

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Die befleckte Wissenschaft

Seit Monaten erhitzt die Studie zu "islamischen Kindergärten" in Wien die Gemüter. Integrationsminister Sebastian Kurz wollte sogar alle Einrichtungen schließen, nun wird seinen Mitarbeitern Studienfälschung vorgeworfen. Dahinter stecken zwei brennende Fragen: Wie unabhängig kann bzw. muss Wissenschaft sein? Und welche Probleme gibt es in der muslimischen Community tatsächlich?

Redaktion: D. Helmberger, M. Tauss

Es war ein Sturm der Entrüstung, der sich vergangene Woche Bahn brach. Laut der Wiener Stadtzeitung Falter sollten gewisse Teile jener Studie über "Islamische Kindergärten", die der Wiener Religionspädagoge Ednan Aslan am Institut für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien erstellt hatte, im Integrationsministerium von Sebastian Kurz (das den Auftrag vergeben hatte) umgeschrieben worden sein - und zwar zulasten der untersuchten Institutionen. Dass sich in einem solchen ministeriellen Verhalten - offenbar gedeckt durch den akademischen Leiter der Studie - die übliche arrogante Erwartungshaltung des politischen Auftraggebers widerspiegelt, ist offensichtlich: Wer bezahlt, darf erwarten, dass man seine Vorurteile bestätigt, besonders in politisch sensiblen Zeiten, wie es jene vor Wahlen naturgemäß sind.

Bedenkliche Tendenzen

Der Wiener Bürgermeister sprach gar von Fälschung. Dem muss man entgegenhalten, dass die Studie insgesamt eine bedenkliche Tendenz zur Indoktrination auch im staatlich geförderten Kindergartenbereich für muslimische Kinder aufzeigt - und diese Tendenz lässt sich nicht wegdiskutieren. Hat also die Wissenschaft letztlich im Sinne unseres liberaldemokratischen Gemeinwesens einen Sachverhalt herausgearbeitet, der von den linken Kräften unseres Landes gerne lange Zeit überspielt wurde? Und hat sie insofern, als empirisch wertfrei operierende Institution, nicht dazu beigetragen, eine bedenkliche, weil gegen unsere Grundwerte gerichtete Tendenz in einem Segment unserer Gesellschaft aufzuzeigen? Ja.

Und doch auch wieder, mit Vorbehalt gesagt: Nein. Akademiker tun sich oft schwer damit, richtig einzuschätzen, in welchem Gesamtkontext - moralisch, politisch, ökonomisch, technologisch - ihre grundsätzlich untadeligen Aussagen Wirkung entfalten.

Wobei es nicht der schlechteste Ratschlag wäre, dass sich die Wissenschaft gegenüber der Politik "neutral" verhalten sollte -aber dies auch nur insoweit, als die Politik es unterlässt, die Wissenschaft zu instrumentalisieren. Wissenschaft ist nicht Ideologiekritik. Denn jede Kritik am Ideologischen muss, sofern keine Wahrheitsfragen im Spiel sind, die sich objektiv klären lassen, ihrerseits Werte in Stellung bringen, die keine streng rationale Lösung zulassen.

Der Kulturverlust der "Gegenseite"

Die Studie, auf die sich nun der bejubelte Führer der Sebastian-Kurz-Partei, nämlich Sebastian Kurz, beruft, um seine harte Linie in der sogenannten Integrationsfrage zu unterbauen, wird jedenfalls politisch "kontextualisiert", ob ihre Mitarbeiter dies wollen oder nicht. Sie ist ein Stein in jenem Mosaik aus Aversionen, Verdächtigungen und Befürchtungen, denen die Muslime in Österreich immer stärker unterliegen.

Offiziell geht es dabei um lauter Probleme, die man nicht einfach wegschieben kann. Immigranten und Asylwerber müssen sich den Prinzipien, die unsere Verfassung, unser bürgerliches Recht und unsere aufgeklärte Sicht der Welt kennzeichnen, "anpassen", wozu selbstverständlich das Erlernen der deutschen Sprache gehört. Schön und gut. Aber wir unsererseits fragen uns kaum noch, wie viel an Kulturverlust wir der "Gegenseite" - und die muslimische Kommunität wird bereits als ein undifferenziertes Gegenüber verbucht -abverlangen dürfen.

Wir sollten, unserem eigenen weltoffenen, kulturpluralistischen Verständnis zufolge (an dem wir immer weniger Gefallen finden), den Angehörigen anderer Kulturen nicht mehr Anpassung an unsere Kultur abverlangen, als, bei vorgegebener und verbindlicher Rechtslage, mit der Selbstachtung des Menschen vereinbar ist. In Österreich und diversen EU-Staaten gibt es zurzeit Diskussionen, die auf eine achtungslose Weise geführt werden, beispielsweise wenn es um Kleidungsvorschriften, Gebetsrituale, Ess-Sitten und diverse religiös fundierte, kulturell tief eingewurzelte Gewohnheiten geht. Da ich an der Universität lehre, treffe ich häufig auf Studentinnen mit einem Kopftuch - und finde es degoutant, mit welcher Überheblichkeit in meinem Land das Kopftuchverbot da und dort gefordert wird.

Solche Diskussionen machen aus Mädchen und Frauen Personen, die man scheel anschaut und nicht mag. Sich scheinbar harmlos zu geben und zu sagen, hier fände ganz und gar keine Negativetikettierung statt, ist nur ein Vorwand, um - auf der einen Seite - den Anpassungsdruck zu erhöhen, während auf der anderen Seite, in den sozialen Netzwerken, immer mehr gegen alles Muslimische gehetzt wird. Man bezieht aus der Demütigung des Anderen - der andere jetzt großgeschrieben - eine Befriedigung, die leicht ins Sadistische changiert.

Damit bin ich wieder zurück bei dem Verhältnis von Wissenschaft, Ideologie und Politik. Wenn sich Wissenschaftler in politisch hochsensiblen, das Gemeinwohl betreffenden ideologischen Angelegenheiten für Studien anwerben lassen, dann ist Folgendes zu bedenken: Den Auftraggebern geht es oft gar nicht um diese eine spezielle Studie, sondern um die Erzeugung eines Gesamtklimas. Darin fiele es dann leicht, eine bestimmte Partei, Gesinnungsgemeinschaft, Volksgruppe oder Religion von außen zu reglementieren. Im schlimmsten Fall wird eine Mobbingbereitschaft erzeugt und ein Diskriminierungskollektiv gebildet, um dieses explosive Gemisch bei Wahlen politisch zu nützen.

Und nein, ich plädiere nicht dafür, dass man in islamischen Kindergärten eine Hetze gegen den Westen betreibt und die Notwendigkeit des Jihad bereits in die Gehirne und Seelen der kleinen Kinder einpflanzt. Aber erstens sollte man in einem katholischen Land mit bestehendem Konkordat nicht päpstlicher sein wollen als der Papst. Und zweitens sollte man gerade in Österreich mit seiner liberalen Tradition des Fortwurschtelns ein Verständnis für friedensförderliche Balancen haben. Man wird sich - aus einem Gleichheitsrigorismus heraus - den Nikolaus und das Kruzifix an der Wand nicht versagen wollen, bloß weil gewisse Kräfte es missbilligen, dass die Kinder in islamischen Kindergärten die Grundlagen ihrer eigenen Kultur lernen. Dazu gehören eben Geschichten aus dem Koran und, verschiedentlich, das Kopftuch für Frauen. Auf die oberlehrerhafte Frage "Und wie steht es mit der Gleichberechtigung der Geschlechter?" wäre die vielleicht triftigste Antwort: Gemach, gemach!

Ein Kampf der Kulturen?

Wenn unser Land sich bürokratisch korrekt verhält (was ohnehin oft genug bedeutet: schikanös) und darüber hinaus freundlich gegenüber Menschen, deren Werthaltungen wir nicht vollends teilen, dann erst haben wir eine gute Chance des Zusammenlebens. Wir haben die Chance, falls gezeigt werden kann, dass unsere Werte ein gelungenes und würdevolles Leben befördern. Dagegen gleich mit dem IS-Terror und einer "kulturellen Überfremdung" zu argumentieren, läuft tatsächlich auf einen Kampf der Kulturen hinaus, der seinerseits jene Zustände wechselseitiger Entfremdung herbeiführt, die man angeblich vermeiden wollte.

Dies alles wäre von der Wissenschaft zu bedenken, bevor sie darangeht, ihre Studien in eine Richtung zu entfalten, die im Kontext des friedlichen Miteinanders weniger hilfreich als kontraproduktiv scheint. Es steht jedoch zu befürchten, dass - falls die Politik nicht selbst die nötige Umsicht walten lässt - immer wieder "Experten" sich zu fragwürdigen Zwecken rekrutieren lassen, sei es aus Naivität, Kalkül oder purem Geltungsdrang.

Der Autor ist Professor für Rechtsphilosophie an der Universität Graz

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